backPLATTEN-PROJEKTE

Es gibt CDs und speziell CD-Serien, die sich den herkömmlichen Kriterien einer Rezension entziehen. Bei ambitionierten Konzepten greift das simple "Daumen rauf oder Daumen runter" einfach zu kurz. Gerade in einer Zeit, wo Tonträger preiswert produziert werden können und die Menge der Veröffentlichungen inflationär ist, sind anspruchsvolle Serien besonders wichtig. Andererseits müssen sich solche engagierten Vorhaben mit strengeren Maßstäben messen lassen als z.b. eine ordinäre Kompilation. In diesem Heft schreibt Nikolaus Gatter über

Süverkrüps Alters-/Abschiedswerk


Zu den Kindern seiner gesanglichen Muse hat Süverkrüp ein eigentümliches Verhältnis. Zur Welt gebracht hat er sie, mit geradezu wahnhafter Akribie großgezogen und in Form geknetet. An einem bestimmten Punkt seiner Laufbahn wurden sie mit gleicher unerbittlicher Konsequenz verstoßen und weggeschlossen. In seinem Beiheft kommentiert der Erzeuger diesen biographischen Schnitt: "Nicht, dass ich nicht fleißig gearbeitet hätte, nein, das gewiss nicht; aber alles, was ich begann, blieb irgendwann stecken wie das Wort im Halse und der Ruß im Ofenrohr." Wahrscheinlich hat Süverkrüp den eigenen Bühnenabschied schon 1970 prophezeit mit den (seit der letzten Bundestagswahl wieder geflügelten bzw. flügelstutzenden) Zeilen: "Ach mir ging der Zorn zur Neige / meine Sangeslust ward dünn / seit die SPD regiert im Land / wo ich geboren bin."

Nun aber erlebt er ein Comeback, das ihm selbst gar nicht recht zu sein scheint. Da lassen die redlichen Hebammer Rolf Limbach, seines Zeichens Conträr-Produzent, und Udo Achten, bekannt für Dokumentationen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Süverkrüp eine gediegene Werkschau angedeihen, und der Meister lässt kein gutes Haar am eignen Œuvre. Da ließe sich nichts aktualisieren, das sei Sperrmüll usw. Bleiben dem, der so hart und redlich zu Gericht mit sich geht, die Qualitäten verborgen? "Mecker doch nicht immer herum an deinen Sachen", muss ihn seine Ingrid ermahnen, wenn Süverkrüp lamentiert: "Beim Wiederhören bin ich fast wütend geworden... Wozu der alberne Hall? Warum ist das alles so breit ausgesungen? Und diese anschmeißerische Servierung! ... Und zum Schluss war mir überhaupt nicht mehr klar, was ich von alledem halten sollte."

Dabei hatte Süverkrüp schon als Gymnasiast Balladen und Moritaten geschrieben. 1952 bis 1956 studierte er Graphik, um, Ironie des Treppenwitzes, im Hauptberuf Art Director einer schwerstkommerziellen Düsseldorfer Werbefirma zu werden. Nebenher jazzte er mit den ‚Feetwarmers', was ihm eine Auszeichnung als bester Amateurgitarrist einbrachte. 1956 lernte er den frühverstorbenen Gerd Semmer kennen, dem nachgesagt wird, das Politchanson in Westdeutschland wiederbelebt zu haben. Ihm verdankte Süverkrüp Nachdichtungen von Liedern der Französischen Revolution, die er 1959 auf Ça ira einspielte. Mit Semmer, Arno Klönne und Frank Werkmeister gründete er den Pläne-Verlag und trat 1965 erstmals im WDR und bei den Ruhrfestspielen auf, spielte auf der Waldeck, in revoluzzenden Audimaxen, bei Weltjugendfestspielen in Ostberlin: "Wenn ich meine Zuhörer nicht auch unterhalten wollte, würde ich nicht singen, sondern vielleicht Reden halten", rechtfertigte er den damals bei allem Engagement hochgesteckten künstlerischen Anspruch. Mit der Kabarett-Rockgruppe Floh de Cologne, Streichern und Bläsern spielte Süverkrüp einen mozartesken Vietnamzyklus ein, mit Hüsch, Degenhardt und Neuss ging er '67 auf Tournee, '68 noch mal ohne Neuss als Trio.

Wer ihn zu Unrecht nur mit Agitprop identifiziert, wird sich beim Hören wundern, wie viele Farben Süverkrüp seit jeher beherrschte. Es scheint, als habe er sämtliche Genres mit dem ihm eigenen Perfektionsdrang durchdekliniert, um sie abzulegen und sogleich neue anzuprobieren: blaue Periode, rosa Periode, dunkelrot, schwarzgallig-melancholisch... Die wohlklingend-lässig tremolierende, überaus nuancenreiche Stimme bestreitet Trübsal-Chansons in Brelmanier (Landesvorratssong, 1964), Mickymaus (Lied eines heiseren Kindes), rheinische Mundart-Comedy (Touristenflamenco, 1962; Tach Frollein, 1977), romantische Balladen (Lied vom Tod, 1966) und überkandidelte Wortspielkaskaden (Schnulze et iucundum est, fürs Vaterland zu werben, 1965). Süverkrüps frühe Rezitative blieben nicht unbeeinflusst von Hüschs Kabarettstil (Fröhlich ißt du Wiener Schnitzel, 1965). Vorbild für agitierende "Straßenlieder" ist ein dezent ironisierter Ernst Busch. Soviel Gelenkigkeit führt den Artisten unweigerlich zur Parodie: auf Weihnachtslieder, Schlagermelodien. Countrysongs u. a., wie auch zum Meisterstück, die Erschröckliche Moritat vom Kryptokommunisten (1965), auf welche Süverkrüp, was jedem Künstler auf den Senkel geht, jahrzehntelang festgenagelt wurde. Doch auch hier will ihm die Einspielung gar nicht mehr gefallen: "Mir wurde erst später klar, was ich an gestischen Möglichkeiten verschenkt hatte", seufzt er - spätestens 1967, als sie sich im Kom(m)ödchenprogramm Bürger, schützt eure Anlagen! entfalteten!

Die Konstante in dieser Karriere blieb seine politische Orientierung. In den frühesten Liedern artikuliert Süverkrüp schon politisches Ungenügen am System: unmenschliche Arbeitswelt, Volksverdummung durch Konsum, Nichtvergehenwollen des Ewiggestrigen, unheilige Allianz von Kirche und Staat. Der Boss ist die Schurkentype schlechthin, Kapitalisten "hätten keineswegs nichts gegen einen neuen Faschismus, wenn er vonnöten wäre", Notstandsgesetzte dräuen mit Lagerhaft für Intellektuelle. An die Grenzen westlich-öffentlich-rechtlicher Narrenfreiheit stieß Süverkrüp dann wirklich mit dem Streiklied für die Phrix-Arbeiter aus dem Film Rote Fahnen sieht man besser. Und selbst der harmlose, in DKP-Kindergärten beliebte Baggerführer Willibald (1971) veranlasste Debatten im NRW-Landtag wegen "Verwendung eines Hetzliedes gegen das private Hauseigentum im Schulunterricht". Dabei hatte Süverkrüp ein Jahr zuvor schon das deutschlandselige Für ein Schul-Lesebuch gedacht abgeliefert und ein Deutschland besungen, dessen saftige Leiblichkeit wohl manchen Lehrer ins Stottern gebracht hat (falls es je im Unterricht durchgenommen wurde). Nach der endgültigen Einführung der Notstandsgesetze ist sein aufrichtiges Herzeleid, die Heimat nicht "wie im Scherz verlassen" zu können. Fast möchte man Süverkrüp für einen Melancholikus halten, der seinen Todfeind heimlich lieb hat, vielleicht gar selbst einst der gutgläubige SPD-Wähler war, den er mit rigider Verzweiflung attackiert. Ablehnung des kleineren Übels und der "Wandel-durch-Annäherung"-Ostpolitik ging einher mit bedingungsloser Anerkennung, ja, verzücktem Lobpreis des vermeintlichen Realsozialismus. Wirkt schon schön peinlich, wie der Sänger, der mutatis mutandis den Kommunistenfresser parodiert in Ungeschminkter Protest oder das DDRgernis (1971), sechs Minuten lang den heiseren Schurkenton durchhält. Ironisch ausgepinselte Horrorszenarien ("Ein riesiges Netz von geheimen Kanälen / durchzieht das gesamte besetzte Gebiet") soll ein DDR-Bühnenhelfer damals mit dem Stoßseufzer: "Genau so isses!" benickt haben.

Die CD-Box bildet die Nummernfolge der Pläne-Langspielplatten ab, mitunter werden Live-Einspielungen den damaligen Aufnahmen vorgezogen. Der gesamte Süverkrüp ist das nicht; so fehlen z. B. das genial-paranoische Das Leben - ein Supermarkt, nachzuhören auf der 1996 erschienenen Doppel-CD Quartett 67, und Das Lied vom Roten Punkt, das u. a. 1973 auf der Demo gegen Fahrpreiserhöhungen der KVB in Köln gesungen ward (als, notabene, ein Pferd der berittenen Polizei beinahe den Schal des Rezensenten gefressen hätte). Wenigstens im Buch nachzulesen sind das schöne, einst von Zupfgeigenhansel verkitschte Heimatlied und das gewerkschaftskritische Mailied von 1971 mit der Zeile "Klassenkampfthesen sind feiertagsstörend beim 1. Mai". Dafür gibt's zwei knappe Bonustracks auf CD No. 1 (eine Mickymaus-Improvisationszugabe) und 3 (Reminiszenz an die Niederlage der Pariser Commune). Zu verweisen ist auch auf die Mühsam-, Bellmann- und 1848-Einspielungen, die Conträr gesondert vorhält.

Nicht nur das Beiheft, auch das Begleitbuch illustriert des Künstlers Befremden im Lebensherbst. Zwischen 73 Liedtexte spannt er als Stolperdraht glossierende Erzählprosa. Sie leistet weder die wohl von manchen Genossen ersehnte Aktualisierung, noch eigentlich Brecht'sche Distanznahme. Süverkrüp hebt Runzeln und Altersflecken der Lieder brutal ins Licht und wickelt sie nicht in historische Fußnoten. Der geborgte "Läpptopf", ein etwas läppisches Leitmotiv, klemmt das Sammelsurium der künstlerischen Vita zusammen. Figuren wie Heinz Michel, Hans Dieckhoff, Baggerführer Willibald usw., keine von ihnen so nachhaltig bildhaft wie die Schmandhoffs & Co (weil Süverkrüp abstrakter und intelligenter volkstümelte als Degenhardt), treten ins virtuelle Leben und schlagen aus der Art: "Wir empfinden in Wirklichkeit nicht so destruktiv, wie wir sollen und müssen", beklagen sie sich. "Im Gegenteil, wir sind positiv gesonnen. Weil wir das aber niemals äußern durften, mussten wir zwangsläufig hier landen und stranden - und täten doch nichts lieber, als uns einzusetzen für die Aufrechterhaltung der überkommenen Ordnung." (S. 275) Doch was könnte ihr Schöpfer gegen sie noch verteidigen? Den rückblickenden Offenbarungseid formuliert er S. 96: "Revolution galt als so hip wie zwanzig Supertanker voll Babynahrung. Viele, vor allem jüngere Menschen engagierten sich für die Revolution, hofften auf sie, glaubten auf ihren baldigen Sieg... Man konnte schlimmen Horror stiften, einfach indem man die Unausweichlichkeit der Revolution zur Disposition stellte. Komisch, sich das vorzustellen! Doch wenn Sie zu den total Abgedrehten gehören, die bereit sind, einem so komplizierten gedanklichen Umweg zu folgen, finden Sie hier vielleicht etwas zeitgemäß Erbauliches. Das können Sie sich sehr schön über Ihren PC hängen." Besser eignen sich dafür die nicht weniger akribischen Radierungen des aus dem Liedermacher herausgewachsenen Graphikers, auch als Einzelblätter zu erwerben. Was soll's; mit Stasi-Politclowns à la Diether Dehm hat er sich nicht gemein gemacht, ein Preismagnet wie Biermann wurde er nie, siebzig wird er überhaupt erst im kommenden Jahr, am 30. Mai: Wir werden noch manches von Süverkrüp hören, immer wieder.

Süverkrüps Liederjahre 1963-1985 ff.

4-CD-Box mit Beiheft
Conträr 30 / INDIGO Best. Nr. 2075-2

Süverkrüps Liederjahre 1963-1985 ff

kurzweilig und bequem von vorne nach hinten zu lesen sowie mit 40 nachträglichen Radierungen des Urhebers versehen
Hg. v. Udo Achten
Düsseldorf: Grupello 2002. 296 S., geb.

Süverkrüps Liederjahre 1963-1985 ff.


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