backVolksmusik als Subkultur

Polka-Fieber

Ein Tanz erobert Amerika

Wenn alte Damen in Chicagoer Vorstadt-Kneipen Taschentuch schwingend zu den Klängen einer Musikapelle tanzen, die mit Klarinette, Trompete, Concertina und Schlagzeug eine polnische Melodie nach der anderen anstimmt - dann ist Polka Time in Amerika. In den USA ist Polka mehr als ein Tanz. Es ist die Chiffre für eine Musikrichtung, die ursprünglich von den Einwanderern aus Mitteleuropa ins Land gebracht wurde und sich in den letzten Jahrzehnten zu einer volkmusikalischen Subkultur entwickelte, die den Nachfahren der Immigranten als Identitätsstütze und Bollwerk gegen den gleichmacherischen Trend des American Way of Life dient.

Von Christoph Wagner

Stan Golonka, Nancy Hlad,
Brian & The Mississippi Valley Dutchmen,
The Goose Island Ramblers u.a. -
"Deeper Polka" (Smithsonian Folkways, 2002)

Die Polka, ein schneller Paartanz im 2/4-Takt, war in den 1830er Jahren in Böhmen entstanden und verbreitete sich in Windeseile in ganz Europa. Über Prag und Wien erreichte sie rasch Paris und London. "Kein Nationaltanz hat wohl binnen so kurzer Zeit die ganze Welt so im Fluge erobert wie die Polka", stellte 1845 die Wiener Allgemeine Musik-Zeitung fest. Mit den Massen von Auswanderern kam der Tanz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert nach Amerika, wo er überall dort praktiziert wurde, wo sich eine erkleckliche Zahl von Polen, Böhmen, Deutschen, Österreichern, Slowenen, Kroaten oder Schweizern niedergelassen hatten. Das war außer in Texas vor allem im amerikanischen Mittelwesten der Fall, wo die Bundesstaaten Wisconsin, Pennsylvania, Ohio, Illinois, Minnesota und Missouri zum Polka Belt wurden.

ConcertinasMilwaukee ist der klassische Fall einer ethnic community und ihrer Kultur. Die Stadt am Ufer des Michigan Sees beherbergte um 1900 den größten Prozentsatz an Deutschen in ganz Amerika. Zwei Drittel der Einwohner der Stadt stammten um die Jahrhundertwende aus Good Old Germany, was die Stadt zu einer Hochburg der Bierbrauerei machte. Hier wurde auf der Straße schwäbisch, bayerisch, berlinerisch oder hessisch gesprochen und es war selbstverständlich für Wirtshäuser und Gaststätten, Rinderbraten, Schnitzel, Bratwurst und Knödel auf der Speisekarte zu haben.

Im Mittelpunkt der deutschen Vereinskultur in Milwaukee stand die "Turner Hall". Sie diente nicht nur den Ringern und Turnern als Trainings- und Wettkampfstätte, sondern auch den zahlreichen Sängerbünden, Concertina-Spielkreisen, Chorvereinigungen, Blaskapellen und Theatergruppen als Übungslokal. Während im Erdgeschoß eine deutsche Beiz eingerichtet war, wo man Landsleute auf ein Bier traf, befand sich im ersten Stock ein riesiger Ballsaal mit pompöser Ausstattung, der 700 Besuchern Platz bot. Riesige Kronleuchter hingen von der Decke und an den Ballustraden wuchsen echte Weinreben empor.


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im Folker! 5/2002