backFolker!-Gespräch beim Festival „Musik und Politik 2003“

Musik und Zensur nach dem 11. September

Eine Dokumentation

Informationen über Freemuse – The World Forum On Music & Censorship
go! www.freemuse.org

Informationen über das Festival „Musik und Politik“
go! www.songklub.de

Buchtipps:

Werner Pieper: „Verfemt, Verbannt, Verboten – Musik und Zensur – weltweit“ Der Grüne Zweig, Löhrbach 1999. (Teilauflage mit CD „Smashed Hits – Zensierte Musik)
Werner Pieper: „ Musik & Zensur in den diversen Deutschlands der letzten 500 Jahre“ Der Grüne Zweig, Löhrbach 2001.

Mit Ska-Punk aus Hamburg mit der Gruppe Rantanplan begann das diesjährige Festival „Musik und Politik“ vom 20. bis 23. Februar in Berlin. Mit einer gesungenen Buchvorstellung mit Dieter Süverkrüp* ging es zu Ende. Dawischen lagen Konzerte mit Attila The Stockbrocker aus England, Tommy Sands aus Nordirland, Hans-Eckardt Wenzel sowie Alexander Gorodnitzki aus Russland. Unter der Überschrift „Ostberlin-Westberlin – Musik in den 70er und 80er Jahren“ gab es zudem Gespräche, eine Ausstellung und das Liederkino mit Filmen, die Auftritte von Künstlern aus Ost und West dokumentierten – die Reihe der MusikerInnen reichte von Wolf Biermann und dem Hanns-Eisler-Chor über Heinz-Rudolf Kunze und Udo Lindenberg bis zu Barbara Thalheim, Ton Steine Scherben und Wenzel & Mensching. Das Festival „Musik und Politik“ war in diesem Jahr eine abgespeckte Veranstaltung. Nahezu sämtliche öffentliche Zuschüsse waren gekappt worden. Für eine kurze Zeit stand die Durchführung des Festivals sogar auf der Kippe. Die Veranstalter entschieden sich dann für eine „Sparvariante“, so Lutz Kirchenwitz vom Verein Lied und soziale Bewegungen.

Der Folker! als einer der Medienpartner organisierte wie schon in den vergangenen Jahren in der Reihe „Folker!-Gespräch“ eine der Diskussionsrunden beim Festival. Unter der Leitung von Michael Kleff diskutierten der Autor und Verleger Werner Pieper sowie der Autor Werner Büsser über das Thema „Musik und Zensur nach dem 11. September“. Der Stuhl für einen ebenfalls geladenen Vertreter der amerikanischen Botschaft blieb leer. Zwar schon im Dezember eingeladen, wurde den Veranstaltern auf wiederholte Nachfrage Mitte Januar per eMail von der Botschaft mitgeteilt, dass man leider keinen Vertreter entsenden könnte.

Nachfolgend werden gekürzte Auszüge aus dem Folker!-Gespräch dokumentiert (zur besseren Verständlichkeit wurden einzelne Passagen geringfügig bearbeitet).

Werner Pieper: Ich bin ein neugieriger Mensch. Ich habe 1965 eine Schülerzeitung gemacht, im Sauerland, in Westfalen. Es war nicht witzig als einziges evangelisches Kind in einer katholischen Schule. Ich schrieb einen Artikel, in dem ich 1965 die Anerkennung der DDR forderte. Die Schülerzeitung wurde vom Direktor eigenhändig eingesammelt in allen Klassen und auf dem Schulhof verbrannt. ... Ich war in den späten 60er, frühen 70er Jahren ein paar Jahre Haschisch- und LSD-Händler in Heidelberg. So bin ich zum Verlegen gekommen, habe dann viele Bücher über psychoaktive Substanzen geschrieben, die teilweise irgendwann zwar nicht verboten wurden, weil in diesem Land werden ja keine Bücher verboten, aber sie wurden indiziert. ... Es sind dieselben politischen Mächte, die psychoaktive Substanzen, im Volksgebrauch Drogen genannt, und Musik verbieten. Das läuft häufig parallel durch die Geschichte durch. Und irgendwann kam mir der Gedanke: Welche Musik war eigentlich wann mal verboten? Und ich dachte, ich geh in 'nen Laden und kauf mir das Buch, und das Buch gab's nicht. Dann fing ich an zu recherchieren, dachte, das Buch muss ich halt zusammenstellen. Dann habe ich von Marie Korpe (Danish Centre for Human Rights) und Ole Reitov (Radio Danmark) von Freemuse (Freedom of Musical Expression) gehört. Das Buch „Musik und Zensur weltweit“ ist die Zusammenfassung der ersten Konferenz von Freemuse 1997 in Kopenhagen. Da sind Beiträge aus 40 verschiedenen Ländern der Erde über die Musik, die bei ihnen verboten wurde oder verboten ist. Und dann habe ich halt irgendwann den zweiten Band gemacht, wo es um 500 Jahre Musikzensur in den diversen Deutschlands geht.

Martin Büsser: Mein Buch „Wie klingt die neue Mitte?“ mit dem Untertitel „Über rechte und reaktionäre Tendenzen in der Popkultur“ war schon vor dem 11. September auf dem Markt. Und da geht es um die eher unerfreuliche Geschichte, dass seit den 80er Jahren verstärkt eben auch rechte Texte, rechte Subkulturen entstanden sind, die dann sogar in den 90ern bis in den Mainstream gelangt sind, Stichwort Böhse Onkelz etc. Und dieses Buch habe ich abgeschlossen mit der Frage: Was gibt es überhaupt noch an widerständigen oder linken Phänomenen? Und bin schon noch fündig geworden in den verschiedensten Subkulturen. Allerdings um den Preis, dass eine Musik, die dezidiert politisch, sagen wir mal links ist, es schwerer hat, überhaupt noch Mainstream kompatibel zu sein und viele zu erreichen. Das war die Ausgangslage, bevor es zum 11. September kam, dass Jugendkultur und damit die Musik verbunden nicht mehr notgedrungen an so'nen linken Kosmos andocken, sondern dass es da sehr viele rechte Subkulturen und Enklaven gibt. Was mir dann allerdings aufgefallen ist bei der Beschäftigung mit dem Thema Musik nach dem 11. September, vor allem auch, wenn man sich die Subkulturen in den USA anschaut, dass viele Musiker eine Art von …, ja Repolitisierung erfahren haben und damit eben auch wieder politische Texte machen oder sich über andere Wege, und sei's auch nur die Homepage einer Band und das, was sie da für Links zu Noam Chomsky oder sonst was legen, dass sie sich damit politisch verorten.

Es gibt ja verschiedene Formen von Zensur. Und viel Musik, mit der ich mich beschäftige, spielt eben in den Randbereichen, die im weitesten Sinne independent heißen, also Labels und Bands, die die Arbeiten selbst in die Hand nehmen, die eigene Strukturen gründen, die nicht abhängig sein wollen von den großen Konzernen und auch gar nicht abhängig sein können von Radiostationen, weil ihre Musik zu sperrig ist oder die Texte zu sperrig sind. Und das sind eigentlich auch schon vor dem 11. September Opfer einer, ich sage mal, indirekten Zensur. Wenn wir uns anschauen, wie im Westen das kommerzielle Radio gestrickt ist, wie dort eben über Quoten und ganz genaue Rotationsprinzipien ganz bestimmte Charts geschaffen werden, haben 90 Prozent der Musik, die hier im Westen gemacht wird, überhaupt keine Chance, gespielt zu werden, weil die überhaupt nicht reinpassen in dieses Muster. Und, naja gut, indirekte Zensur klingt ein bisschen blöd, weil die Sachen gibt es natürlich, in den großen Plattenläden dieser Welt kann man alles Mögliche kaufen, aber es findet eine Selektion statt.

Michael Kleff: Vielleicht nachgefasst noch mal mit Blick auf den 11. September, weil du den Bruch ja bewusst gemacht hast. Offensichtlich hat in bestimmten Bereichen eine Repolitisierung stattgefunden, dass sich Künstler, Gruppen politisch indirekt oder direkt politisch äußern. Vielleicht kannst du da noch ein paar Beispiele mehr geben auch mit Blick auf Deutschland.


* Die CD-Box „Süverkrüps Liederjahre – 1963-1985ff“ und das gleichnamige Buch sind Thema der Reihe „Besondere Plattenserien“ in der nächsten Ausgabe des Folker!


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im Folker! 3/2003