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SWR-Liederpreisträger 2001:

Hans-Eckardt Wenzel

Musiker, Autor, Schauspieler, Regisseur

Pfingsten 1999 auf Burg Waldeck. In einer Veranstaltung des Berliner Vereins Lied und soziale Bewegungen und der Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck (ABW) zum Wendejubiläum („Ten years after“) tritt Hans-Eckardt Wenzel im Duo mit Karl-Heinz Saleh auf. Er kommt großartig an. Auch anwesende Insider aus der West-Szene sind überrascht und begeistert. Das ist eigentlich erfreulich, aber auch bestürzend. Kann es sein, dass ein Künstler, der im Osten Deutschlands seit gut 20 Jahren eine Institution, ja geradezu „Kult“ ist, im einstigen Mekka des westdeutschen Liedrevivals wie ein Newcomer empfangen wird? Dass es sich hier um keinen Einzelfall handelt, beweist die Zeitschrift Notes. Sie schreibt, es sei „ein oberfetter Skandal ..., dass Hans-Eckardt Wenzel nicht in Gesamtdeutschland gefeiert und bejubelt wird, so wie es diesem einzigartigen Künstler von Rechts wegen eigentlich zusteht. Da bekommt er 1990 den Heinrich-Heine-Preis, 1991 den Förderpreis des Deutschen Kleinkunstpreises der Stadt Mainz, 1994 den Preis der Deutschen Schallplattenkritik und 1995 den Deutschen Kabarettpreis, und wer kennt ihn tief im Westen?!“ Wenzel sieht darin ein Zeichen für die „Ignoranz des westdeutschen Kulturmarktes“ und meint: „Die alten Bundesländer haben die ganze Zeit ohne mich exisitieren können, sie brauchen mich im Grunde nicht, sie haben ihre eigenen Institutionen und kulturellen Verwertungsmechanismen.“ Am 3. November wird Hans-Eckardt Wenzel in Tübingen den SWR-Liederpreis 2001 erhalten.

Von Lutz Kirchenwitz

Discographie

Stirb mit mir ein Stück (1986, Amiga)
Reisebilder (1989, Amiga)
Letztes aus der Da Da eR (1990,
  Nebelhorn)
Der Abschied der Matrosen vom
  Kommunismus (1993, Nebelhorn)
Vollmond (1995, Buschfunk)
Armer kleiner Händimann (1996,
  Buschfunk)
Lied am Rand (1997, Buschfunk)
Traurig in Sevilla (1998, Buschfunk)
Schöner Lügen (2000, Conträr)
Hanswurst und andere Würste.
  Hanns-Eisler-Collage (2001, Conträr)
Grünes Licht (2001, Conträr)
Diverse - Hammer=Rehwü von
  1982 (1994, Nebelhorn)

Auswahl-Bibliographie:

Lied vom wilden Mohn (1984,
  Mitteldeutscher Verlag)
Textbücher. Allerletztes aus der
  Da Da eR. Hundekomödie (1991,
  Mitteldeutscher Verlag)
Ich mag das lange Haar,
  Liederbuch (1998, Buschfunk)

Wenzel kommt „aus'm Osten“. Geboren 1955 in Kropstädt bei Wittenberg, machte er 1974 sein Abitur und leistete danach seinen Wehrdienst ab. In dieser Zeit schrieb er Texte für einen Armeesingeklub, u.a. das Lied „Postengang“, das unlängst auf der CD „Niemand hat die Absicht ... – Tondokumente zur Mauer“ wiederveröffentlicht wurde. Wenzel war 19 Jahre, als er schrieb: „Dies ist unser Land“. Die Naivität und das Pathos dieses Liedes kamen ihm wenig später abhanden, aber es blieb eine grundsätzliche Identifikation mit der DDR. „Ich bin in diesem Land geboren. Da es sich intellektuell definiert hatte, hielt ich es für einen interessanten Ort und habe am Anfang einen Großteil seiner Utopien geteilt.“ Er lebte „die Doppelexistenz, einerseits das Land zu mögen und gleichzeitig zu hassen“, wollte sich kritisch ins System einmischen, aber das System wollte diese kritische Einmischung nicht. Es ist kein Zufall, dass Wenzel zum Hauptautor der Resolution wurde, mit der Rockmusiker und Liedermacher im September 1889 Veränderungen einforderten. Es hieß darin: „Wir wollen in diesem Land leben, und es macht uns krank, tatenlos mit ansehen zu müssen, wie Versuche einer Demokratisierung, Versuche einer gesellschaftlichen Analyse kriminalisiert bzw. ignoriert werden. Wir fordern jetzt und hier sofort den öffentlichen Dialog mit allen Kräften.“

Handlungsmöglichkeiten im Netz der Institutionen erkämpft

1976 bis 1981 studierte Wenzel an der Berliner Humboldt-Universität Kulturwissenschaften und Ästhetik und gründete das Liedertheater Karls Enkel, das 1976 bis 1985 bestand. Die Gruppe wurde gefeiert, leitete nach dem Auf- und Abstieg der Singebewegung eine neue Phase kritischer Liedkultur ein. Auch die Freie Deutsche Jugend (FDJ) nahm sie zunächst mit offenen Armen auf und verlieh ihr 1979 ihren Kunstpreis, die Erich-Weinert-Medaille. Aber im gleichen Jahr kam es zum ersten Crash. Das Programm „Zieharmonie“ stieß allzu sehr an die Grenzen dessen, was die FDJ für tolerierbar hielt. Man ging auf Distanz zueinander. Karls Enkel suchte sich andere Spielstätten und Kooperationspartner, war aber dennoch nahezu jedes Jahr beim Festival des politischen Liedes präsent. Auf der Kippe stand 1981 die „Hammer=Rehwü“ (sie war für kurze Zeit verboten), und die „Sichel-Operette“ wäre 1987 nicht auf die Bühne gekommen, wenn sich nicht Manfred Wekwerth, der damalige Intendant des Berliner Ensembles auf sein Hausrecht berufen und die Premiere durchgesetzt hätte. Es brauchte Geduld und Cleverness, um Handlungsmöglichkeiten im Netz der Institutionen zu erkämpfen und zu erweitern. Wenn die kulturellen Freiräume in der DDR der späten 80er Jahre wesentlich größer waren als etwa Ende der 60er Jahre, dann hatten daran Künstler wie Hans-Eckardt Wenzel einen wesentlichen Anteil. Heute nervt es Wenzel allerdings, wenn immer wieder nur nach der Zensur und nicht nach der Kunst gefragt wird. Er hält das für einen modischen, verkürzten Blick, der die damalige Realität nicht abbildet, sondern nur geeignet ist, die Gegenwart mit ihrem „anything goes“ zu feiern.

Als Clowns alles gesagt

Geschichte geschrieben hat Wenzel mit Steffen Mensching als Clownsduo. 1982 kreierten sie mit dem Programm „Neues aus der Da Da eR“ eine bis dato in der DDR nicht gekannte Mischung aus Clownerie und Philosophie, aus Spott und Melancholie. Die Clownsmaske gab ihnen ein Stück Narrenfreiheit. Höhepunkt und eine Art Abgesang auf die DDR wurden ihre Programme „Altes aus der Da Da eR“ und schließlich „Letztes aus der Da Da eR“. Allein schon die Veränderungen, die dieses Programm zwischen Oktober 1988 und November 1989 erlebt, sind eine Chronik der Wende. Am 4. November 89 sangen Wenzel & Mensching bei der großen Demonstration auf dem Alexanderplatz, und 1990 wurde „Letztes aus der Da Da eR“ verfilmt. Nach der Wende brachten Wenzel und Mensching noch neun weitere Clownsprogramme auf die Bühne. Höhepunkt war vielleicht 1993 „Der Abschied der Matrosen vom Kommunismus“. 1999 war nach 22 Jahren gemeinsamer Arbeit „Ab klappter der Adapter“ ihr letztes Programm, denn sie hatten das „Gefühl, in einer Konstellation wie der der Clownsfiguren alles gesagt zu haben“. Die Zeit des Clowns mit der Badekappe war vorbei. Wenzel schminkte sich ab.


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