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Bielefeld: die Hauptstadt der deutschen Concertina-Szene

„Pass auf, dass du dir nach dem Melken die Hände abputzt!“

So kann es gehen, wenn im Mai die Nächte lau sind, der Vollmond am Himmel steht und man die Zeit vergisst. Dann endet die Session erst, wenn über dem Gartenzaun blaue Lichter kreisen.

11. Deutsches Concertina-Treffen:
9. bis 11. Mai 2003 in Bielefeld

Information unter
go! www.concertina.de

Doch die Polizei ist freundlich in Bielefeld: „Na, Sie fragen sich doch bestimmt schon die ganze Zeit, wann wir endlich kommen“, grinst der Beamte – und bittet höflich, die Session doch im Haus fortzusetzen. Es hätten sich auch Nachbarn von weiter weg beschwert. Vielleicht gehört eine irische Session nachts um zwei ja wirklich nicht in einen Garten – mitten in der Stadt. Schon gar nicht, wenn es sich um eine Concertina-Session handelt. Das Instrument steht nicht gerade in dem Ruf, besonders leise zu sein.

Von Christian Kranz

Entwickelt aus einem Vorläufer des deutschen Bandoneons, wandelte sich das Instrument im England des 19. Jahrhunderts zur Concertina – in zwei Varianten und zahllose Unterarten. Swing-Legende Pietro Valente in Bielefeld 2000Heute ist sie aus der irischen und englischen Folk-Musik nicht mehr wegzudenken. Bei jungen Bands wie Nomos oder Cían spielt die Concertina eine tragende Rolle. Die English Concertina ist gleichtönig. Ihre 48 bis 64 Knöpfe geben auf Druck und Zug den gleichen Ton von sich. Die Anglo-German (Irish) Concertina ist diatonisch. Jeder ihrer bis zu 38 Knöpfe ist mit zwei Tönen belegt. Mit der rechten und der linken Hand kann man auf ihr sogar in zwei Oktaven gleichzeitig spielen – eine Technik, die vor 100 Jahren dazu diente, ein einzelnes Instrument auf Tanzveranstaltungen lauter zu machen, wenn man sich nur einen Musiker leisten konnte und kein ganzes Orchester. Die zweireihige Deutsche Konzertina hat ein paar Knöpfe und Halbtöne weniger, ähnelt aber sonst der Anglo.

Initialzündung beim Irish Folk Festival

Schätzungsweise 100 Concertina-Spieler gibt es in Deutschland – vielleicht mögen es ein paar mehr sein. Doch Lehrer sind auf dem Kontinent so schwer zu finden wie brauchbare Instrumente. Dass sich heute zumindest einige der Spieler kennen, ist Mario Kliemann aus Bielefeld zu verdanken, der im Jahr 1992 zum ersten deutschen Concertina-Wochenende einlud. 14 junge Leute sind auf dem Foto der Bielefelder Zeitung vom 11. Mai 1992 zu sehen. Am Sonntagnachmittag um 15 Uhr war das Treffen beendet. Zwei Stunden später standen immer noch Grüppchen an den Autos und diskutierten. Als die Karawane schließlich auf der Autobahn verschwunden war, fand Mario Tim Collins (links) beim Unterricht an der Anglo-Irish-Concertina 1998Kliemann es plötzlich sehr still in Bielefeld und der traurige Flatbush-Waltz, den Ingeborg zum Abschied gespielt hatte, ging ihm nicht aus dem Kopf. Vielen anderen, die bisher immer nur für sich allein gespielt hatten, ging es ähnlich. Das Deutsche Concertina-Treffen (immer am zweiten Mai-Wochenende, am Muttertag in Bielefeld) war geboren. Bereits im zweiten Jahr – 1993 – gab es ein richtiges Programm, 35 Teilnehmer und einen irischen Lehrer – den irischen Concertina-Virtuosen schlechthin: Noel Hill. Seine CD „The Irish Concertina“ und sein Auftritt beim Irish Folk Festival 1991 waren in Deutschland für viele die Initialzündung, dieses unscheinbare, aber laute Instrument zu lernen, auf dem jede Melodie ein bisschen wehmütig klingt.

Nicht festgelegt auf irische Musik

Seit 1993 schwebt der Geist des Meisters nun schon unheilvoll über Bielefeld. „Wie viele Teilnehmer eines deutschen Concertina-Treffens braucht es, um eine Glühbirne einzuschrauben?“, spottet Winfried und beantwortet die Frage gleich selbst: „Alle. Einer schraubt sie rein und die anderen diskutieren, wie Noel Hill es gemacht hätte.“ Seit 1993 mussten die Anglo-Spieler zur Concertina-Treffen auf der Ostsee im September 2000Kenntnis nehmen, dass es außer Noel Hill noch andere gute Irish-Concertina-Spieler und -Lehrer gibt: Seitdem unterrichteten in Bielefeld John McMahon, Aogán Lynch (Slide), Micheál O'Raghallaigh (Providence), Tim Collins (Kilfenora Ceili Band) und Brid Meany. In diesem Jahr wird Aoife O'Connor aus Dublin die Classes geben. Und wenn Aoife dann sagt, dass ein bestimmter Ton nur auf einer bestimmten Taste auf Zug gespielt werden sollte, erinnert garantiert wieder jemand daran, dass Noel Hill es aber einst genau andersherum erklärt habe.

Auch wenn jedes Jahr ein Lehrer aus Irland eingeladen wird und die Zahl der Anglo-Spieler am stärksten zunimmt: Das Concertina-Treffen in Bielefeld ist – im Unterschied zu vielen anderen – nicht festgelegt auf irische Musik. In Deutschland wird die Ziehharmonika vor allem mit Circusclowns und Seefahrern in Verbindung gebracht. „Circusclowns“ fanden dann auch schon bald den Weg nach Bielefeld, und selbst zur See sollten einige Concertinas wieder fahren. Davon später.


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im Folker! 3/2003