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"Denkste!" (HeiDeck, 2003) |
Polkaholix unterwegs:
03.11.03 Berlin, Kookaburra |
"Böhmischer Paartanz im lebhaften Zweivierteltakt, seit dem 19.Jahrhundert europäischer Gesellschaftstanz" steht in Meyers Taschenlexikon. Jo Meyer (mitnichten der Lexikonautor), Ur-Ostberliner Folkie, besuchte irgendwann in Berlin ein Polkafestival und wurde vermutlich dort vom Polka-Virus infiziert. Das Phänomen dieser Musik brachte ihn auf die Idee, eine ganz spezielle Band dafür zu gründen, denn bei seiner Gruppe JAMS war man dem Polkaholismus noch nicht verfallen. Dabei galt es zunächst, Vorurteile abzubauen. Mit dem Begriff Polka verband man banale Schlager, Stimmungs- und Blasmusik. Jo Meyer wollte die Trivialität dieser Musik ernst nehmen, einen anderen, modernen Bezug zum Trivialen herstellen. Er fand in Berlin Gleichgesinnte, und im März 2001 war es soweit: Polkaholix und damit die Berlin-Speed-Polka erblickten das Licht der Welt.
Von Reinhard "Pfeffi" Ständer
Neben Jo Meyer (acc, voc) als Bandleader und Arrangeur der meisten Titel gewann man mit Michael Holix (lead-voc, tp) einen prominenten Frontmann. Holix, der eigentlich Seidel heißt, stammt aus der Folkszene und spielte einst bei der Zwickauer Gruppe Arbeiterfolk eine zu Unrecht in Vergessenheit geratene Musik. Nachdem man sich in Schauorchester Ungelenk umbenannt hatte, begann noch in der DDR ein steiler Aufstieg zu Klamauk-Stars im Fernsehen. Vielen dürfte Micha Seidel dabei als der Herr mit dem Kanarienvogel auf dem Brillengestell aufgefallen sein. Noch heute ist Ungelenk seine Hauptband, was gelegentlich zu Terminüberschneidungen mit Polkaholix führen kann, wie etwa in Rudolstadt 2003. Ein weiteres wichtiges Bandmitglied: Andreas "Andy" Wieczorek (sax, voc), der nicht nur als exzellenter Saxophonist szenebekannt ist. Wenn Herr Holix verhindert ist, übernimmt er den Part als Leadsänger. Dass er damit mehr als nur Ersatz ist, bewies er im Juli auf Rudolstadts großer Heinepark-Bühne.
Focus Regional Berlin beim TFF Rudolstadt 2003
"Ich fühl mich gut, ich steh auf Berlin". Anette Humpes NDW-Hit war auf den Rudolstädter Bühnen in mehreren Variationen zu hören und wurde ungewollt zum Markenzeichen des Berlin-Specials. Dass es DIE Berliner Musik nicht gibt, sondern dass die Hauptstadt viele Facetten und Musikstile zu bieten hat, beschrieb Ulrike Zöller sehr anschaulich im TFF-Programmheft. Vermutlich waren die Polkaholix mit ihrer Mixtur aus Gassenhauern, Schlagerparodien und Weltmusik im Speed-Polka-Rhythmus die typischsten Berliner Vertreter, sieht man von den Brüdern Jaroffke mit ihren Leierkästen einmal ab. Auf jeden Fall zählten Polkaholix und 17 Hippies zu den herausragenden Acts des Festivals und wurden stürmisch gefeiert. Nicht minder Berlin-typisch, aber mit weit weniger Publikum, weil eher Workshop-Charakter, schwoften Berolina Linke Wade durch die Mitmachtanz-Geschichte. Da konnten Schieber, Walzer und Polka, aber auch Tänze der zwanziger Jahre, unter professioneller Anleitung probiert werden. Weiteres Highlight für Tanzwütige: Clarissa y las Diablitas. Teuflische Salsa-Rhythmen, vorwiegend aus Kuba - freilich nicht gerade Berlin-typisch, aber die sieben Damen waren ein Augen- und Ohrenschmaus. "Du hast den Farbfilm vergessen" - Ostalgie-Kult von Nina Hagen, schmetterten die Bläser der Bolschewistischen Kurkapelle Schwarz-Rot in den trüben Juli-Himmel und wussten nicht nur mit postrevolutionärem Kulturgut zu überzeugen. So meinte der Ansager der Band beim Kurkonzert im Garten des historischen Schillerhauses: "In diesem Garten hatten Goethe und Schiller einst ein intimes Liebesverhältnis." Ähnlich Absurdes zog sich durch ihr gesamtes Programm voller heftiger Blasmusik von linksradikal bis grotesk. Die Begeisterung beim älteren Teil des Festivalvolkes hielt sich, ähnlich wie bei Polkaholix, in Grenzen. Parodien sind eben nicht jedermanns Sache. Ähnliches traf auch auf das Original Oberkreuzberger Nasenflötenorchester zu. Mit ihren außergewöhnlichen "Blasinstrumenten" im Gesicht begeisterten die zehn Berliner auf dem Markt mit Titeln von Beethoven bis "Je t'aime" vor allem jene, die nicht auf Folk- und Weltmusik stehen. Alles eine Frage des Geschmackes, und da Berlin als schrille Stadt gilt, ganz legitim. Völlig anders dagegen die melancholischen Klänge von Jalda Rebling und ihrer Band. Bereits in der DDR gehörte sie mit ihrer Mutter Lin Jaldati zu den herausragenden Interpreten jüdischer Musik, in Rudolstadt gab es neben den zwei Konzerten einen Workshop zum Thema. Dass Berlin eine Hochburg russischer Emigranten ist und damit auch ein Zentrum russischer Musik, dürfte bekannt sein. Die "Russendisko" der Herren Kaminer und Gurzhy ist bereits Kult in der Hauptstadt und durfte folglich in Rudolstadt nicht fehlen. Leider gab es diese nur ein einziges Mal, weit nach Mitternacht und obendrein in den abgelegenen Saalgärten. Trotz dieser Umstände war der Andrang vor dem viel zu kleinen Club riesig, so dass man nur mit großem Glück hineinkam. Schade! Nicht unerwähnt bleiben sollen die Berliner im Straßenmusikprogramm, die Beachtliches boten. So etwa Manja Präkels & der singende Tresen (Songs), Ceol Craic & Clover (Irish), Glasya Labolas (Russisch) und Tritonus (Tanzmusik). Gleiches gilt für die drei kleinen, aber feinen Ausstellungen "Berliner Panoptikum" und "Flowmarkt" über Drehorgel, Harfenjule, Schiebermax und andere Originale sowie "Ostberlin - Westberlin". Letztere über die 70er und 80er Jahre war bereits beim Festival "Musik und Politik 2003" erfolgreich gezeigt worden. Verständlicherweise fehlte im Festivalstress vielen Besuchern die Zeit dafür. Wenn der "Focus regional" auch nur einen kleinen Teil der umfangreichen Berliner Musikszene zeigte, war er doch in jedem Fall repräsentativ. "Pfeffi" |
Andy hat den Polkavirus offensichtlich schon lange, denn bereits Ende der siebziger Jahre hieß eine seiner zahlreichen Bands Polkatoffel. Damals sang er neben Irish Folk Berliner Gassenhauer. Später wurde er in der Rock- und Jazzrockszene ein gefragter Mann und spielte in Gundermanns Seilschaft eine herausragende Rolle. Ebenso wie Andy kommt Mario Ferraro (g) von Gundis Seilschaft. Bassist Michael "Wacky" Waterstradt stammt aus der DDR-Folkszene, war zeitweise bei JAMS und in diversen Berliner Salsa-Bands. Frank Hille am Schlagzeug, in der Ostrockszene berühmt, spielte bei Pantha Rhei, Veronika Fischer und Pankow. Gelegentlich sitzt für ihn Delle Kriese an den Drums, der schon bei Renft, Cäsar, Passion und Gundermann trommelte. Den Folkies bekannt sein sollte Wolfgang Meyering von Spillwark, JAMS und Mrs. Meyers Love Affairs. Die beiden letztgenannten Gruppen mit Jo Meyer gibt es weiterhin parallel zu den Polkaholix. Bei den Bläsern wechselt die Besetzung hin und wieder, ähnlich wie bei den 17 Hippies stehen nicht immer alle auf der Bühne. Rob Gutowski (tb) kommt vom Ska, Jörg von Nolting (tp) spielt noch in einem Swingorchester. Nicht unerwähnt bleiben sollen die Country- und Rock'n Roll-Erfahrungen von Oliver Oltersdorf (sax, cl), Stu Krause (tp), Iven Hausmann (tb), nochvon der Ost-Kult-Jazzband "Fusion" bekannt, und Andreas Hillmann (tp) der auch noch bei der nicht minder kultigen "Modern Soul Band" spielt. Jo weist auf das freundschaftliche Miteinander hin, obwohl es nicht leicht ist, alle Terminpläne von solch einer großen Band unter einen Hut zu bekommen.
"Sehr gewöhnungsbedürftig, diese Polkaholix. Aber ich kriege dieses Im Grunewald, im Grunewald ist Holzauktion' einfach nicht mehr aus meinem Ohr" sagte mir eine Bekannte auf der Heimfahrt vom Rudolstädter Festival. Genau das ist es, was Jo und seine Mannen bezweckt haben: Ohrwurm-Schlager, die jeder im Publikum kennt. Auch wenn sie noch so trivial sind wie "Es gibt kein Bier auf Hawaii" (BierPolka). Der einzige und wichtige Unterschied zur herkömmlichen Schlager-Blasmusik ist die musikalische Umsetzung. Da fließen Rock und Jazz, Ska und Punk, Neue Deutsche Welle, Folk und Klezmer, Salsa, Reggae und Balkanmusik und ein gehöriger Schuss Comedy mit ein. Die erste CD der Polkaholix "Denkste" erschien im Sommer 2003, wurde im Studio produziert und enthält zwölf Titel aus dem aktuellen Konzertprogramm. Ein Großteil der Stücke sind Schlager früherer Jahrzehnte wie etwa "Must-have-a-Polka", besser bekannt als "Oh Mustafa", bei dem logischerweise orientalische und Balkan-Klänge eingearbeitet sind, oder "Polka mi amore", das den Älteren von uns noch als "Marina, Marina" (Rocco Granata) ein Begriff ist. Dabei werden oftmals die banalen Texte in der brachialen Art des einstigen Duo Sonnenschirm oder DEKAdance verdreht und verblödelt. So kommen in "Marina" Begriffe vor wie Spaghetti, Risotto, Cianti, Pistolo. Noch schräger treibt es Textautor Micha Seidel alias Seidelini oder Sajdlitschki in der "SkodaPolka", die wir als "Rosamunde", die Amerikaner als "Beer Barrel Polka" der Andrew Sisters kennen. Hier begegnen wir Karel Gott, Dolly Buster, Spejbl & Hurvinek, Knedlitschki und Oblaty i Oblata. Eine köstliche Parodie. Außer alten Schlagern spielen Berliner Gassenhauer eine ebenso wichtige Rolle. Die berühmte Holzauktion im Grunewald ist ein Standard: "Denkste denn, du Berliner Pflanze..." Als Megahit aus dem Jahre 1902, mit einem nicht ganz jugendfreien Zwischentext versehen, ist er auch der Titelsong der ersten CD der Polkaholix. Dabei darf auch Paul Linkes "Das ist die Berliner Luft" nicht im Repertoire fehlen, von der Band als "Luftnummer" bezeichnet.
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