backFerner liefen...

Spannenlanger Hansel, nudeldicke Dirn. Eineinviertel Zentner bei einer Körpergröße von 167 Zentimetern sind einem New Yorker Anwalt Anlass genug, die Fleischklops-Industrie vor den Kadi zu bringen. Mit seinem Beistand verklagen zwei übergewichtige Teenies im Alter von 14 und 19 eine bekannte Schnellimbisskette, weil Ronald McDonald sie nicht vor dem übermäßigen Verzehr von Hamburgern mit Pommes gewarnt habe. Das Ergebnis wird eine fette Entschädigungssumme für die Betroffenen sein, Verteuerung der Krankenversicherung für Nichtvegetarier, bestenfalls ein wohlig-schaudererregendes Totenkopf-Giftlogo auf recyclefähigen Hamburger-Kartons: Der Gesundheitsminister von Meck-Pomm rät...

Michael "Jacko" Jackson, der bekannte Selbstverstümmler mit der chlorgebleichten Elephant-Man-Visage, wird womöglich selber verklagt, z. B. vom Kinderschutzbund, wegen fahrlässigen "Babybaumelns", bei dem er sich zu weit aus dem Fenster gelehnt habe: seinen neunmonatigen Sprössling demonstrativ am Handgelenk aus der Fürstensuite im Adlon-Hotel vorweisend. Gut, wenn sich die SPD-Fraktion im Bundestag nach den Stammtischen auch die Lufthoheit über Kinderbetten erobern will. Die Tendenz ist klar erkennbar. Körperpolitik allerorten. Was von uns bleibt, ist nicht der Geist. Seit der Materialismus die Macht übernommen hat, klebt krude Leiblichkeit an den Kolumnen. Kein Wunder, wenn Gerichtsmediziner/-innen im Tatort-Krimi täppischen Kommissaren die Schau stehlen, und wenn der bundesdeutsche Starpräparator Gunter von Hagens Leichenzerlegungen und Plastilinkonservierung nunmehr vor laufender live-Kamera vornimmt.

Aber merke: Ohne Pappkarton keine Schlagzeile. Auf die Verpackung kommt es an. Das war schon bei Schäubles Koffermillionen nicht anders. Nie hätte der CDU-Spendenskandal aufgekocht werden können, wären die Spenden auf einem lapidaren Überweisungsträger eingegangen - Zahlungsempfänger, Datum, Unterschrift, fertig. Nach ehernen Medienregeln musste es ein Pappkarton sein, als Bettina Röhl, Autorin bei BILD und Madeburger Volksstimme, das Wiederauftauchen von Ulrike Meinhofs Gehirn meldete. Die Leiche war 1976 von der Staatsanwalt Stuttgart zur Ermittlung der Todesursache (nach allen vorhandenen Informationen: Selbstmord) asserviert worden. Aber als Otto Schily, Klaus Wagenbach und einige Hundertschaften vermummter Demonstranten die Meinhof zu Grabe trugen, ward das Denkorgan von der Staatsanwaltschaft nicht mitgeliefert. Der erste, der hiervon erfuhr, war Witwer und Ex-Konkret-Herausgeber Klaus Rainer Röhl (der im vorgerückten Alter sein eigenes Hirn an der Biegung des Historikerstreits begraben ließ, als er mit einer dürftigen KPD-gleich-NSDAP-Aufrechnung bei Ernst Nolte promovierte). Den rief im Oktober 2002 ein recherchierender SPIEGEL-Schreiber an, erkundigte sich nach Ulrikens Benehmen seit ihrer Kopfoperation 1961, ob sie sich nicht danach schon so auffallend aggressiv verhalten hätte, beinahe terroristisch eben... Wenig später meldete sich ein Gutachter, der das Hirn zu besitzen angab, und so kam alles ans Tageslicht. Tatsächlich habe, hieß es, das Terroristen-Explantat zwei Jahrzehnte an der Tübinger Uni herumgelegen. 1997 wurde es nach Magdeburg überstellt, zu einem Professor, der sich vorzugsweise mit - und hier wird's frankensteinös - toten M-m-m-Massenmörder/-innen befasst. Da lag es weitere fünf Jahre im Pappkarton und wurde, ohne die Angehörigen zu fragen, kamerazückenden SPIEGEL-Reportern gezeigt.

Nun ward wie zufällig das gutachterliche Jahrhundertwerk von Professor Bogerts in Nullkommanix abgeschlossen, wobei man eine "Lappenanhebung" feststellte, nebst "muldenförmigen Einbuchtungen" und "Hirnzellen-Vernarbung", was zur Schädigung des "Emotionenzentrums" geführt habe. Die Hirne von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe sind unterdessen aus dem Tübinger Institutsparadies spurlos verschwunden, ob geklaut, "vernichtet" oder beim Gutachter in der Schublade, weiß man nicht. Don't bogerts that brain too, my friend!, möchte man ausrufen. Andererseits, trieb nicht schon die RAF Körperpolitik in großem Stil? Hungerstreiks, Holger Meins in in Jesu Leichentuch, Diät für Schleyer vor dem Entführerfoto, Dynamit um den Leib der Mogadischu-Entführer, oder das widerliche Geknutsche des Oberbaaders mit seinen Mädels vor den Pressekameras, kündend von sogenannter "Zärtlichkeit" dieser Mordbuben.

Und die damals Herrschenden griffen den neuen Physiozentrismus begeistert auf. Keine Talkshow mehr ohne Schmidts Schnupftabak, Helmut Kohls Leibesfülle mit Spaghetti Carbonara und pfälzischem Saumagen. Bald wurde im TV demonstrativ gefuttert und mit Todesverachtung manch Glas ungeklärten Wassers geleert. Klaus Töpfer stieg in Ganzkörper-Gummikluft zum Baden in den Rhein, Rita Süssmuth zeigte sich am Tag nach Tschernobyl beim Gemüse-Einkauf öffentlichkeitswirksam auf dem Bonner Markt. Körperpolitik ist so alt wie das Staatswesen. Schon in vor-aufgeklärter, römischer Zeit pflegte man seine Kriegsverletzungen öffentlich vorzuzeigen, (bloß nicht die im Rücken, die hätten feige Flucht signalisiert), und gegebenenfalls auch die Hand ins Feuer zu legen, um Tapferkeit unter Beweis zu stellen. Und einmal mehr sickerte die Selbstformatierung von oben nach unten durch, von den Eliten in die Breite des Pöbels, der heute Body-Building-Centers füllt, im Solarium k(n)ackbraun brutzelt oder mit Cortison die Haut bleicht, die Lippen aufschwemmen, die Grübelfalten wegspritzen und den Busen unterfüttern lässt. Anschließend wollen zahllose Freiwillige ihren Leichnam samt Großhirnrinde der Wissenschaft zur Verfügung stellen. Welcher "Wissenschaft", bitteschön? Die Denkleistung zu trainieren, verliert zunehmend an Reiz, Hauptsache, die Verpackung macht was her - auch hernach, in der Pathologie.

Nikolaus Gatter
go! www.lesefrucht.de


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