backFerner liefen...

Lockerungsübung gefällig? Spässken muss sein. Sonst lohnt et sich nicht. Machen wir uns heute mal kein Abendbrot und nichts vor: Erfinden wir einen Trend! „Trendforscher“ Matthias Horx geht schließlich seit Jahren mit gutem Beispiel voran. Was könnt' man in die Welt setzen, was sich garantiert herumspricht, in die Illustriertenpresse wandert, von Eierköpfen im TV diskutiert wird und zur Gründung sich rasch vermehrender Fanclubs, Sonderforschungsbereiche und Ausbildungszentren führt? Und ganz nebenbei zahlreiche Menschen ins Brot setzt, die zu Clements Verdruss bisher weitgehend unbeschäftigt ihr Arbeitslosengeld verzehren?

Nicht den üblichen Gymnasialstreich, Barometer an die Glühbirne halten oder dergleichen, pantomimisch Hitzschlag suggerieren, um früher frei zu kriegen. Kein kleinerer Hoax wie den mit dem Bio-Benzin (kennen Sie nicht? Benzin aus Rhabarberstauden, gibt's in Kanistern aus dem Drogeriemarkt, verbrennt ph-neutral und rückstandsfrei, hab meinen Geländewagen längst darauf umrüsten lassen, und tanke regelmäßig an der Zapfsäule im Greenpeace-Ausbildungslager). Auch kein „längeres Gedankenspiel“ wie damals, als wir mal zu dritt beim Guitarissimo-Konzert von Peter Horton und Sigi Schwab waren, und sich der eine wunderte, wieso nur Horton die Ansagen macht und Schwab den ganzen Abend lang keine Silbe äußert. Da zischten ihm die andern beiden zu: Wie soll er denn, wo Sigi Schwab doch taubstumm ist? Das wusstest du nicht? Aber ja doch! Der ist so geboren, darum ist es ja so phantastisch, wie gut er Gitarre spielt, obwohl er keine Note hört... und der eine Bekannte lauschte offenen Mundes dem Ironfinger-Wirbelpicking. Heraus kam's dann anderthalb Stunden später, als Sigi nach verklungenem Applaus bei sich leerendem Saal die Bühne verließ, über ein Kabel stolperte und „Scheiße“ murrte. Dass ich derjenige war, der sich nasführen ließ, ist allerdings ein böswilliges Gerücht, das sich die andern beiden, notorische Lügenbarone, ausgedacht haben.

Was also könnte Trend werden? Esoterisches kommt immer gut, siehe Aloe Vera, derzeit Bestseller in allen Formaten. Diese Gesundheitswelle dampfwalzt sowieso über uns hinweg, ein Ende ist nicht abzusehen. Was das ist? Eine stachlige Lilienart, dick abgefüllt mit Vitaminen, Mineralsalzen, Aminosäuren, Enzymen und anderen verkaufs-, äh, verdauungsfördernden Fermenten. Die Wissenschaft hat im Aloe-Vera-Saft rund 400 Wirkstoffe nachgewiesen. Kein Wunder, wenn es schon ägyptische Pharaonen und chinesische Kaiser benutzten. Aristoteles soll Alexander den Großen zur Eroberung der Insel Sokotra überredet haben, damit seine Krieger genug von dem Grünzeug für die Lazarettpflege sammeln konnten. Der römische Heilkundler Dioskurides verschrieb Aloe-Saft zur Wundbehandlung, bei Magen- und Darmbeschwerden, Zahnfleischentzündung, Gelenkschmerzen, Juckreiz, Sonnenbrand, Akne und Haarausfall. Columbus nahm die Pflanze in Keramikpötten nach Amerika mit (eigentlich fuhr er ja auch nach Indien). 104 Jahre lang jeden Tag einige Tröpfchen Schwedenkräuter nahm der schwedische Arzt Dr. Yernest zu sich und erreichte ein schönes Alter, bevor er vom Pferd fiel und starb. Sein Vater wurde 107, seine Mutter 112. Die Rezeptur, jahrhundertelang Familiengeheimnis, ist heute bekannt; neben Branntwein war Aloe aus Sokotra drin.

Von Aloe Vera zu Ayurveda ist's nur ein Zungenbrecher. Auf Sanskrit heißt die Kultlilie Ghrita-kumari. Kuman heißt auch „Mädchen“ - angeblich verleiht der Wundersaft den Frauen die Energie der Jugend und soll auf die weibliche Natur regenerierend wirken. Ich hab's! Dessous wollte ich schon immer mal verkaufen. Also: Damenunterwäsche mit Aloe-Vera-Extrakt. Als Slip, Unterhemd oder BH. Im Skin-to-Skin-look, softig-weich, 89 % Polyamid, 11 % Elastan, Größen S-L, je Unterhemd, BH oder 2 Slips nur 5.99 Euro. Zu schade, dass ich das nicht selber erfunden habe, sondern aus Anzeigen der Aldi-Südkette im Gratis-Wochenblatt zitiere. Außerdem ist die Produktdiversifizierung bei Aloe Vera allmählich ausgereizt. Wahrscheinlich verdient irgendein mafiöser Orientalenklan an jeder Verkaufseinheit seine Prozentchen und führt sie an Al Qaida ab. Das Zeug gibt's neuerdings als Ratgeber, als Film, in Pillenform, als Fußpuder, als Hautcreme und Schönheitsmilch, Diätyoghurt und sogar Karriere-Gleitmittel: „Existenzgründung mit Aloe Vera!“ lautet die Überschrift auf bunten Zettelchen, die von den Heinzelmännchen hier im Viertel an die Windschutzscheiben geklemmt werden. Früher las man dort nur von hundertprozentigen Gewinnchancen im Außendienstbereich, oder von schlankheitsbefördernden Nährmittellösungen, die man in sektenähnlichen Gruppenabenden zu sich nimmt.

Textil und Esoterik, das war schon mal vom Ansatz her nicht übel. Wenn ich meine Lebensabschnittsgefährtin so sehe, wie sie feierabends ein Jäckchen strickt, und dabei den ganzen stressigen Alltag abreagiert, fällt es mir ein: Klamotten ohne Pestizide - als Kampagne war das schon ganz schön. Als nächstes wird es auf gut deutsch heißen: Kein outdoor gear mit bad vibrations. Denn: Wie sich das schnöde normale Meersalz an gewesene Verschmutzungen des Meeres „erinnert“ (weshalb man das erinnerungsarme Himalayasalz, das noch aus der Urzeit vor der Ölpest stammt, für 20 Euro das Pfund kaufen soll), erinnern sich auch die Kleider an die Wut und den Frust derer, die sie gemacht haben. Steht schon bei Heine, Die schlesischen Weber. „Sie weben hinein den dreifachen Fluch...“ Milch von glücklichen Kühen, Kleider nur von gutgelaunten und wohlgenährten Näherinnen. Das versöhnt die Esoteriker übrigens gleich mit den Gegnern der Kinderarbeit in der Textilindustrie. Beim Wäschewringen genauso; das darf kein aggressives Wrestling sein, nötig sind schonende Heißluft-Entfeuchtungsanlagen. Ein Argument mehr für den Tumbler. Und das dann auch gleich auf das Bügeln übertragen. Wie sieht das denn aus, wenn der ganze Bügelfrust der Hausfrau als Steifheit in den Anzughosen hängen bleibt. Locker bleiben, easy, nicht so verkrampft! Eure Klamotten wollen angenommen, geliebt und umschmeichelt sein. Sie schätzen eher unbehandeltes Zedernholz als Mottenkugeln, und werden depressiv, wenn sie allzu lange unbeachtet im Schrank herumhängen. Klopft den Jacketts ruhig mal auf die Schulter, sagt ihnen, dass sie einen wunderbaren Job tun. Wie viele eurer Socken-Singles wurden unvermittelt bei irgendeinem Waschgang von ihrem Partner verlassen, der angeblich nur Zigaretten holen wollte. Setzt euch doch einfach mal hinein, hört eurer Wäsche zu, wenn sie sich blass fühlt, zu eng oder zu lang, der aktuellen Mode entfremdet. Gesprächsgruppen im Garderobenschrank - das ist der neue Esoterik-Trend. Weitersagen!

Nikolaus Gatter
go! www.lesefrucht.de


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