backZwischen Wachbewusstsein und Wesensmitte

Trance

Gedanken zum Thema sakrale Musik

Wenn im Abendland kurz vor Weihnachten ein „Festival of Sacred Music“ angesagt ist, mag man sich die Frage stellen, wie weit der Begriff „Sakrale Musik“ eigentlich geht. Vor allem bei TranceKlängen, die sich unseren Hörgewohnheiten und unseren ästhetischen Konventionen entziehen. Wie lässt sich zudem die Verbindung von Gebet, Gebärde und Gesang, die sowohl in ihrer Kombination als auch in ihrer unendlich scheinenden monotonen Wiederholung befremden mag, übersetzen, verstehen, nachempfinden? Wo überhaupt geht es um rationalisierbaren Sinngehalt und wo um Wirkungsintensität, Erfahrungsrealität? Wo manifestiert sich – in Umkehrung unserer Denkweise – das Besondere, das Außergewöhnliche, erst durch ein gewolltes Verlassen des normalen Wachbewusstseins?

Hörtipps:

Trance – CD und Buch
(Ellipsis Arts, 1995;
präsentiert Naqshbandi Sufis of Turkestan,
Healing and Trance in Morocco,
Balinese Trance Ritual)

Tibet. Monks of the Sera Jé Monastery.
Ritual Music And Chants of the Gelug Tradition
(Amiata Records/Intuition;
www.amiatamedia.it)

Von Cathrin Alisch*

In Gesellschaften, die historisch weit zurückliegen, definierte man Zeit und Raum weniger homogen als in unserer modernen westlichen Welt. Fremd und vertraut wurde deutlich unterschieden, das Unbekannte mit einer Ambivalenz von Achtung und Angst betrachtet und oft – zunächst wertfrei – in den Bereich des Sakralen gerückt. In einer Frühzeit menschlicher Kulturgeschichte waren bestimmte Orte und periodisch wiederkehrende Momente heiligen Handlungen vorbehalten, damit entsprechenden Personengruppen und verlangten eine besondere Form der Kommunikation.

Musik gilt seit Urzeiten als Sprache der Götter, als Medium der Verständigung mit dem Himmel und der Unterwelt, mit einer wie auch immer gearteten überirdischen Sphäre und den Geistern der Verstorbenen. Ob durch die Trommel des sibirischen Schamanen, Obertöne buddhistischer Mönchsgesänge oder durch ein fast schlicht anmutendes Instrument wie das Schwirrholz (das allerdings weltweit zur Erzeugung so genannter Geisterstimmen genutzt worden und allein dessen Anblick im gegebenen Kontext dem Nichteingeweihten bei Todesstrafe verboten war) – musikalische Ereignisse im weitesten Sinne fallen mit dem Ursprung des Religiösen zusammen.

Dennoch führen spontane Assoziationen den modernen Zeitgenossen hierzulande bei dem Begriff Sakrale Musik selten über ein Ave Maria oder etwa Gregorianische Choräle hinaus.

Religiöser Tanz gar scheint für das Abendland überhaupt erst wieder neu entdeckt werden zu müssen. Historiker, Tanzethnologen und -pädagogen bemühen sich gleichermaßen darum.

In der Begegnung mit außereuropäischer Musik – ob im Ursprungsland oder als sozusagen Kulturexport auf hiesigen Bühnen – können bei einiger unvoreingenommener Aufmerksamkeit nicht nur die engen Gattungsgrenzen zwischen Bewegung, Klang und Sprache als durchlässiger, sondern auch eine mögliche, tieferliegende Funktionalität musikalischer TranceStrukturen wiederentdeckt werden. Ob man sich mit islamischen, buddhistischen oder hinduistischen zeremoniellen Traditionen beschäftigt, die Agierenden aus Pakistan, Tibet oder Marokko kommen – die eigentliche Dimension all dessen, was mit Sakraler Musik gemeint ist, wird nur deutlich, wenn die eigenen Tabus, Hörgewohnheiten und klangästhetischen Konventionen in Frage gestellt werden.

Wir reden über Trance, ein Phänomen, das synonym mit den Anfängen von Musik, Magie und Urformen des Religiösen gesetzt werden kann, das vielen Generationen vor uns Garant im Zugang zum Heiligen war und nach wie vor wesentliches zeremonielles und therapeutisch hochwirksames Element in außereuropäischen Gesellschaften ist.

In unserem Kulturkreis wurde das Christentum 380 u.Z. zur offiziellen Staatsreligion erklärt und begann im Zusammenhang mit der römischen Eroberungspolitik bald darauf, seine körperfeindliche Morallehre mit all den damit verbundenen Restriktionen für Musik und Tanz über ganz Europa zu verbreiten und in der Folge noch darüber hinaus. Wir kennen die Geschichte und haben kaum mehr eine sinnlich nachvollziehbare Vorstellung von einem „Beten mit den Füßen“ oder einem „Gesang als Gabe an die Götter“.


* Cathrin Alisch ist Musikethnologin (Spezialgebiet musikalische Frühgeschichte und Tanzforschung), sie hat zu Musik und Mythologie im slawischen Kulturkreis promoviert (Dr. phil.) und arbeitet seitdem als Dozentin für Kultursemiotik und interkulturelle Kommunikation an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder.


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im Folker! 4/2003