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The Carthy Chronicles

Martin Carthy zum 60sten!

Wer Martin Carthy jemals aus der Nähe oder im Gespräch erlebt hat, der wird bestätigen: So und nicht anders sollten sich Legenden benehmen! Tun sie nur leider nicht immer! Martin Carthy allerdings ist sozusagen vorbildlich: Die Gelassenheit eines ‚Elder Statesman', die Wissbegier eines Kindes, die Natürlichkeit des Nachbarn jenseits des Zaunes und die ungespielte Bescheidenheit eines Künstler, der nie mit seinen enormen Talenten hausieren ging. Er hat in den letzten gut 40 Jahren einfach das praktiziert, was ihm am meisten Spaß macht: traditionelle und zeitgenössische englische Lieder und Melodien interpretieren. Damit avancierte er laut dem Rough Guide to World Music „zur einflussreichsten und gefeiertsten lebenden Persönlichkeit der Martin Carthy, Schulfoto 1949englischen Roots Szene“. Anlässlich seines 60. Geburtstages erschien eine ungewöhnliche CD-Box. Für den Folker! Anlass genug, den Mann, die Musik und die Box zu beschreiben.

Von Mike Kamp

Early Carthy Martin Carthy war ein überdurchschnittlich guter Schüler und dennoch hat es trotz Überredungsversuchen des Vaters nie zu einem Abschluss gereicht („I lost interest“, lautet seine lapidare Erklärung ), zu einer Ausbildung herkömmlicher Art sowieso nicht. Ursprünglich wollte er Schauspieler werden, aber das Folk-Virus hatte ihn bereits zu Schulzeiten erwischt und dieses Virus war ein bärenstarkes. Lonnie Donegan sang „The Rock Island Line“ (die erste Single, die sich Martin kaufte), Skiffle-Musik war kurz, aber heftig angesagt. Martins Liebe nahm den Umweg über Amerika, Big Bill Broonzy und Elizabeth Cotton, bevor er hoffnungslos der englischen Folkmusik verfiel. Wenn es um die Identifizierung der Schuldigen an diesem Umstand geht, dann fallen natürlich die Namen der Überväter des britischen Revivals, Ewan MacColl und A.L. Lloyd, oder der des US-Amerikaners Alan Lomax (s.a. Folker! 4/99), aber es war Sam Larner, ein 80-jähriger ehemaliger Fischer aus der Grafschaft Norfolk, dessen Gesang ihn 1958 in einem Londoner Folkclub ein für allemal zur englischen Folkmusik brachte. So seltsam es sich aus heutiger Sicht anhören mag, Martin rutschte einfach so in die Rolle des professionellen Folksängers. Jede Menge Clubauftritte (damals gab es alleine in London schätzungsweise rund 400 Folkclubs!) Martin Carthyund 1963 eine erste EP mit The Thamesiders ließen bei ihm nie das Bedürfnis nach einer anderen Beschäftigung aufkommen. Um diese Zeit kam ein weiterer berühmter Jubilar des Jahres 2001 nach London. Die Rede ist von Bob Dylan. Dessen erste Anlaufstation war Martin Carthy. Dylan war besonders beeindruckt von Martins Version von „Lord Franklin“ (man höre sich nur Mr. Zimmermanns „Bob Dylan's Dream“ an), aber auch seine Theorie von Pianorecycling hat Dylan überzeugt (im Beibuch zu „The Carthy Chronicles“ nachzulesen). Legendär war auch das Treffen zwischen Carthy und einem weiteren Amerikaner, einem gewissen Paul Simon, der ganz aufmerksam lauschte, als Martin das Traditional „Scarborough Fair“ anstimmte, so aufmerksam, dass wenige Jahre später ein Duo namens Simon & Garfunkel mit dem Song einen Nr. 1-Hit hatte. Da war allerdings aus dem „Trad./Arr.“ der Verfasser und Arrangeur Paul Simon geworden und das war dann das Ende einer Freundschaft. Erst im letzten Jahr feierte man offiziell Versöhnung, als beide anlässlich eines Paul-Simon-Konzertes im Londoner Hammersmith Apollo das fragwürdige Lied gemeinsam interpretierten. Martins Einfluss war also bereits damals beträchtlich. Donavan z.B. war absolut kein Fan des dogmatischen Ewan MacColl, erinnert sich anlässlich eines BBC-Interviews aber gerne an den Gitarristen und Sänger aus London: „Derjenige, der uns beigebracht hat, wie man all diese traditionellen Lieder singen und spielen kann, war Martin Carthy.“

Carthy und Swarbrick 1965 stand eine dieser Begegnungen an, die für eine der sorgältig gepflegten Legenden der Folkgeschichte sorgen sollte. Dave Swarbrick spielte ohne größere Inspiration die Fiddle in der Ian Campbell Folk Group. Das erste Treffen fand zwar im „Troubadour“ in London statt, aber erst kurze Zeit später, als Martin in Campbells Club in Birmingham spielte, machte es „klick“ zwischen Carthy und Swarbrick. Menschlich passten die beiden bestens zusammen (was gelegentliche Kräche nicht ausschloss), aber vor allem war es eine gemeinsame Sicht dessen, was man mit traditionellen Liedern und Melodien machen darf (so gut wie alles) und was nicht (zwischen Buchdeckel pressen und wegschließen). Es passte einfach, Kritiker bescheinigten dem Duo telepathische Fähigkeiten und tatsächlich machten Martin und Swarb mit Gitarre und Geige eine Musik, wie sie bis zu dem Zeitpunkt noch nicht zu hören gewesen war, eine einzigartige Mischung aus traditionellem und zeitgenössischem Material. So spontan und frei war ihre Musik, dass es überliefert ist, dass Martin bei einem neuen Lied Dave einfach eine Tonart zurief und dann mit dem Song anfing. Nach spätstens ein bis zwei Minuten Stimmen und Probieren stand die Fiddle-Begleitung. Sechs Alben entstanden in den nächsten vier Jahren, allesamt Klassiker vom ersten („Martin Carthy“) bis zum letzten („Prince Heathen“) und natürlich noch allesamt erhältlich. Naja, eigentlich war „Prince Heathen“ das vorerst letzte Album, denn die Partnerschaft Carthy/Swarbrick wurde in den frühen 90ern für zwei schöne CDs wiederbelebt, „Life And Limb“ und „Skin And Bone“.

Carthy und der Folkrock 1969 wechselte Swarbrick zu den einen englischen Folkrock-Pionieren Fairport Convention, ein Jahr drauf wurde Carthy Mitglied bei den anderen Pionieren des Genres, Steeleye Span. Deren Name hatte er übrigens mehr oder weniger unbewusst zu verantworten, weil er ihnen von diesem Lied („Horkstow Grange“) und diesem darin vorkommenden Typen (Steeley Span) berichtet hatte. Als Martin 1970 auf dem Cambridge Folk Festival mit der E-Gitarre auf die Bühne spazierte, müssen einige Zeitzeugen Vergleiche mit Dylan und Newport gezogen haben. Tatsache ist, The Watersonsdass die beiden Steeleye-Veröffentlichungen mit Martin Carthy, „Please To See The King“ und „Ten Men Mob“, absolute Folkrock-Meisterwerke sind. Als Steeleye Span Ende der 70er Jahre den großen Abschied planten (aus dem bekanntlich bis heute nichts wurde), da kam Martin für zwei weitere Veröffentlichungen mit der Band zurück und überzeugte die Gruppe, zwei Bertold-Brecht-Songs mit ins Repertoire zu nehmen, unvorstellbar für eine Folkband! Und dann ist da noch das 1999er Jubiläumsalbum „The Journey“, wo die gesamte personell erreichbare Steeleye-Geschichte vertreten war.

Nach Steeleye Span war jedoch sein Folkrock-Ausflug noch nicht zu Ende. Ashley Hutchings rief, und für „Battle Of The Field“ wurde Martin Mitglied bei der Albion Country Band und dem daraus resultierenden Projekt „Son Of Morris On“. Es spricht Bände über den Menschen Martin Carthy, wenn man feststellen kann, dass sämtliche seiner Kollaborationen im Folkrock-Bereich und darüber hinaus nie im Krach endeten, so dass er zu einem späteren Zeitpunkt immer wieder noch einmal mit den ehemaligen Kollegen zusammenspielen konnte.

Carthy & Co. Swarbrick, Steeleye und die Albions, das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus den Aktivitäten des Martin Carthy. Noch vor seiner Folkrock-Zeit traf er auf die einzigartige a-cappella-Familiengruppe The Watersons (1970 heiratete er Norma) und 1975 wurde die musikalische Zusammenarbeit mit „For Pence And Spicey Martin Carthy mit Dave SwarbrickAle“ erstmals auf Platte dokumentiert. Etwas neueren Datums ist die Formation Brass Monkey mit seinem alten Kumpel John Kirkpatrick und einer ausgewachsenen Bläsersektion. Entstanden war die Gruppe, weil Martin sich überlegte, wie man anders als mit Rockzutaten der Folkmusik neue Kraft und Frische geben könnte. Brass Monkey sind ein rundum gelungenes Experiment, was nur an der Tatsache leidet, dass die Mitglieder meist mit anderen Dingen beschäftigt sind. Die meisten Musiker tanzen aus Kreativitäts- und/oder Finanzgründen bekanntlich auf diversen Hochzeiten. Eine weitere dieser „Tanzgelegenheiten“ für Martin ist heutzutage Wood, Wilson & Carthy, wo er sich mit zwei jungen, energiegeladenen Musikern zusammentut, die altersmäßig (fast) seine Söhne sein könnten. Oder Band Of Hope mit Roy Bailey. Oder das „Silly Sisters“-Projekt. Oder Blue Murder, die extrem a-cappella-lastige Kombination von Waterson:Carthy, Mike Waterson sowie Coope, Boyes & Simpson, ganz zu schweigen von unzähligen Sessions mit Menschen wie Leon Rosselson, Les Barker, Peter Bellamy oder Richard Thompson.

Am wichtigsten ist ihm jedoch momentan Waterson:Carthy mit seiner Frau Norma und seiner Tochter Eliza, seit 1999 incl. Saul Rose. Drei CDs sind bislang erschienen, eine vierte steht kurz vor der Veröffentlichung. Es ist einfach etwas ganz Besonderes, mit der eigenen Familie zu musizieren. „Wenn du mit Blutsverwandten spielst, dann passiert etwas ganz Mysteriöses, etwas, was man mit nichts anderem vergleichen kann. Da kommt einfach nichts dran. Es ist etwas, von dem ich nie gedacht hätte, dass es mir passieren könnte. Passiert ist es relativ spät in meinem Musikerleben und es ist erstaunlich, fesselnd, aufregend und fantastisch. Ich glaube nicht, dass es etwas Besseres geben kann.“


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im Folker! 6/2001