backDie Neuerfindung der Tradition

Gillian Welch

Die Stimme der anderen Countrymusik

Alle Wege führen nach Nashville. Wer in der Countrymusik etwas werden will, muss nach Tennessee gehen. Als Gillian Welch sich vor ein paar Jahren für eine Karriere als professionelle Sängerin entschied, siedelte sie in die Welthauptstadt der Countrymusik über. Das war die Entscheidung für die Ochsentour. Lange Zeit hielt sich die junge Singer/Songwriterin mit Gelegenheitsjobs über Wasser, nahm an Talentwettbewerben teil, trat in Bars und Cafés auf, und hoffte, dass ihre Demo-Cassette doch irgendwann einmal auf dem Schreibtisch einer einflussreichen Persönlichkeit landen würde. Und genau das geschah.

Discographie

„Revival“ (1996, Almo Sounds)
„Hell Among The Yearlings“ (1998, Almo Sounds)
„Time (The Revelator)“ (2001, Acony)
go!! www.gillianwelch.com

Von Christoph Wagner

Emmylou Harris, die sich immer in sicherer Distanz zur Nashville-Industrie bewegte, wurde auf Gillian Welch aufmerksam und nahm eines ihrer Lieder ins Repertoire. Auf dem Album „Wreckless Ball“ von 1996, das die „First Lady of Country Music“ mit U2- und Bob-Dylan-Produzent Daniel Lanois aufnahm, interpretierte sie Welchs „Orphan Girl“. Danach ging alles wie im Zeitraffer. Gillian Welch bekam einen Plattenvertrag von Almo Sounds, der damals neugegründeten Firma von Herb Alpert und Jerry Moss, die kurz zuvor ihr A&M-Label an PolyGram verkauft hatten. Mit T-Bone Burnett wurde ein erstklassiger Produzent akquiriert, der für exzellente Studiomusiker wie den Drummer Jim Keltner sorgte und mit Fingerspitzengefühl ihre Songs in Szene setzte. Das Album, Revival, schlug wie eine Bombe ein. Weltweit blendende Kritiken resultierten in einer Grammy-Nominierung. Seitdem ist Gillian Welch zu einer Art Leitfigur für die ganze Underground-Szene von Nashville-Renegaten geworden, die dem weichgespülten Sound des Country-Mainstream eine rauhere Ästhethik entgegensetzen, deren Vorbilder in der Vergangenheit zu finden sind. Welch begreift sich als „amerikanische Primitive“, deren musikalische Heimat in den Mörderballaden, Katastrophensongs und Liebesliedern der Hillbilly- und Bluegrass-Ära liegt. Für die 33-jährige Singer/Songwriterin gelten die südlichen Appalachen als heiliges Gebiet, wo alles begann.

Urmusik des armen, weißen Amerikas

Abseits der großen Zentren, unter den „Hinterwäldlern“ von Kentucky, Tennessee, Virginia und North Carolina, reifte im vorigen Jahrhundert eine Musik, die so karg war wie das Leben in den Bergen. In selbstgestrickten Liedern erzählten einfache Leute ihre Geschichte(n). Die Songs, die sie in direkter, unverschnörkelter Weise vortrugen, handelten von den Härten des Lebens. Themen wie Tod, Liebe, Gewalt und Trost wurden in herzzerreißende Melodien gegossen, deren Ursprung in Irland, Schottland und England lagen. So entstand die Urmusik des armen, weißen Amerikas. „Ich höre mir selten Musik an, die nach 1960 entstand“, beschreibt Welch ihren musikalischen Kosmos. Um auf ihrer Erstproduktion diesen speziellen „Sound of the Old South“ zu erzielen, borgte T-Bone Burnett das komplette ehemalige Studioequipment von Hank Williams aus.


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im Folker! 1/2002