backFocus regional beim TFF Rudolstadt 2002

Glückauf, Glückauf, der Steiger rappt!

Ruhrgebietsmusik zwischen Muse und Maloche

Wenn in anderen Regionen das Motto ausgegeben wird: Zurück zu den Wurzeln, kann das im Ruhrgebiet nur heißen: Zurück in den Pütt; die Wurzeln der Ruhrgebietsmusik sind eben schon Jahrtausende alt, zu Kohle gewordene Gewächse der Vergangenheit. Wie der Kohle selbst ihre Vergangenheit als blühender Rosenstrauch nicht anzusehen ist, so ist auch der Ruhrgebietsmusik von außen nicht anzusehen, dass sich dahinter etwas sehr Blühendes, Kräftiges und immer aufs Neue Treibendes verbirgt.

Von Ulrike Zöller

Folk, Rap, Blasmusik oder Liedermacherei: Ohne die Geschichte der Bergarbeiter und der Immigration ins Revier ist Ruhrgebietsmusik nicht denkbar. Zur kurzen historischen Auffrischung: Das Land zwischen Rhein, Ruhr und Emscher wurde im 19. Jahrhundert nach der Entdeckung von Steinkohlevorkommen mit einem Schlag durch Bergarbeiter besiedelt, die aus verschiedenen Teilen Deutschlands und Polens in großem Stil angeworben worden waren. Vor allem aus Masuren und Schlesien kamen tausende meist junger lediger Männer ins Ruhrgebiet, um hier ein Leben im Pütt zu verbringen. Das bedeutete: ein Tag ohne Licht, ein Abend ohne Angehörige, Freizeit ohne das gewohnte Dorfleben mit seinen Unterhaltungen. Ohne gewachsene Dorfwirtshäuser sind keine Tanzabende oder gemütliche Zusammenkünfte in trauter Runde möglich, ohne soziales Leben ist die Gefahr wachsender Kriminalität, Unbeständigkeit und Unzufriedenheit sehr hoch. Also wurde vonseiten der Bergwerks- und Stahlbetriebe alles darangesetzt, um diesen zusammengewürfelten Haufen von Arbeitern zu einer homogenen und friedlichen Masse zu formen: Sport-, vor allem Fußballvereine ersetzten die alte Dorfidentität. Knappenchöre, Mandolinen- oder Bandoneonorchester sorgten für ein neues Gemeinschaftsgefühl mit den gleichen Zielen.

Heideröslein und Schalke 04

Beurteilt man das Ruhrgebietslied nach den gängigen Definitionen der Volksliedforschung, so sind die Fußball-Fangesänge wohl das authentischste "Liedgut", das das Ruhrgebiet zu bieten hat. Die Fußballvereine als Heimatersatz bieten ein Thema, das ernstgenommen werden will, worüber man in allen Variationen singt, zweckgebunden - nämlich um den Verein anzufeuern - mit regionalen Eigenheiten, in Melodie und Text sich ständig der aktuellen Situation anpassend und nicht zuletzt: Sie vermitteln ein Gruppengefühl.

Nun fühlten sich aber etliche Sänger und Instrumentalisten des Reviers zu mehr berufen als zu Schlachtengesängen: Der Chorgesang wurde zu einem verbindenden Faktor, der Chor zum Aushängeschild eines Betriebs. Gesungen wurden nicht nur die gängigen Bergarbeiterlieder, sondern mittlerweile alles, was die Repertoireliste des deutschen Chorwesens zu bieten hat: Das Heideröslein genauso wie "Evita", "Hoch auf dem Gelben Wagen" genauso wie "Sweet Low Sweet Chariot".


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