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Diverse: "Chants de femmes de Corse"
Canta u Populu Corsu: "A strada di l'avvene" |
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Estivoce
Rencontres polyphoniques de Calvi |
Merkwürdig ist es schon ein bisschen, dass die Musik der "Insel der Schönheit" (wie sie die Griechen nannten), hierzulande nur recht wenige LiebhaberInnen hat. Wenn schon Folk aus Frankreich, dann scheint nach wie vor die Bretagne angesagt; von der einst potenten okzitanischen und baskischen Szene ist wenig übrig geblieben, und auch sonst fristen die regionalen KünstlerInnen und Ensembles im Elsass, in Lothringen oder in Flandern ein eher kümmerliches Leben.
Angesichts der vergleichsweise geringen Bevölkerungszahl (ca. 250.000 "echte" Korsen), gibt es eine stattliche Anzahl von SängerInnen und Gruppen (weit über 50 Ensembles und Solisten), und mit I Muvrini ein Duo, das seit einigen Jahren sogar international für Furore sorgt (s. Porträt im Folker! 4/2003).
Von Roland Schmitt
Wenn man von einer Renaissance korsischer Volksmusik sprechen will, so spielt
die "grüne Insel" eine nicht ganz unerhebliche Rolle. Wie es überhaupt
eine Reihe von Parallelen zwischen Irland und Korsika gibt, die man vorweg
schicken sollte: Jahrhunderte währende Fremdbestimmung und Ausbeutung
durch benachbarte Mächte
(für Korsika: die Stadtstaaten Pisa und Genua
sowie Frankreich), immer wieder Auswanderungswellen (für Korsika: auf
dem französischen Festland leben nach vorsichtigen Schätzungen
ca. 700.000 Korsen, insbesondere in Marseille, Toulon und Paris), starker
Einfluss der katholischen Kirche auf das Alltagsleben, militante nationalistische
(Untergrund-) Organisationen (für Korsika: z. B. die verbotene FLNC).
Eine Überlebenschance gaben der korsischen Kultur noch in den 1980er
Jahren nur wenige Experten. Der Einfluss der französischen Zentralregierung,
die das Leben auf der malerischen Mittelmeerinsel seit 1768 nachhaltig
reglementiert(e), einhergehend mit der durch den Massentourismus verursachten
Entfremdung der Einheimischen, schien allen Attributen
korsischer Kultur, vor allem der Sprache (verwandt mit dem Toskanischen)
und auch der Volksmusiktradition, den Garaus zu machen. Die Versuche junger
Korsen, diese Entwicklung aufzuhalten, wurden allgemein belächelt. Um
so erstaunlicher, dass es ihnen offensichtlich doch gelang, sowohl die
verzaubernde korsische Vokaltradition der "pulifunia" (zu dt. "Polyfonie")
als auch die korsische Sprache (bis 1974 offiziell verboten!) vor dem Aussterben
zu retten.
Gewiss spielte der "Mai 68" und die in den Folgejahren in fast ganz Frankreich
aufkeimende Regionalismusbewegung eine maßgebliche Rolle hinsichtlich
des wachsenden Selbstbewusstseins unter den Korsen. Vor allem auf dem Festland
studierende junge Leute beschäftigten sich mit der wechselvollen Geschichte
ihrer Insel,
entdeckten für sich die verpönte Sprache und Kultur
neu und nutzten für ihre Identitätsfindung die in den Familien
überlieferten Gesangstraditionen (vorausgesetzt, es war trotz
Reglementierung durch die französische Obrigkeit noch etwas
übriggeblieben!). Zwar gab es mit Antoine Ciosi bereits einen
populären Sänger, der seit Mitte der 1960er Jahre auch einheimische
Lieder sang, doch bestand sein Repertoire seinerzeit hauptsächlich aus
eher schlagerhaften Chansons. Inzwischen gilt Ciosi, dank seines
"Richtungswechsels" in den 1970er Jahren, als Vater des "neuen" korsischen
Liedes. Er und auch der Liedermacher Pierre Dieghi sind durchaus als Pioniere
des Revivals zu betrachten, wenngleich sie musikalisch nicht gerade auf der
Höhe der Zeit waren. Vor allem Ciosis Spagat zwischen Schlagerpathos
und AgitProp-Folk irritierte nicht nur seine Landsleute.
Ab Mitte der 1970er Jahre schließlich entstanden mit Canta U Populu
Corsu, A Filetta, Diana di l'Alba und I Muvrini gleich mehrere Ensembles,
die für die Entwicklung der korsischen Musikszene nachhaltige Bedeutung
erlangen sollten. Sie waren durchweg stark politisch engagiert, regionalistisch
bis nationalistisch ausgerichtet, verstanden ihre Musik weniger als
losgelöste Traditionspflege denn als aktiven Beitrag zur korsischen
Unabhängigkeits- bzw. Autonomiebewegung. Sie wollten ein Gegengewicht
zu dem an Tino Rossi (Gott hab' ihn selig!) angelehnten Touristenschlager
bilden, griffen nicht nur auf traditionelle einheimische Vorlagen zurück,
sondern ließen sich auch von Irish Folk und sogar
südamerikanischen
Rhythmen inspirieren.
Im Allgemeinen hat die korsische Volksmusik einen sehr assoziativen Charakter, gilt dabei als "unfröhlich" und melancholisch, entwickelt (nicht nur!) beim erstmaligen Anhören alles andere als "good vibrations". Es fehlt, anders als z. B. beim Irish Folk, das lebenslustige Element, das eben Tänze vermitteln (können). Von der korsischen Volkstanztradition heißt es, sie sei ausgestorben. Die bisherigen Wiederbelebungsversuche blieben zaghaft.
Dafür
erlebte der korsische Gesang eine beachtliche Renaissance. Eric Ferrari,
Kopf der Gruppe Giramondu und ehemaliger Bassist bei I Muvrini, bringt die
Faszination der korsischen Vokaltradition auf den Punkt: "Die Seele des
korsischen Liedes ist der polyfone, also mehrstimmige Gesang. Da sind in
der Regel drei Männer, die singen a cappella in den drei Stimmlagen
seconda, terza, bassu. Die Grundmelodie in der Art eines lockeren liturgischen
Sprechgesangs ist vorgegeben. Um Monotonie zu vermeiden, improvisieren die
Stimmen bis hart an den Rand der Disharmonie. Die Endakkorde ziehen wir dabei
in die Länge. So klingt das Ganze oft etwas mönchisch, orientalisch."
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