Von Gitti Gülden
www.baez.woz.org www.joanbaez.com |
(Auswahl):
"Joan Baez" (Vanguard, 1960) |
Literatur:
Baez, Joan: Tagesanbruch. Zweitausendeins, Frankfurt/M, 1978 (amerikanischer Originaltitel: Daybreak - An Intimate Journal. The Dial Press, New York, 1968) Baez, Joan: We Shall Overcome - Mein Leben. Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach, 1988 (amerikanischer Originaltitel: A Voice To sing With. Summit Books, 1987) (Ein Gedichtband mit eigenen Illustrationen ist in Vorbereitung) Hajdu, David: Positively 4th Street - The Lives And Times Of Joan Baez, Bob Dylan, Mimi Baez Fariña And Richard Fariña. Farrar, Straus & Giroux, New York, 2001 |
"She's got everything she needs
She's an artist
She don't look back"
(Bob Dylan 1965 über Joan Baez in "She Belongs To Me")
Wir kennen die Szenen aus dem Pennebaker-Film über Dylans England-Tournee im Jahre 1965. Der geheimnisvolle Meister hält Hof im Hotel. Die englischen Pop-Stars lesen ihm selbst den albernsten Unsinn bewundernd von den Lippen ab ("keep a good head and always carry a lightbulb" - lautet seine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens) und eine wunderschöne, madonnengleiche Sängerin mit Gitarre ist immer an seiner Seite, stellt sich pausenlos vor und zieht sich beizeiten zurück: Joan Baez. Kenner können es nicht fassen: Dies ist die göttliche Jeanne D'Arc der friedensbewegten Folkszene Amerikas. Sie ist bereits ein Superstar, doch hier wirkt sie wie ein bescheidenes Vögelchen neben dem neuen Überflieger Dylan. Dabei war sie es doch, die den ein Jahr jüngeren unbekannten Barden noch vor kurzem bei ihren Konzerte vorgestellt hatte. Sie war es, die vor 1.700 Leuten auftrat, während der kleine Mr. Dylan gerade mal vor 53 zahlenden Gästen sang. Joans späterer Schwager Richard Fariña hatte den knapp 20-jährigen Dylan gedrängelt: "Du brauchst jemanden wie Joan, um deine Songs erfolgreich zu machen. Sie ist dein Ticket für die Zukunft, Mann!" Für eine Weile galten Dylan und Baez als König und Königin der damals neuen Protestbewegung, aber das änderte sich spätestens 1966, als Dylan knarzte: "Bei ihren Konzerten zu spielen, ist wie in einem Beerdigungs-Institut aufzutreten" - und Miss Baez erwiderte: "Er will nur noch eins: Rock'n'Roll". Man trennte sich.
Joan Baez bestach seit Beginn ihrer langen Karriere als 18-Jährige beim ersten Newport Folk Festival 1959 mit ihrer unglaublichen Stimme. "Wie aus einer anderen Welt", schwärmte die New York Times. "Ihr wunderbarer Sopran klingt strahlend und reich, wie aus altem Gold geschmiedet und umgarnt den Hörer mit einer Spule aus Seiden-Satin." Heute klingt Joan Baez Stimme erheblich tiefer, aber auch wesentlich wärmer und entspannter. "Das hängt natürlich damit zusammen, dass ich älter geworden bin", sagt Joan, lässt sich gemütlich auf dem Riesensofa ihrer Suite nieder und zieht die Beine an, so als sei sie bei sich zu Hause. "Die Stimme ist ja auch nur ein Muskel, der im Laufe der Zeit erschlafft. Wenn man lange mit seiner Stimme arbeiten will, muss man sie hegen und pflegen. Das habe ich früher nie getan. Ich hab einfach nur gesungen. Gitarre, gut, das habe ich natürlich geübt, aber Singen - nie. Ich habe meine Stimme über 30 Jahre lang einfach als selbstverständlich hingenommen. Vor rund 15 Jahren musste ich allerdings feststellen - sie lässt nach. Und nicht nur das: Meine gesamte Karriere als singende Musikerin verlief völlig im Sande. Das typische Künstler-Drama: Die Zeit rennt dir davon und wo bleibst du? Bei mir hat dieser Prozess, das überhaupt zu erkennen, etwas länger gedauert. Ich lebe schließlich seit meinem 18. Lebensjahr in der Öffentlichkeit, ich hatte auf Anhieb Riesenerfolg, und ich war immer mit wichtigeren Aufgaben beschäftigt, als mir darüber Gedanken zu machen, wo ich überhaupt in der Musikwelt stehe. Ich kam gar nicht dazu, mich anstrengen zu müssen oder irgendetwas dazuzulernen. Ich hatte keine Ahnung, wie man richtig singt und atmet. Ich konnte auf die Dauer gar nicht gut sein. Als politische Sängerin haben die Leute nie nur auf meinen Gesang, sondern eher auf die Inhalte, auf die Symbolfigur geachtet. Ich beschloss also kurz vor meinem 50. Geburtstag, mich ernsthaft um meine musikalische Karriere zu kümmern. Ich nahm mir einen professionellen Manager - zum ersten Mal in meinem Leben. Ich nahm außerdem richtiges Gesangstraining, und ich ging zur Psychotherapie."
Rückblickend ist es erstaunlich, dass Joan Baez in ihrem 62-jährigen Leben derart viele Konzerte, Auftritte, Reden und politische Engagements überhaupt wahrnehmen konnte. Sie sang über 30 Jahre auf Ladeflächen von LKWs bei Arbeiterstreiks für gerechte Löhne, vor und in Gefängnissen, auf politischen Demonstrationen von Washington bis Irland. Sie gründete die West-Coast-Abteilung von Amnesty International und das kalifornische Institut zur Untersuchung von Gewaltlosigkeit. Sie sang in Madrid 1977 für die Befreiung Spaniens nach Franco und gilt in der Tschechoslowakei laut Ex-Präsident Vaclav Havel als "entscheidender Einfluss auf die samtene Revolution" von 1989. In diesem Jahr gab sie mit Steve Earle, Emmylou Harris und Billy Bragg Konzerte für die Aktion "Landmine Free World" in Großbritannien. Es gibt kaum eine Benefizveranstaltung für oder gegen etwas, vom Recht der Homosexuellen bis zur "Conspiracy Of Hope", bei der Joan Baez nicht erschien. Aus Protest gegen die Finanzierung des Vietnamkrieges hielt sie 1964 60% ihrer Einkommensteuer zurück. Sie half 1972 ihrer jüngeren Schwester Mimi Fariña bei der Gründung von "Bread & Roses", einer Organisation, die seitdem Konzerte in Gefängnissen und Krankenhäusern veranstaltet. Und sie wird für ihr unendliches Engagement geehrt. Vier Mal bekommt sie den Bammy (Bay Area Music Award) als beste Sängerin, erhält den "Earl Warren Award" der amerikanischen Bürgerrechtsvereinigung, und als erster Frau verleiht man Joan Baez den "John-Steinbeck-Award" an der San José State University für den Mut, mit ihrer Arbeit den Kontrast zwischen Arm und Reich, Macht und Ohnmacht darzustellen. Und das soll nun alles die zweite Geige spielen, weil ihr nach all den Jahren eingefallen ist, dass sie in erster Linie doch eigentlich immer Musikerin sein wollte?
"Ich fand es einfach überhaupt nicht mehr so großartig, Konzerte zu geben. Ich habe seit Anfang der 80er Jahre kein einziges Konzert mehr genießen können. Das war jedes Mal reine Pflichterfüllung. Um mich auf die künstlerische Karriere richtig konzentrieren zu können, brauchte ich doppelt so viel Zeit wie vorher. Ich musste also mein rein politisches Engagement an zweite Stelle setzen, und das war keine leichte Entscheidung. Mein Ziel war, bloß kein großes Comeback zu veranstalten. Dazu bin ich einfach nicht der Typ. Ich wollte mich wieder frisch fühlen, den Leuten etwas Neues bieten, wieder vollkommen als künstlerischer Mensch zur Verfügung stehen. Wenn ich mich aufs Altenteil zurückziehe, dann möchte ich das selbst bestimmen und nicht dazu verdammt werden. Meine Existenz soll nicht irgendwann einfach so vergessen werden. Und das wäre in großem Maße mein eigener Fehler gewesen."
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