back„From oppression comes expression“

Nitin Sawhney

Balance der Kontinente

Im zweibändigen „Rough Guide World Music“, dem „Amtsblatt“ der Branche, steht zu Nitin Sawhney ein halber Satz. Immerhin: „A name to watch“, heißt es bei der Beschreibung seines zweiten Albums, Migration, 1995 veröffentlicht. Dennoch, Sawhney dürfte Nitin Sawhneydarüber reichlich unglücklich sein. Erst einmal darüber, dass er überhaupt unter dem Begriff „World Music“ eingetütet wird; er hält nichts davon. Und darüber, dass ein halber Satz wohl kaum eine adäquate Wertschätzung sein dürfte – in seinen Augen. Die sind wach, und wie Prismen zerlegen sie die einfallenden Lichtstrahlen, um sein Ego mit den Farben des Regenbogens zu umfluten. Der Mann hält was auf sich. Er ist ein Internationalist aus Erfahrung und Überzeugung, mit Spaß am Denken, einer, der den Sachen auf den Grund gehen will. Und auf alles eine Antwort hat.

Von Luigi Lauer

Den Regenbogen greifen wir sofort nochmal auf, in Südafrika nämlich, der Regenbogen-Nation, wo Nitin Sawhney Gelegenheit hatte, mit deren ehemaligem Chef zu plaudern, Nelson Mandela. Hier der Friedensnobelpreisträger, der 27 Jahre für seine Ideen in den Knast musste, die meisten davon in Sichtweite der Regierung, die er später so spektakulär friedfertig führen sollte. Dort der Brite indischer Abstammung, auch er lange fremd im eigenen Land; in beiden Ländern, genau genommen. Mit seinen 38 Jahren ist Sawhney kaum halb so alt wie Mandela, doch was Rassismus und Apartheid bedeuten, hat auch er zu spüren bekommen, im Kleinen jedenfalls. Nicht in Kapstadt oder Johannesburg, sondern in Rochester, einer Hafenkleinstadt, keine Autostunde von London. Sawhney wächst hier auf; Mandela war hier nie. Doch für die zahlreichen indisch-stämmigen Menschen, denen die Blässe der britischen Ureinwohner fehlt, ist Mandela der Held – Alternativen gibt es auch nicht viele. Den Papst besuchen? Um Gottes Willen! Aber Mandela – ja, der ist einer von ihnen. „Are you free?“, hat Sawhney ihn gefragt. Und Mandela antwortete: „We are free to be free.“ Der Teufel steckt im Detail.

Der Rassismus der kleinen Dinge

Discographie

Spirit Dance (1993, nicht mehr erhältlich)
Migration (1995, Outcaste)
Displacing the Priest (1996, Outcaste)
Introducing Nitin Sawhney (1999, Sampler, Outcaste)
Beyond Skin (1999, Outcaste)
Prophesy (2001, V2)

go! www.nitinsawhney.com
go! www.pias.com
go! www.outcaste.com

Auch in England, Anfang der 70er. In Rochester fährt man links, wählt rechts. Die National Front hat hier eine Hochburg. Es sind die tägliche Diskriminierung und der Rassismus der kleinen Dinge, die Ausländern auch ein dickes Fell bis auf die Knochen abnagen. Sawhney hält das für normal, er kennt es nicht anders. Und doch baut er sich, unbewusst wohl, seine eigene heile Welt auf, er versteckt sich in der Musik. Nicht ohne Hindernisse, sein Lehrer, der erwähnten Partei zugehörig, verbietet Sawhney das Musikzimmer in der Schule. Nur eine Episode, so scheint es. Doch wie sehr ihm diese Zeit tatsächlich zu schaffen machte kommt erst 25 Jahre später zu Tage, das atemberaubende Cover der CD „Beyond Skin“ zeigt ihn als einen Gequälten, dem der Schrei des Schmerzes lautlos ins Gesicht gemeißelt ist. Niemand hört ihn. Ihn, der nichts anderes sein will als Nitin Sawhney, Musiker. Stattdessen ist er immer auch: dunkelhäutig, fremd, anders, dubios; nie ist er einfach Musiker, sondern wird reflexartig in den Asian Underground verbannt. Du Inder? Du Tabla.

Karriere in Kürze

Rochester ist lange her. Nitin Sawhney hat seine Antwort gefunden und sich Gehör verschafft; nicht mit einem Knall, sondern mit einem Crescendo, das seinen Höhepunkt vielleicht noch gar nicht erreicht hat. Auch das jüngste Album, Prophesy, ist ein Kunstwerk der feinen Nuancen, der leisen Anmerkungen, vor allem aber der stilistischen Querverweise. Quawwali und Brit-Pop, Tablas und Flamenco-Gitarre, ein Kinderchor aus Soweto und ein brasilianisches Sinfonieorchester, immer mit Reminiszenzen an seinen Club-Hintergrund; Gäste wie Trilok Gurtu und Cheb Mami, Natacha Atlas und Jose Miguel Carmona – wahrlich Weltmusik, auch wenn Sawhney den Begriff für diskriminierend hält, siehe oben, siehe unten. Für einen Mann, der mit der Musik von Herbie Hancock, Miles Davis und Chick Corea aufwuchs, der brasilianische, kubanische und spanische Musik einsog und der in klassischer indischer Musik zuhause ist, erscheint die Bandbreite ganz natürlich. Das Gesamtkunstwerk Sawhney erschöpft sich aber nicht im Komponieren und Einspielen von Musik, obwohl er darauf am meisten stolz ist. Nach einer Liaison mit der juristischen Fakultät der Liverpooler Universität entwirft er mit einem Freund eine Comedy, in der Vorurteile gegenüber Asiaten ad absurdum geführt werden. Das Stück landet später auch im Radio und wird als Sketch-Show im Fernsehprogramm der BBC gezeigt. Die Musik stammt von Sawhney, und das öffnet weitere Türen. Er tummelt sich in der Londoner Club-Szene, schreibt Stücke für Sinead O'Connor, Re-Mixed für Mandalay, Khaled, Jeff Beck und Paul McCartney, vertont Fernsehwerbung für Nike, spielt mit dem James Taylor Quartet, gründet eine Formation mit Talvin Singh, tourt mit Sting durch Europa, und findet immer wieder Zeit, eigene Alben einzuspielen oder als Musik-Dozent zu arbeiten. Als Schauspieler, Autor und Komponist ist Sawhney an diversen Theatern zugange, er vertont Dokumentarfilme, und wenn sonst gerade nichts zu tun ist, schreibt er Zeitungsartikel – ein Workaholic.


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im Folker! 2/2002