backMusikalische „Border Confusion“

Das Sandy Lopicic Orkestar

Diese Bigband will mehr sein als eine ex-jugoslawische Versöhnungskapelle

Es wirkt fast schon etwas plakativ. Die erste Sängerin (Irina Karamarkovic) kommt aus dem Kosovo, die zweite (Natasa Mirkovic-DeRo) Das Sandy Lopicic Orkestarist Bosnierin und die dritte Frontfrau (Vesna Petkovic), ja wirklich, sie ist Serbin. „Das alles ist reiner Zufall“, beteuert Bandleader Sandy Lopicic, ein Bosnier. Aber natürlich kann er nicht verhindern, dass seine 15-köpfige Balkan-Bigband, das Sandy Lopicic Orkestar, schnell zu einem Symbol für das friedfertige, nicht-nationalistische Ex-Jugoslawien geworden ist. Ein Politikum will Sandy Lopicic aus seinem Orchester allerdings wirklich nicht machen. So protestierte er, als die Plattenfirma vorschlug, die jüngst veröffentlichte erste CD programmatisch „No Borders“ zu nennen, „Das war mir viel zu ernst“, erinnert sich der 27-Jährige. Am Ende einigte man sich auf das eher dekonstruktive „Border Confusion“. Eigentlich hätte Lopicic aber lieber „was ganz verrücktes“ gehabt, etwa „Snowborder Confusion“.

Von Christian Rath

Das Repertoire des Lopicic Orkestar passt dabei durchaus ins Bild der aufgeklärten Versöhnungs-Kapelle. Auf ein mazedonisches Heldenepos folgt ein albanisches Trauerlied und dazwischen findet sich eine Roma-Hymne. Lopicic hat die gesamte Balkan-Tradition und dabei insbesondere die Tradition der ZigeunerInnen verarbeitet. Doch auch die vermeintliche Ausgewogenheit des Programms ist „reiner Zufall“, versichert Lopicic.

Mag sein, schließlich entstand das Sandy Lopicic Orkestar nicht am grünen Tisch, sondern aus einer Theaterproduktion in Österreich. Als 1998 am Grazer Theater der „Black Rider“ von Tom Waits gespielt wurde, hatte Lopicic die Idee, die vielgespielte Freischütz-Adaption musikalisch auf den Balkan zu verlegen – mit enormem Erfolg. Nach dreißig ausverkauften Vorstellungen interessierten sich immer mehr ZuschauerInnen für die Musik der Produktion. Lopicic, der musikalische Leiter, organisierte deshalb ein großes Abschiedsfest, zu dem er seine „Black Rider Band“ um die Grazer Avantgarde-Folker von Deishovida erweiterte. Ein neuer Triumph folgte – der zugleich die Geburtsstunde des Sandy Lopicic Orkestars markierte.

Über Deutschland von Sarajevo nach Graz

Graz, die Hauptstadt der Steiermark, ist die Wahlheimat aller fünfzehn Das Sandy Lopicic Orkestar - VoicesMusikerInnen. Die meisten haben bereits an der dortigen Musikhochschule studiert. „Ich bin glücklich in Graz“, sagt Lopicic, „die Stadt ist für mich der ideale Kompromiss zwischen Bosnien und Deutschland“. Deutschland? Tatsächlich ist Lopicic bis zu seinem 14. Lebensjahr in Esslingen bei Stuttgart aufgewachsen.

Seine Eltern kamen aus Sarajevo an den Neckar, die Mutter war Krankenschwester, der Vater zuerst Kunstturntrainer (unter anderem bei Reck-Olympiasieger Eberhard Gienger), später Bauingenieur. Der junge Sandy bekommt Klavierstunden und erweist sich als sehr begabt. Um ihn optimal zu fördern, wird er mit 14 Jahren zu Verwandten nach Sarajevo geschickt, wo er eine kostenlose (weil in die Schulausbildung integrierte) und umfassende Klavierausbildung erhält. Durchaus zu seiner Freude: „Die Zeit in Sarajevo waren die schönsten Jahre meines Lebens“, sagt Lopicic rückblickend. Noch bevor es dort richtig ungemütlich wurde (was aber damals niemand ahnte), verläßt er die Stadt wieder und geht zum Klavier-Studium nach Graz. Und kaum hatte er das Diplom in der Tasche, war er mit 23 Jahren schon musikalischer Leiter des Grazer Theaters.

Las Vegas Sound statt Balkanklänge

Für die traditionelle Musik seiner bosnischen Heimat hat sich Lopicic erst sehr spät interessiert. Auch die vom Balkan stammenden Mitglieder seines Orchesters – die Sängerinnen, mehrere Bläser und Bassist Sandy LopicicSascha Prolic – sind alles andere als gestandene Volksmusikanten. So kommt etwa Trompeter Imre Bozoki, wie viele andere, vom Jazz. Als Teenager hat er aber auch schon Punk und Doom-Metal gespielt.

Bei so vielen QuereinsteigerInnen verwundert natürlich nicht, dass sich Lopicic's Kollektiv dem überlieferten Material ganz unorthodox nähert. So klingt hier die alte Roma-Hymne „Djelem, djelem“ eher nach Las Vegas als nach Osteuropa. Und auch das russische Roma-Stück „Ljuba“ hat mit seinen satten Bläser-Sätzen und dem souligen Gesang merklichen US-Appeal.


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im Folker! 6/2001