Kohl ist weg. Der Dampf bleibt. Die Kohlokratie, der Schröder seinen nabelfixierten Dauer-Vollrausch verdankt, scheint unumkehrbar. Nur Buridans Wahlesel hat noch die Wahl: zwischen unternehmerfrommem Toscana-Sozialismus mit gesäßkompatibler Fischerpartei im Schleppnetz - und Bayerns Gloria "mit der großen Koalitze an der Hose, der Geist von Rhöndorf mit der welken Rose..." (W. Neuss). Reptil oder Raubtier, Ja oder Amen, mein Michel, was willst du noch mehr? Ich bin dafür, dass ich dagegen bin, wer meinen Kurs nicht stützt, stürzt die Regierung, die Scham ist vorbei, Erscheinen Pflicht, Augen zu und durch, Ende der Schonzeit. Byzantinismus nimmt überhand in der bananenkrummen Basta-Republik. Nach der nur mühsam durch Unterschriftendrohung abgetrotzten SPD-Regionalanhörung ("...jemand anderer Meinung? nein? dann können wir ja zur Abstimmung schreiten...") werden rasch die Grünen auf Linie gebracht, und die Unternehmer reiben sich die Hände. Bis 2010 ist der Sozialklimbim abgeschafft, die Landplage der Gewerkschaften sowieso, dann hat Schröder die Amtsjahreszahl seines Vorgängers nahezu erreicht, passt gar in dessen Anzugnummer. O-Töne bezeugen, dass es der Kanzler nie "zweitausendzehn" ausspricht, sondern "Agenda zwanzig-zehn". Oder sind seine Abweichler gemeint? "Wie viele Abgeordnete werden denn mit Nein stimmen?" - "Na, so zwanzig... zehn...".
Unterdessen, wer weiß schon, ob das man gut geht, schleimen sich Ministerdarsteller und Kanzlerersatzspieler in der Stimmung ihres Herrn zugleich bei potentiellen Gegnern ein. Kein Mensch traut sich zu sagen, haste Scheiße gebaut, Schröder, bleib weg mit der Agenda, diskutier das besser öffentlich im Parlament statt in dekretierten Ausschüssen. (Rürup, Hartz, dann auch noch "Nationaler Ethikrat", gute Güte, alles Mögliche wird privatisiert, bloß der Körper vergesellschaftet, vom Embryoversuchsfleisch bis zur Alzheimerstudie, und wem's am Fortschrittseifer gebricht, dem wird die Ethik von einem spesenteuren Professorenclübchen passend gemacht...) Mehr Demokratie wagen? Öffentlichkeitsarbeit der Regierung heute, das heißt: Diskussionsbedürftiges lautstark beschweigen, dass 'mer die Zensur gar nicht erst einführen müssen. Schon gehen alle wie auf Eiern, immer fein behutsam, bloß kein Porzellan ansägen, das Kritischste, was du noch hörst, ist: "Die Reformen scheinen allerdings nicht ganz ausgereift" bzw., wahlweise und zum Ankreuzen, "gehen noch immer nicht weit genug"...
Tschuldigung, ich habe "notwendig" vergessen. Reform ohne "notwendig" geht heute nicht mehr. Die Nachrichten wiederholen echoletteartig die notwendig-notwendig-notwendig-notwendigen Reformen. Vors Haupt- und Machtwort gehört das grinsend-entschuldigende Epitheton, ebenso wenig wie die (ihrerzeit "sogenannte") DDR nicht darfbar wäre ohne einhämmerndes "ehemalig". Zumal kein Mensch vom "ehemaligen Preußen" schwärmen würde, im Gegenteil, nichts ist weniger ehemalig als Preußen, zumal im adelsdummen Schildkrötenhirn von Manfred Stolpe, dem greisen Autobahnbetonkopf, der als Brandenburger Ministerpräsident am liebsten den Roten Adlerorden wieder eingeführt hätte, um ihn sogleich an sich selbst zu verleihen. Landgraf, bleibe hart. Er jedenfalls werde "keine Reue zeigen und der US-Regierung keine Geschenke anbieten", drohte Peter Struck neulich vor der Wallfahrt nach Washington (bäuchlings nach Canossa). Wenn ich dergleichen höre, fällt mir sofort Siegmund Freuds Analyse des berühmten Versprechers ein: "Das feste Ja muss als ein dringendes Nein gedeutet werden!" und umgekehrt.
Haben wir denn noch was zu verschenken? Aber was könnte den Ami noch gnädig stimmen? Die nehmen nix von uns Deutschen, "those who harbored them" (Bush), schon mal gar nicht den Ehrendoktorhut der Hamburger Technischen Hochschule, wo die verdammten "Towrrrrrsts" bekanntlich Bafög bezogen haben. Obwohl, nicht von der Tischkante stoßen würde man im Weißen Haus das Haupt von Hertha Däubler-Gmelin, im silbernen Abtropfsieb serviert mit Zitronenscheibe in der Schwertgosch. Im Gegensatz zu ihr hat Struck überdies einen für US-Militärs aussprechlichen Nachnamen, den könnte er ebenfalls offerieren, wobei Kollege Donald allerdings mit "Rumsfeld" schon bestens versehen ist (by courtesy of Ehapa und Dr. Erika Fuchs: "Bürgerlein zitt're nicht / noch vor dem Morgenlicht / hat Donald schon, der Rums im Feld / die Ordnung wiederhergestellt"). Bleibt die Physiognomie, die immerhin hat Struck dem Hauptfeld voraus, letzterer wirkt im TV wie ein magengeschwür-geplagtes nasses Handtuch, hat er überhaupt gedient? Den unsrigen hat ein gütiger Gencocktail gleich dreifach mit Glatze, Specknacken und prächtigem Schnauzbart gesegnet: der Urtyp des reaktionären Kommisskopps unter Willem Zwo. Jeder innenpolitischen Wende ihre äußere Entsprechung! Auch Schily und Rezzo Schlauch sehen zunehmend aus wie von Grosz und Heartfield karikiert. Fehlen nur noch die Schmisse und Monokel. Preußen lebt!
Bei uns heißt das nicht Nationale Sicherheit, hab ich mir sagen lassen, sondern "Bundesminister der Verteidigung". Indessen wird die BRD auch am Hindukusch verteidigt, demnächst gar in Gebieten, die auf neu zu druckenden Landkarten mal wieder mit Aufdruck derzeit unter polnischer Verwaltung versehen werden. Diesmal ist freilich nicht die flächendeckende ethnische Säuberung von Ostpreußen, Hinterpommern und Oberschlesien angesagt, sondern die Militärverwaltung von Unterkurdistan i. Gr. und Nordirak a. D. Wird denn der Sloty in der "Zone" noch als Landeswährung eingeführt, oder kommen die Kurden gleich mit Polen in die EU? Überhaupt hat der seit Rot-Grün gesellschaftsfähig und talkshowtauglich gewordene Krieg doch zu schönen rhetorischen Klimmzügen geführt, eine Akrobatik jenseits des Sportschau-Telegramms, die ich immer gern verfolge, nehmen wir nur "shock & awe", "nation building", "road map" und dergleichen Moderatoren-Stolpersteine, und wieso hieß es immerzu, "amerikanische Verbände" rückten auf Bagdad vor, wo ihnen dann "Saddams Elitetruppen" begegneten? - Das hätte doch auch "Bushs Invasionsarmee" machen können, der sich die "Verteidiger des Irak" entgegenstellen...
...und dann war da noch der TV-Schädelforscher mit den Apparaturen und Schieblehren und Lineal, der bei jedem neuen Hussein-Video den Augenabstand und die Jochbogenbreite vermessen durfte. Das erinnerte mich wieder an das Labor mit Ulrike Meinhofs Hirnschmalz in Aspik. Könnte der nicht die Däubler-Gmelin präparieren, oder muss das wieder Gunther von Hagen machen? - Am 23. März bildete die sonst nicht undoofe ZDF-Moderatorin den Begriff "Kriegsnebel". Dafür verabschiedete sie das Wort "Verdunkelung" aus dem deutschen Wortschatz, als sie angesichts der Feuerwerksbilder aus Bagdad unerschrocken den Reporter fragte, wieso sind denn noch immer die Fenster der Häuser beleuchtet? Gibt's denn da noch Strom, wieso wird das nicht abgeklebt? Aber das ist ja grad das Schöne an der chirurgischen Präzision, dass es heutzutage nichts ausmacht, ob der Pilot kurzsichtig und der Autopilot schwerhörig sind, ob bei Flutlicht oder ägyptischer Finsternis bombardiert wird. Weshalb der Dekostoffladen bei mir um die Ecke, der noch während des Kosovokrieges verzweifelt Verdunkelungsgardinen aus WK II-Beständen im Schaufenster feilbot, inzwischen auch pleite gemacht hat.
Nikolaus Gatter
www.lesefrucht.de
|
|
|
|
!!! |
Folker!
- ...und jetzt wieder: über 40% sparen beim
Folker!-Schnupperabo |
Die regelmäßige Kolumne im Folker! |