backSchmerz, lass nach

Großmeister des zeitgenössischen Songs:
Richard Thompson

Ringen, gewinnen, verlieren – und das Ganze von vorn: Der einzige praktizierende Moslem unter den großen Singer/Songwritern der Gegenwart, weltzugewandt und personifizierter Ausgleich zwischen den Blöcken, ist künstlerisch in Topform.

Von Christian Beck

go! www.richardthompson-music.com
Discographie
(Auswahl):

mit Fairport Convention (1968-1970):
„Fairport Convention“ (Polydor, 1968)
„What We Did on Our Holidays“ (Hannibal, 1969)
„Unhalfbricking“ (Hannibal, 1969)
„Liege & Lief“ (A & M, 1969)
„Full House“ (Hannibal, 1970)

Richard & Linda Thompson (1974-1982):
„I Want to See the Bright Lights Tonight“
  (Hannibal, 1974)
„Shoot Out the Lights“ (Hannibal, 1982)

Richard Thompson (seit 1972):
„Henry the Human Fly“ (Hannibal, 1972)
„Sweet Talker: Original Music From the Movie“
  (Capitol, 1992)
„You? Me? Us?“ (Do-Album, Capitol, 1996)
„Mock Tudor“ (Capitol, 1999)
„The Old Kit Bag“ (Cooking Vinyl, 2003)

Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. „Für mich misst sich Erfolg nach zwei Parametern“, sagt der Mann, der mehr als einmal als „einer der ungehobenen Schätze der Rockmusik“ (Berliner Zeitung) oder Ähnliches bezeichnet wurde beim improvisierten Backstage-Interview zwischen Soundcheck und Gig: „Auf der künstlerischen Ebene und darin, diese Tatsache unter die Leute zu bringen. Unter dem Aspekt der Vermittlung meiner Songs, finde ich, bin ich durchaus erfolgreich gewesen bisher: Das Publikum ist sehr gut, ich verkaufe tatsächlich eine Menge Platten, ich wüsste nicht, was ich mehr erwarten könnte. Es ist genug: Richard ThompsonIch habe ein angenehmes Auskommen, ich bekomme von den Leuten genug Liebe zurück, genug Feedback.“ Künstlerisch dagegen sieht die Sache nach Meinung des Künstlers selbst schon ganz anders aus: „Ob ich unter dem künstlerischen Aspekt zufrieden bin mit meiner Karriere? Nein. Nicht genug Qualität. Nicht genug Songs. Nicht genug Übung. Nicht genug Recherche ...“ Und um die Tirade abzukürzen, bevor sie aus dem Ruder läuft – er könnte vermutlich ewig so weitermachen mit der Aufzählung seiner Defizite: „Künstlerisch müsste einfach mehr auf der Haben-Seite stehen. Ich kann mehr, als das, was ich bisher geleistet habe.“ Mehr Recherche, mehr Songs, mehr Übung, mehr Songs, mehr Qualität.

Das Leben ist Veränderung

Wirtschaftlich zufrieden, aber künstlerisch nicht? Eher hätte man doch das Gegenteil erwartet vom Mann, der das zeitgenössische westliche Lieben und Leben wie kein zweiter in immer neue Songs zwischen althergebrachtem Folk und zeitgenössischem Rock'n'Roll gießt, vom ersten Sehnen davor über die Erfüllung dabei bis zum Scheitern danach und immer so weiter. Auch der Kanon der Richard-Thompson-Berichterstattung funktioniert schließlich seit Jahr und Tag nach haargenau dem gegenteiligen Schema F: „F“ wie „fantastische Alben“, verglichen mit vielen erheblich Geringeren unter der Singer/Songwriter-Sonne jedoch „fatal unter Wert verkauft“. Eine Schere, die sich seit dem historischen Moment der Rockmusik zu Beginn von Thompsons Karriere in den Spätsechzigern, als die beste Musik auch die größten Stückzahlen absetzte, bis heute immer weiter öffnet. Schließlich kam sogar der Tag, an dem es für den Künstler hieß, Abschied von einem weiteren Label zu nehmen und für das aktuelle AlbumRichard Thompson „The Old Kit Bag“ im Herbst der Karriere noch einmal zu einer Indiefirma zu wechseln. Das Leben ist Veränderung: „Ich hatte einen Vertrag über sechs Alben mit Capitol beendet, der Zeitpunkt war günstig zu einem kleineren Label zu wechseln. Das Musikgeschäft hat sich so immens verändert, es ist so unpersönlich geworden und so fixiert aufs Geld“. Die großen Plattenfirmen seien vor lauter Megaseller-Wahn überhaupt nicht mehr in der Lage, inhaltlich sinnvoll und in der angemessenen Größenordnung für Künstler zu arbeiten, deren Verkaufszahlen sich – wie bei Thompson – unter einer halben Million Exemplare bewegten. Zieht man außerdem in Betracht, dass ihm nach mehr als 35 Jahren im Geschäft kein einziges seiner Alben gehört, kann man sich vorstellen, wie viel ihn am Ende bei der ehemaligen Beatles-Plattenfirma hielt – also ab unter die Fittiche Cooking Vinyls.

Ohnehin erwies sich Richard Thompson, in Leben wie Karriere gleichermaßen, schon des öfteren als außerordentlich beweglich: Fairport Convention, die Folkrock-Miterfinder, mit denen er schon als Jugendlicher zu frühem Ruhm gekommen war, verließ er nach fünf Jahren und ebenso vielen Alben; Anfang der Siebziger heiratete er Linda Peters, die bei Fairport Convention auf Sandy Denny als Sängerin gefolgt war, arbeitete fortan im Duo mit ihr bis Anfang der Achtziger, als mit der beruflichen auch die private Trennung kam; Mitte der Achtziger verlegte der Rock'n'Roller mit ungewöhnlich tiefen Wurzeln in den angelsächsischen Musiktraditionen seinen Wohnsitz von England nach Kalifornien – wo seine ausgeprägt britischen musikalischen Wurzeln übrigens noch stärker zutage träten als jemals zuvor: „James Joyce schrieb sehr intensive Bücher über Dublin in Paris und Zürich: Es wird aus der Distanz manchmal alles noch klarer ...“

Man ist, wer man ist

Und dann ist da natürlich auch noch die viel zitierte Konversion zum Islam, Anfang der Siebziger vorgenommen und seitdem auch nie wieder revidiert: „Man ist, wer man ist. Wenn ich mich also als Moslem betrachte, dann war ich immer einer, habe es nur nicht realisiert. Schließlich wurde mir bewusst, dass es das war, was ich bin, ein Moslem.“ Wie das vonstatten ging? „Ich glaube, Gott zog mich da hin.“ Was machte den Unterschied zu anderen religiösen Modellen? „Das ist oft das Problem. Es gibt sehr wenig Unterschiede. Die Leute legen sehr viel Wert auf die Unterschiede zwischen den Religionen, speziell zwischen dem Islam, dem Judaismus und dem Christentum. Dabei sind sie sich sehr, sehr ähnlich. Es gibt dieselben Propheten, dieselbe Tradition. Sie haben wesentlich mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede.“ Im Alltag zumal: „Im täglichen Leben macht es für mich kaum einen Unterschied. Ich ziehe mich nicht exotisch

an oder so. Ich bin schließlich immer noch ein Rock'n'Roller ...“ Eine Tatsache, die bei der mitunter durchaus hysterischen Aufmerksamkeit, die Moslems wie Thompson als Individuen zwischen den Blöcken derzeit gern zufällt, in der Richard ThompsonRegel geflissentlich übersehen wird. Dabei markiert sie besser als sonst ein Detail den entscheidenden Punkt: Was einer aus seiner Religion macht, liegt immer noch an ihm selbst! Und das Spektrum könnte breiter nicht sein: „Es gibt bei den Taliban Leute, die mich womöglich töten würden, wenn sie die Gelegenheit hätten.“ Woran man sehr handfest erkennen kann, welcher Natur Richard Thompsons Bekenntnis zum Islam ist, nämlich einer rein privaten, spirituellen: „Musik ist eine sehr spirituelle Angelegenheit. Charlie Parkers Musik – wirklich spirituelle Musik. John Coltrane. Diese Leute mögen ein Drogenproblem gehabt haben, aber in ihrer Musik verliehen sie diesem unbändigen Sehnen Ausdruck. Wenn man sich der Musik öffnet, führt es einen auf einen spirituellen Pfad und diese Bedürfnisse muss man befriedigen.“ Sufismus und später Islam waren für Thompson Anfang der Siebziger, als es passierte, lediglich die verständlichsten und direktesten Wege zu seinem eigenen Inneren.


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im Folker! 3/2003