backFlamenco ayer, hoy, siempre

Zehn Jahre GPEWF

Ein Besuch bei Alberto Alarcón

Der Gesang? Eher ein kehlig-heiseres Gurren als melodiöser Wohllaut. Die Mienen der Tänzer schmerzverzerrt und starr vor Konzentration. Brachialer Umgang mit Meistergitarren, denen man, wenn sie nicht gerade perkussiv beklopft werden, schmachtende Arpeggien Alberto Alarcónund donnernde Klanglawinen entlockt. Was, im Namen des Himmels, ist am Flamenco im herkömmlichen Sinne "schön"? Carmen vielleicht, das minderjährige Zigarrendreherinnen-Luder mit dem Schmollmündchen? Vorsicht Klischee: "Für mich ist Flamencotanz überhaupt nicht erotisch", meint der deutsche Paco-Peña-Schüler Volker Schulz, berühmt geworden unter seinem Gitarristen-Ehrennamen El Bruto, im Gespräch mit Wieland Ulrichs: "Die oft tragischen Texte muss die Tänzerin körperlich umsetzen ..."

Doch diese nur mit eiserner Disziplin zu erwerbende Fertigkeit übt einen unwiderstehlichen Reiz aus, von dem sich in Deutschland Tausende anstecken lassen. Nicht wenige Adepten sind den schweißtreibenden Weg zum Flamenco über das nordrhein-westfälische Essen gegangen. Im Mai konnte dort die Gesellschaft zur Pflege, Erhaltung und Weiterentwicklung der Flamencokunst (GPEWF e. V.) ihr zehnjähriges Bestehen feiern. Aus diesem Anlass besuchte Folker! den Gründer und Präsidenten des Vereins Alberto Alarcón, der an der Folkwang-Hochschule lehrt und mit Rosa Montes in Essen-Werder lebt, wo seine Ehefrau und Bühnenpartnerin den einzigen integrierten Gymnasialzweig für professionellen Bühnentanz aufgebaut und zwanzig Jahre geleitet hat.

Von Nikolaus Gatter

In Spanien gibt es heute drei Flamenco-Zentren: erstens das traditionelle Sevilla, zweitens Madrid als professionellen Ausbildungsort, vor allem beim Aufbau von Compagnien - ein konzertanter Solovortrag ist eigentlich ein Unding im Flamenco. Und dann wäre Barcelona zu nennen, wo der aus Cartagena gebürtige Alarcón aufgewachsen ist: "Manche sagen: Barcelona - nein danke!, wenn es um Flamenco geht. Aber spätestens in den sechziger Jahren gab es eine Wanderung. Barcelona war sehr früh industrialisiert und bot viele Arbeitsplätze. Heute leben fast so viele Andalusier in Barcelona wie in Andalusien. Deshalb gibt es in manchen Vierteln zehn Flamencovereine. Die heutzutage berühmtesten Sängerinnen und Sänger sind in Barcelona geboren, selbst wenn sie andalusische Eltern haben."

So weit es sich geschichtlich zurückverfolgen lässt, ist auch der Flamenco gewandert. Jüdische, maurische und zigeunerische Einflüsse sind ebenso eingeflossen wie religiös-liturgische und andalusisch-folkloristische Alberto AlarcónElemente. Boleros und Seguilladas waren in der Ära der Romantik in Berlin populär, als Ausdruck antinapoleonischer Gesinnung, nach dem spanischen Aufstand von 1808 gegen die Franzosenherrschaft. In neuerer Zeit haben Gitarren-Populisten wie Manitas de la Plata samt Gypsy-Kings-Stammhaltern sowie Filme von Carlos Saura den Mythos neu entfacht. "Am bekanntesten ist der Flamenco", erläutert Alarcón, "aber in Spanien haben wir vier verschiedene Tanzformen: neben Flamenco den Folkloretanz, der je nach Region gepflegt wird, dann klassischen spanischen Tanz, mit Kastagnetten, aber nicht in Flamenco-Kleidung, sondern eher in einer Phantasietracht, bei der man sich Pailletten erlaubt und Schleppen, und die Escuela Bolera, die seit 1870 entwickelt und vielleicht wegen der Sprünge nach volar (fliegen) benannt wurde."

Flamenco von Japan bis Costa Rica

FlamencoIst Flamenco verglichen mit diesen Tanzformen eine europäische Kunst? "Es eine Weltkunst", korrigiert der Professor. "Da gibt es das ‚japanische Phänomen', von dem in Spanien viel gesprochen wird. In Japan gibt es nämlich ebenso viele Flamencotänzer wie in Spanien. Das zweitwichtigste Land für den Flamenco ist weltweit Japan! Aber man findet überall Flamenco-Tanzschulen und Menschen, die sich dieser Kunst widmen. Ich war in Prag, wo es eine Flamencoschule gibt, auch in Athen, und ich habe für unsere Gesellschaft begonnen, alle diese Adressen zu sammeln. In Costa Rica gibt es eine Gesellschaft für Flamencotanz, selbst in China. In Shanghai gibt es eine Schule. Es ist unglaublich."


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im Folker! 5/2002