backVerschwiegenheit, Ehre und Blut

Der Gesang der Mafia

Volksmusik mit brutalen Texten

Kirchenglocken läuten. Ein Dudelsack und ein Tambourin setzen ein. Einige Takte später erhebt sich eine dunkle Männerstimme und ermahnt die Zuhörer, den Mitgliedern der ehrenwerten Gesellschaft Respekt zu erweisen. Gemeint ist die Mafia in Kalabrien, die Ndrangheta, Mafiaund das Glockengeläut gehört zum Sprechgesang, der die neue CD von Mimmo Siclari einläutet. Ihr Titel: "Omertà, Onuri e Sangu". Übersetzt heißt das: "Verschwiegenheit, Ehre und Blut". Um diese Begriffe dreht sich alles auf Siclaris zweiter Scheibe, die die Canti di Malavita, den Gesang vom Verbrecherleben, unters Volk bringen will.

Von Gudrun Zercher

Discographie
"Il Canto Di Malavita - La Musica Della Mafia "
  (Pias Recordings, im Vertrieb von NuzzCom, 2000)
"Omertà, Onuri E Sangu - La Musica Della Mafia, Vol. II"
  (Pias Recordings, im Vertrieb von NuzzCom, 2002)
Die kompletten Liedtexte sind sowohl im CD-Booklet
als auch auf der Homepage www.malavita.com auf
deutsch, französisch, niederländisch und englisch zu finden.

Der 51-jährige Musiker und Produzent lebt in Reggio Calabria, an der Südspitze des italienischen Festlandes. Gesammelt hat er diese "echten Lieder der Mafia, die nichts mit der Hollywood-Mafiamusik zu tun haben", in den vergangenen 30 Jahren. Während er als Sänger und Musikant von Sommerfest zu Sommerfest zog und unverfängliche Volkslieder spielte, kam er mit Menschen ins Gespräch, die die alten Lieder der Ndrangheta noch kannten. Sie erklärten ihm Melodien und Liedtexte. Fehlendes rekonstruierte er aus Mafia-ChorBriefen aus jener Zeit als die Lieder entstanden sind - vor über 100 Jahren. Andere Aufzeichnungen gab es nicht, denn die Mafialieder wurden nur mündlich von Musiker zu Musiker weitergegeben und nur im privaten Kreis. Siclari nahm die Stücke in seinem Studio auf Kassetten auf und bot sie auf kleinen, regionalen Märkten zum Kauf an.

Tabu in Italien

"Es ist zwar nicht verboten, die Lieder in Italien öffentlich zu spielen, trotzdem tut das niemand. Sie sind tabu", sagt Siclari. Die zahlreichen Morde, die in den 80er und 90er Jahren auf das Konto der Ndrangheta gingen, sind noch im Bewusstsein der italienischen Öffentlichkeit. Es gilt als geschmacklos, ihre Musik zu publizieren. Anders verhält sich das im restlichen Europa. Als der 51-Jährige vor zwei Jahren seine erste Malavita-CD in Deutschland, England, Frankreich und den Niederlanden vorstellte, füllte er zahlreiche Konzerthallen. Seine Scheibe verkaufte sich - für eine Folk-CD beachtlich - 60.000 Mal. An diesen Erfolg will er nun anknüpfen. Dabei ist ihm klar, dass das große Interesse vor allem auf den Namen "Mafiamusik" zurückzuführen ist. Die Melodien selbst unterscheiden sich kaum von "normaler" Mimmo Siclarisüditalienischer Volksmusik, in der sie ihre Wurzeln haben. Begleitet von Akkordeon, Gitarre, Maultrommel und lira calabrese (kalabresische Viola) laden manche zu einem schwungvollen Tänzchen, einer Tarantella, ein. Andere wiederum klagen in melancholisch-pathetischen Balladen die Ungerechtigkeit der Welt an oder versuchen in mahnend drohendem Ton potenzielle Verräter einzuschüchtern. Ob Ballade oder Tanzmusik, eins bleibt gleich: Die wohlklingenden mediterranen Melodien stehen in krassem Gegensatz zu den brutalen Liedtexten.


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im Folker! 5/2002