Zu den Kindern seiner gesanglichen Muse hat Süverkrüp ein
eigentümliches Verhältnis. Zur Welt gebracht hat er sie, mit geradezu
wahnhafter Akribie großgezogen und in Form geknetet. An einem bestimmten
Punkt seiner Laufbahn wurden sie mit gleicher unerbittlicher Konsequenz
verstoßen und weggeschlossen. In seinem Beiheft kommentiert der Erzeuger
diesen biographischen Schnitt: "Nicht, dass ich nicht fleißig gearbeitet
hätte, nein, das gewiss nicht; aber alles, was ich begann, blieb irgendwann
stecken wie das Wort im Halse und der Ruß im Ofenrohr." Wahrscheinlich
hat Süverkrüp den eigenen Bühnenabschied schon 1970 prophezeit
mit den (seit der letzten Bundestagswahl wieder geflügelten bzw.
flügelstutzenden) Zeilen: "Ach mir ging der Zorn zur Neige / meine
Sangeslust ward dünn / seit die SPD regiert im Land / wo ich geboren
bin."
Nun aber erlebt er ein Comeback, das ihm selbst gar nicht recht zu sein scheint.
Da lassen die redlichen Hebammer Rolf Limbach, seines Zeichens
Conträr-Produzent, und Udo Achten, bekannt für Dokumentationen
zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Süverkrüp eine gediegene Werkschau
angedeihen, und der Meister lässt kein gutes Haar am eignen uvre.
Da ließe sich nichts aktualisieren, das sei Sperrmüll usw. Bleiben
dem, der so hart und redlich zu Gericht mit sich geht, die Qualitäten
verborgen? "Mecker doch nicht immer herum an deinen Sachen", muss ihn seine
Ingrid ermahnen, wenn Süverkrüp lamentiert: "Beim Wiederhören
bin ich fast wütend geworden... Wozu der alberne Hall? Warum ist das
alles so breit ausgesungen? Und diese anschmeißerische Servierung!
... Und zum Schluss war mir überhaupt nicht mehr klar, was ich von alledem
halten sollte."
Dabei hatte Süverkrüp schon als Gymnasiast Balladen und Moritaten
geschrieben. 1952 bis 1956 studierte er Graphik, um, Ironie des Treppenwitzes,
im Hauptberuf Art Director einer schwerstkommerziellen Düsseldorfer
Werbefirma zu werden. Nebenher jazzte er mit den Feetwarmers', was
ihm eine Auszeichnung als bester Amateurgitarrist einbrachte. 1956 lernte
er den frühverstorbenen Gerd Semmer kennen, dem nachgesagt wird, das
Politchanson in Westdeutschland wiederbelebt zu haben. Ihm verdankte
Süverkrüp Nachdichtungen von Liedern der Französischen Revolution,
die er 1959 auf Ça ira einspielte. Mit Semmer, Arno Klönne und
Frank Werkmeister gründete er den Pläne-Verlag und trat 1965 erstmals
im WDR und bei den Ruhrfestspielen auf, spielte auf der Waldeck, in revoluzzenden
Audimaxen, bei Weltjugendfestspielen in Ostberlin: "Wenn ich meine Zuhörer
nicht auch unterhalten wollte, würde ich nicht singen, sondern vielleicht
Reden halten", rechtfertigte er den damals bei allem Engagement hochgesteckten
künstlerischen Anspruch. Mit der Kabarett-Rockgruppe Floh de Cologne,
Streichern und Bläsern spielte Süverkrüp einen mozartesken
Vietnamzyklus ein, mit Hüsch, Degenhardt und Neuss ging er '67 auf Tournee,
'68 noch mal ohne Neuss als Trio.
Wer ihn zu Unrecht nur mit Agitprop identifiziert, wird sich beim Hören
wundern, wie viele Farben Süverkrüp seit jeher beherrschte. Es
scheint, als habe er sämtliche Genres mit dem ihm eigenen Perfektionsdrang
durchdekliniert, um sie abzulegen und sogleich neue anzuprobieren: blaue
Periode, rosa Periode, dunkelrot, schwarzgallig-melancholisch... Die
wohlklingend-lässig tremolierende, überaus nuancenreiche Stimme
bestreitet Trübsal-Chansons in Brelmanier (Landesvorratssong, 1964),
Mickymaus (Lied eines heiseren Kindes), rheinische Mundart-Comedy
(Touristenflamenco, 1962; Tach Frollein, 1977), romantische Balladen (Lied
vom Tod, 1966) und überkandidelte Wortspielkaskaden (Schnulze et iucundum
est, fürs Vaterland zu werben, 1965). Süverkrüps frühe
Rezitative blieben nicht unbeeinflusst von Hüschs Kabarettstil
(Fröhlich ißt du Wiener Schnitzel, 1965). Vorbild für agitierende
"Straßenlieder" ist ein dezent ironisierter Ernst Busch. Soviel
Gelenkigkeit führt den Artisten unweigerlich zur Parodie: auf
Weihnachtslieder, Schlagermelodien. Countrysongs u. a., wie auch zum
Meisterstück, die Erschröckliche Moritat vom Kryptokommunisten
(1965), auf welche Süverkrüp, was jedem Künstler auf den Senkel
geht, jahrzehntelang festgenagelt wurde. Doch auch hier will ihm die Einspielung
gar nicht mehr gefallen: "Mir wurde erst später klar, was ich an gestischen
Möglichkeiten verschenkt hatte", seufzt er - spätestens 1967, als
sie sich im Kom(m)ödchenprogramm Bürger, schützt eure Anlagen!
entfalteten!
Die Konstante in dieser Karriere blieb seine politische Orientierung. In
den frühesten Liedern artikuliert Süverkrüp schon politisches
Ungenügen am System: unmenschliche Arbeitswelt, Volksverdummung durch
Konsum, Nichtvergehenwollen des Ewiggestrigen, unheilige Allianz von Kirche
und Staat. Der Boss ist die Schurkentype schlechthin, Kapitalisten "hätten
keineswegs nichts gegen einen neuen Faschismus, wenn er vonnöten
wäre", Notstandsgesetzte dräuen mit Lagerhaft für Intellektuelle.
An die Grenzen westlich-öffentlich-rechtlicher Narrenfreiheit stieß
Süverkrüp dann wirklich mit dem Streiklied für die Phrix-Arbeiter
aus dem Film Rote Fahnen sieht man besser. Und selbst der harmlose, in
DKP-Kindergärten beliebte Baggerführer Willibald (1971) veranlasste
Debatten im NRW-Landtag wegen "Verwendung eines Hetzliedes gegen das private
Hauseigentum im Schulunterricht". Dabei hatte Süverkrüp ein Jahr
zuvor schon das deutschlandselige Für ein Schul-Lesebuch gedacht abgeliefert
und ein Deutschland besungen, dessen saftige Leiblichkeit wohl manchen Lehrer
ins Stottern gebracht hat (falls es je im Unterricht durchgenommen wurde).
Nach der endgültigen Einführung der Notstandsgesetze ist sein
aufrichtiges Herzeleid, die Heimat nicht "wie im Scherz verlassen" zu
können. Fast möchte man Süverkrüp für einen
Melancholikus halten, der seinen Todfeind heimlich lieb hat, vielleicht gar
selbst einst der gutgläubige SPD-Wähler war, den er mit rigider
Verzweiflung attackiert. Ablehnung des kleineren Übels und der
"Wandel-durch-Annäherung"-Ostpolitik ging einher mit bedingungsloser
Anerkennung, ja, verzücktem Lobpreis des vermeintlichen Realsozialismus.
Wirkt schon schön peinlich, wie der Sänger, der mutatis mutandis
den Kommunistenfresser parodiert in Ungeschminkter Protest oder das DDRgernis
(1971), sechs Minuten lang den heiseren Schurkenton durchhält. Ironisch
ausgepinselte Horrorszenarien ("Ein riesiges Netz von geheimen Kanälen
/ durchzieht das gesamte besetzte Gebiet") soll ein DDR-Bühnenhelfer
damals mit dem Stoßseufzer: "Genau so isses!" benickt haben.
Die CD-Box bildet die Nummernfolge der Pläne-Langspielplatten ab, mitunter
werden Live-Einspielungen den damaligen Aufnahmen vorgezogen. Der gesamte
Süverkrüp ist das nicht; so fehlen z. B. das genial-paranoische
Das Leben - ein Supermarkt, nachzuhören auf der 1996 erschienenen Doppel-CD
Quartett 67, und Das Lied vom Roten Punkt, das u. a. 1973 auf der Demo gegen
Fahrpreiserhöhungen der KVB in Köln gesungen ward (als, notabene,
ein Pferd der berittenen Polizei beinahe den Schal des Rezensenten gefressen
hätte). Wenigstens im Buch nachzulesen sind das schöne, einst von
Zupfgeigenhansel verkitschte Heimatlied und das gewerkschaftskritische Mailied
von 1971 mit der Zeile "Klassenkampfthesen sind feiertagsstörend beim
1. Mai". Dafür gibt's zwei knappe Bonustracks auf CD No. 1 (eine
Mickymaus-Improvisationszugabe) und 3 (Reminiszenz an die Niederlage der
Pariser Commune). Zu verweisen ist auch auf die Mühsam-, Bellmann- und
1848-Einspielungen, die Conträr gesondert vorhält.
Nicht nur das Beiheft, auch das Begleitbuch illustriert des Künstlers
Befremden im Lebensherbst. Zwischen 73 Liedtexte spannt er als Stolperdraht
glossierende Erzählprosa. Sie leistet weder die wohl von manchen Genossen
ersehnte Aktualisierung, noch eigentlich Brecht'sche Distanznahme.
Süverkrüp hebt Runzeln und Altersflecken der Lieder brutal ins
Licht und wickelt sie nicht in historische Fußnoten. Der geborgte
"Läpptopf", ein etwas läppisches Leitmotiv, klemmt das Sammelsurium
der künstlerischen Vita zusammen. Figuren wie Heinz Michel, Hans Dieckhoff,
Baggerführer Willibald usw., keine von ihnen so nachhaltig bildhaft
wie die Schmandhoffs & Co (weil Süverkrüp abstrakter und
intelligenter volkstümelte als Degenhardt), treten ins virtuelle Leben
und schlagen aus der Art: "Wir empfinden in Wirklichkeit nicht so destruktiv,
wie wir sollen und müssen", beklagen sie sich. "Im Gegenteil, wir sind
positiv gesonnen. Weil wir das aber niemals äußern durften, mussten
wir zwangsläufig hier landen und stranden - und täten doch nichts
lieber, als uns einzusetzen für die Aufrechterhaltung der überkommenen
Ordnung." (S. 275) Doch was könnte ihr Schöpfer gegen sie noch
verteidigen? Den rückblickenden Offenbarungseid formuliert er S. 96:
"Revolution galt als so hip wie zwanzig Supertanker voll Babynahrung. Viele,
vor allem jüngere Menschen engagierten sich für die Revolution,
hofften auf sie, glaubten auf ihren baldigen Sieg... Man konnte schlimmen
Horror stiften, einfach indem man die Unausweichlichkeit der Revolution zur
Disposition stellte. Komisch, sich das vorzustellen! Doch wenn Sie zu den
total Abgedrehten gehören, die bereit sind, einem so komplizierten
gedanklichen Umweg zu folgen, finden Sie hier vielleicht etwas
zeitgemäß Erbauliches. Das können Sie sich sehr schön
über Ihren PC hängen." Besser eignen sich dafür die nicht
weniger akribischen Radierungen des aus dem Liedermacher herausgewachsenen
Graphikers, auch als Einzelblätter zu erwerben. Was soll's; mit
Stasi-Politclowns à la Diether Dehm hat er sich nicht gemein gemacht,
ein Preismagnet wie Biermann wurde er nie, siebzig wird er überhaupt
erst im kommenden Jahr, am 30. Mai: Wir werden noch manches von
Süverkrüp hören, immer wieder.
Süverkrüps Liederjahre 1963-1985 ff.
4-CD-Box mit Beiheft
Conträr 30 / INDIGO Best. Nr. 2075-2
Süverkrüps Liederjahre 1963-1985 ff
kurzweilig und bequem von vorne nach hinten zu lesen sowie mit 40
nachträglichen Radierungen des Urhebers versehen
Hg. v. Udo Achten
Düsseldorf: Grupello 2002. 296 S., geb.
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