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Vor 35 Jahren, genau vom 25. bis zum 29. September 1968, wurde die Ruhrpottstadt Essen von einer Invasion heimgesucht. Ein buntes Völkchen aus 40.000 Hippies, Gammlern und Revoluzzern strömte in die Stadt, um den "Internationalen Essener Songtagen" beizuwohnen, dem ersten großen Pop- und Liedermacherfestival der Bundesrepublik. Fünf Tage lang traten in einem Mammutprogramm mit über 40 Konzerten und Veranstaltungen mehr als 200 Musiker und Musikerinnen auf. Für einen kurzen Augenblick verwandelte sich die Kruppstadt zum Mekka der internationalen Popkultur.
Von Christoph Wagner
"Wie eine Atombombe traf das diese verschlafene Stadt", erinnert sich der Essener Bernd Witthüser, der als Songtage-Geschäftsführer tätig war, aber auch als Protestsänger selber auftrat. "Vorher war ja da nichts - und dann so etwas! Es war unglaublich! Die Sache bekam auf einmal eine ungeheure Größe und ist wie eine Lawine über uns hinweggerauscht." Neben internationalen Stars wie Julie Driscoll oder Frank Zappa, der wegen seines Klo-Posters als Inkarnation des Bürgerschrecks galt, war fast die gesamte bundesrepublikanische Gegenkultur vertreten. Das Spektrum reichte von linken Kabarettisten und Liedermachern bis zur Popkommune und bezog psychodelischen Rock, Freejazz, Folk, Zigeunerswing, Blues und Chanson mit ein. Daneben fanden zahlreiche Diskussionsveranstaltungen, Happenings und Multimedia-Shows statt. Selbst Apo-Koryphäen wie Rainer Langhans mit der Berliner Kommune 1 im Tross gaben sich die Ehre.
Das Ziel war, die vielfältigen kreativen Äußerungen der jugendlichen Subkultur in ihrer Gesamtheit darzustellen und damit das neue Lebensgefühl der rebellischen Generation ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Kurz: die Songtage sollten - wie es Cheforganisator Rolf-Ulrich Kaiser ausdrückte - "eine Demonstration der progressiven Kunst- und Lebens-Entwicklung sein, eine Manifestation der Untergrund-Kultur und ihrer Musik."
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Und das war nicht zu hoch gegriffen. Im Rückblick erscheint das Ereignis als wichtiger Meilenstein der Popgeschichte in Deutschland. Einen solchen Mega-Event hatte es bis dato noch nicht gegeben. Was die Love Parade für die 90er Jahren bedeutete, waren die Songtage für die 60er - ein Einschnitt, eine Zäsur. Viele der Beteiligten sahen danach die Welt in einem anderen Licht.
Für manche wurde das Ereignis gar zur existenziellen Weichenstellung. "Nach den Songtagen war ich von Politsongs à la Degenhardt und Süverkrüp geheilt. Diese Art des Liedersingens zur Gitarre war für mich erledigt, nachdem ich Frank Zappa gesehen hatte. Zappa ging die Sache ganz anders an, ironisch, zynisch, nicht so altklug und oberlehrerhaft deutsch. Er war ungeheuer locker und witzig", erzählt Bernd Witthüser, der die Protestsingerei an den Nagel hängte und auf drogenverhangene Songs mit dem psychodelischen Folkduo Witthüser & Westrupp umsattelte.
Ursprünglich war der Anstoß aus den USA gekommen. Ein Jahr zuvor, im Juni 1967, hatte in Kalifornien das Monterey Pop Festival stattgefunden. 200.000 jungen Leute hatten für drei Tage ein "Fest der Musik, Liebe und Blumen" gefeiert zur Begleitmusik von Janis Joplin, Jimi Hendrix und Simon & Garfunkel. Als erstes Popfestival der Geschichte wirkte Monterey wie ein Paukenschlag. Es war eine Pioniertat, die erstmals einem weltweiten Publikum die Existenz der alternativen Hippiebewegung vor Augen führte. In Monterey war die Subkultur machtvoll an die Oberfläche getreten.
In Deutschland blickte die aufmüpfige Jugend sowieso nach Amerika, wo es durch die Bürgerrechtsbewegung, Black Panthers und Vietnam-Proteste politisch brodelte. Ob Kommuneleben, Jeans, freie Liebe oder Drogenkonsum, ob politische Aktionen wie Sit-ins und Teach-ins oder die psychodelischen Eskapaden der Rockmusik - alles wurde vom Mutterland der Flower-Power-Bewegung übernommen. Kein Wunder, dass die Berichte über Monterey auch in der Bundesrepublik Wellen schlugen. Im Milieu der Gegenkultur begann man darüber nachzudenken, ob Ähnliches auch in der Bundesrepublik möglich wäre.
Ein junger Mann aus Köln ergriff die Initiative. Rolf-Ulrich Kaiser war kein unbeschriebenes Blatt, sondern als Propagandist der Subkultur seit Jahren aktiv. Nach dem Studium der Germanistik und Theaterwissenschaft hatte der 25-jährige Musikjournalist und Buchautor sich als Kenner der neuen Tendenzen aus den USA einen Namen gemacht, die er auf etlichen Recherche-Trips nach San Francisco, Los Angeles und New York kennen gelernt hatte.
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