backCastros Jugend tanzt kaum zu den musikalischen Großvätern

Musikszene Kuba – Eine Momentaufnahme

Son bleibt musikalischer Nabel der Insel

„Quiero ser buena gente
liberar mi mente
soy un negro Cubano
Cubano y Americano
pero sobre todo me siento Africano“

„Ich möchte ein guter Mensch sein
meinen Geist befreien
ich bin ein schwarzer Kubaner
Kubaner und Amerikaner
aber vor allem fühle ich mich als Afrikaner“

Victor – Rapmusiker

Compay Segundo und der Buena Vista Social Club haben (with a little help from Ry Cooder) die Welt zum Tanzen gebracht. Über fünf Millionen Mal verkaufte sich ihr erstes Album weltweit. Wer nach Kuba geht, kommt nicht um ihn herum, den Son. Die Insel wiegt sich in seinem Rhythmus – und hat ihn von Buenos Aires bis nach New York exportiert. Dort wurde er in den 60er Jahren als Salsa neu erfunden. Frisch in Havanna vom klimatisierten Flugzeug in die tropische Wärme entlassen und mit dem Taxi in die Altstadt verfrachtet, glaubt man, die ganze Stadt tanze im Rhythmus des elektrisierenden Taktes. Los Mambises, ein Greisen-Quintett, stimmt den Son Montuno an und lässt die schöne Kubanerin aus Guantánamo zum abertausendsten Mal aufleben. Gegenüber blasen zehn junge Schwarze volle Pulle in die Trompeten, während ihre Kollegen die Rumba trommeln. In einem nahegelegenen Restaurant tönt's wie zu Benny Morés' Zeiten in den 50er Jahren. Und immer wieder „Chan Chan“, Compay Segundos bekanntestes Stück. Das Zielpublikum: Touristen. Sie tanzen zwar etwas ungelenk zur Rumba und Guaracha, aber sie besitzen Dollars – und darauf sind nicht nur Musiker in Kuba versessen. Denn wer keine Touristendevisen besitzt, kann am neuen kleinen Wohlstand nicht teilhaben.

Von Martin Steiner

Auswahldiscographie
(Auswahl)

Sampler:

Cuba – I Am Time (Blue-Jackel BJAC 5010-2) – 4 CDs und ein 112-seitiges Booklet
Die vier CDs (Bailar con Cuba, Invocations, Cantar en Cuba, Jazz) enthalten 57 Stücke, angefangen von afrokaribischer Perkussion über Son bis Jazz; eine der spannendsten Zusammenstellungen kubanischer Musik

HipHop:

Orishas – „A lo cubano“ (Chrysalis 7243 5 21410 2 9)

Nueva Trova:

Pablo Milanés – „Años“ (Egrem)
Nostalgisches, dem Son verbundenes Duo-Album mit dem Gitarristen Luis Peña

Silvio Rodríguez y Pablo Milanés – „en vivo en Argentina“ (Cubartista)
Live-Aufnahme anlässlich eines Konzertes nach Beendigung der Diktatur in Argentinien

Silvio Rodríguez – „Mariposas, Mujeres“ und „Domínguez“ (beide Fonomusic Spanien)
Alles akustische Aufnahmen; Rodríguez ist wie Milanés am schönsten ohne orchestrale und synthetische Beilagen.

Pedro Luís Ferrer – „Lo mejor de“ (Bis-Music Cuba CD 123)
Ein ausgezeichneter Gitarrist und Komponist, der in seinen Liedern immer wieder dem Son die Ehre erweist. Im Gegensatz zu den Tenören Milanés und Rodríguez zeichnet sich Ferrer durch eine tiefe, ausdrucksvolle Stimme aus. Mit seinen neueren Lieder wie „Marucha la jinetera“, über eine Frau, die Touristen Sex für Dollars anbietet, oder „El tiene delirio de amar varones“ über einen Homosexuellen, stößt er im offiziellen Kuba nicht auf viel Sympathie.

Gema y Pável – „Cosa de broma“ (Nubenegra Int 3181 2)
Lieder zwischen afrokubanischem Son, Jazz, Pop und brasilianischen Einflüssen

Rock:

Carlos Varela – „Como los peces“ (BMG Ariola Spanien)
Die Aufnahme entstand in Spanien in Zusammenarbeit mit Joaquín Sabina. Herausragend sind seine Texte immer dann, wenn er sich auf sein Heimatland bezieht.

„Nubes“
Varelas neuestes, eher persönliches Album

Síntesis – „Ancestros 1 und 2“ (Qbadisc) und „Orishas“ (BMG Milan Latino)
Afrokubanischer Jazz-Rock, gesungen in Yoruba-Sprache

Die Diskographie entstand unter bewusstem Verzicht auf den Son. Allein ein kleineAuslese der Unmenge von monatlich erscheinenden Son- und Timba-CDs würde hier den Rahmen sprengen.

Kuba im Internet:

go! www.soncubano.com – kompetentes, gut gemachtes Nachschlagewerk eines Musikers, Exil- und Heimwehkubaners über Musikstile und Soneros

www.afrocubanweb.com – Musik, Tanz, Politik und vieles mehr über die afrokubanische Kultur. Von US-Amerikanern gemachte Website, die vehement auf Distanz geht zur US-Politik

go! www.sastom.demon.nl – Timba-Website, alles über die Timba-Stars

go! www.cubaweb.cu – Staatliche touristische Website, auch über Musik

go! www.pablomilanes.com – Pablo-Milanés-Website

go! www.patriagrande.net/cuba/silvio.rodriguez – Silvio-Rodríguez-Website

go! www.varelamusic.com –Carlos-Varela-Website

Kubanisches Festival-Paket in Deutschland unterwegs

Festival de Son Cubano: Felix Dima, Proposisón, Típico Oriental Cubano und Caridad Hierrezuelo

Schon lange dürfen sich Freundinnen und Freunde keltischer Musik auf Irish- und Scottish-Folk-Festivals freuen. Endlich kommen auch Fernweh-KubanerInnen auf die Rechnung. Die Formel ist einfach, aber genial: Man nehme vier Gruppen, beginne mit einem ruhigeren Soloauftritt, füge eine unbekannte oder gar den Stil sprengende Gruppe an, gefolgt von zwei bewährten Sachen, um am Schluss zur Jam-Session anzusetzen. „Wenn Du Soneros importieren möchtest, die hier zu Lande niemand kennt und die erst noch jedes Stück selbst komponieren, würde kaum jemand zu einem solchen Konzert kommen. Wenn ich aber eine etwas experimentellere Gruppe wie Proposisón in ein Festivalpaket einfüge, werden die mit ihrer einmaligen Mischung aus vokaler Musik und Son einen großen Erfolg haben“, erklärt Veranstalter Antonio Martínez das Konzept. Proposisón stammen, wie alle anderen KünstlerInnen des Festivals, aus Santiago de Cuba, der Wiege des Son. Wer schon einmal an einem Sonntagmorgen die Casa de la Trova in Santiago besucht hat, weiß, dass dort meist ältere Semester auf der Bühne stehen, die von ihren AltersgenossInnen im Publikum gefeiert werden. Daher dürfen alte Frauen und Männer auch bei keiner Son-Veranstaltung fehlen. Den Auftakt des Festivals besorgt der 70-jährige Felix Dima allein mit seiner Stimme und seiner Gitarre. Die Herren des Quartetts Típico Oriental Cubano sehen nicht nur aus wie ihre Kollegen der Vieja Trova Santiaguera, auch musikalisch ist bei ihnen traditioneller Son angesagt. Stargast des Abends ist die 76-jährige Caridad Hierrezuelo, eine der großen alten Damen der kubanischen Musik. Wenn sie mit ihrem Septett in die Vollen geht, wird kein Tanzbein mehr ruhig bleiben.

Termine: Festival de Son Cubano

11.09. Bremen, Schlachthof
12.09. Göttingen, Mensa
13.09. Hamburg, Fabrik
14.09. Braunschweig, Eissporthalle
16.09. CH-Zürich, Limmathaus
17.09. CH-Basel, Stadtcasino
20.09. München, Mufftahalle
21.09. Freiburg, Jazzhaus
22.09. CH-Biel, Bienne Centre CTS
24.09. Kiel, Schloss
25.09. Berlin, Haus der Kulturen der Welt
27.09. Stuttgart, Theaterhaus
28.09. Nürnberg, Tafelhalle
29.09. Regensburg, Mensa

Kontakt:
go! www.son-festival.de

Das Land hat zwei Währungen: den Peso Cubano und den US-Dollar. Wer bei Kubas einzigem Arbeitgeber, dem Staat, angestellt ist, verdient sein Salär in Pesos. Damit kommt man gerade mal an Grundnahrungsmittel. Kleider und Hygieneartikel können aber meist nur in Dollar-Shops erstanden werden. Ein Stück Seife kostet bereits einen halben Dollar. Und wenn ein Arzt monatlich etwa zehn Dollar verdient, ist das Geld schnell aufgebraucht. Da helfen nur noch die grünen Scheine aus Miami oder von den Touristen. Wer mit ihnen Geschäfte macht, kann sich oft ein Vielfaches eines Angestelltenlohns erwirtschaften. So erstaunt es nicht, dass in Touristenorten wie Havanna, Trinidad oder Santiago in jedem Restaurant eine Vieja Trova aufspielt. So lustlos wie so manche Straßenmusiker in unseren Breitengraden gehen die kubanischen Soneros allerdings nicht ans Werk. Für ein paar Dollars langen die Musiker gut und gerne eine halbe Stunde in die Saiten – und das sichtlich mit viel Freude und Energie. Erstaunlich auch das hohe Niveau der Musiker – im Rhythmus sind Kubaner sowieso nicht zu übertreffen, aber auch instrumental beweisen sie, dass das, was bei uns als das Stärkste aus dem Land von Fidel und Compay angepriesen wird, die Qualitätsnorm ist. Fast jede Gruppe hat zumindest eine Kassette, meist aber eine CD anzubieten – und auf fast jeder CD findet sich „Chan Chan“. Einige Soneros träumen sogar von einem internationalen Plattenvertrag. Der bringt ihnen nicht unbedingt das große Geld, aber Auftritte. So auch für das Septeto Santiaguero, die im heimischen Santiago schon mal für nur eine Hand voll ZuhörerInnen aufspielen. „Früher hatten wir nur wenige Auftritte, jetzt spielen wir fast jeden Abend irgendwo auf der Welt“, meint Bandleader Fernando Dewar.

Timba – Schneller Tanz zu heißen Rhythmen

Die Welt ist in die kubanische Musik der 50er-Jahre, der Zeit vor der Revolution vernarrt. Aber hören KubanerInnen auch vor allem Musik im Stile eines Compay Segundo? Tun sie nicht. Wer genauer zuhört, wird feststellen, dass aus den schwarzverdunkelten Fenstern der alten US-Amerikaner-Schlitten Techno und HipHop knallt, während die ältere Kubanerin ihr Arroz Congrí (Reis mit Schwarzen Bohnen – die Basis der traditionellen kubanischen Küche) zu mexikanischen Schnulzen kocht.

Der 25-jährige Victor, Rasta und Perkussionist einer Rap-Gruppe in einem Vorort von Santiago, meint auf die Frage, was er vom Son halte: „Nun ja, als Kubaner muss ich diese Musik lieben. Das sind unsere Wurzeln. Aber das hörst du an jeder Straßenecke. Ich möchte etwas Neues entdecken. Deshalb spiele ich Rap, höre Bands wie Raga-Sonic oder Bob Marley.“ Rap ist sehr populär bei jungen KubanerInnen. Wer eine halbe Generation älter ist, hat damit bereits nicht mehr allzu viel am Hut: Jaime, ein 40-jähriger Agronom aus Pinar del Río und sein Alterskollege Nestor, Mediziner aus Sancti Spiritu, haben zwar grundverschiedene politische Ansichten – ersterer schwört auf eine sofortige kapitalistische Wende, der andere auf die Werte des Kommunismus – doch ihre musikalischen Favoriten sind die gleichen: Los Van Van. Sie sind wohl die wichtigsten Neuerer des Son, haben ihn elektrifiziert, schneller und druckvoller gemacht. Um sich von der US-Salsa zu distanzieren, gaben sie früher zu verstehen: „Was wir singen, ist keine Salsa, was wir singen ist Son“. Später tauften sie ihre Musik „Songo“. Dann erweiterten sie das Rezept, mischten zu den polyrhythmischen afrokubanischen Elementen noch Rap, Afro-Jazz und Reggae. Die „Timba“ war geboren.

Cumbia und Son: Erfolgreiche Partner

Der wechselnde Name für den mehr oder weniger gleichen Rhythmus zeigt das Bestreben von Bandleader Juan Formell und seiner Truppe, den Son zu erneuern und der Zeit anzupassen. Und dass ihr Rezept erfolgreich ist, zeigen Auftritte in Kuba vor nicht selten 50.000 ZuhörerInnen. Ähnlich hoch in der Publikumsgunst stehen andere Timberos wie Manolito Simonet, Carlos Manuel, Paulito F.G., el Médico de la Salsa, La Charanga Habanera und – allen voran – Issac Delgado. Delgado, früher unter anderem Sänger bei NG la Banda, hat nicht nur eine weiche, modulierfähige Stimme, er hat auch das Gespür für die richtigen Lieder und Arrangements. Wenn er in „La vida es un carnaval“ ganz Kuba überzeugt, dass das Leben kein Jammertal, sondern eine wunderschöne Achterbahn sei, bringt er von der Kassiererin bis zum Geschäftsführer eines Dollar-Shops alle zum Tanzen – und die Kassiererin zusätzlich zum Schmelzen. „Carnaval“, ein Cumbia-Son geschrieben vom Argentinier Victor Daniel, hat die Liebe der KubanerInnen zur kolumbianischen Cumbia wieder aufleben lassen. So präsentiert Laito Jr. mit seiner Sonora Sonora neben „Carnaval“ auch Vallenatas und den alten Cumbia-Standard „La piragua“ in peppigem Son-Gewand. Dass sich die Cumbia und der Son gut vertragen, ist allerdings nichts Neues. Schon vor fünfzig Jahren hatte Guillermo Portabales auf „El carretero“ Cumbia-Rhythmen in sein Repertoire aufgenommen. Der Erfolg moderner Soneros und Timberos gründet aber nicht nur auf offenen Ohren für andere Rhythmen. Beim Erfolg der Timba nimmt vor allem auch die stark sexuelle Komponente der Show einen wichtigen Stellenwert ein. Timba-Konzerte kommen nicht ohne kurzgeschürzte Tänzerinnen aus, deren kreisende Becken das männliche Publikum in Verzückung bringen. Die Regierung in Havanna zeigte darob nicht immer die gleiche Freude: Die Clubs, in denen Timba-Gruppen auftraten, wurden wegen der dort blühenden neuen Prostitutionsszene in der Vergangenheit öfters geschlossen.

Orishas – HipHop für Kubas Götter und Kids

Die Europäer mögen zum Buena Vista Social Club tanzen, die Lateinamerikaner zur Timba, für jugendliche KubanerInnen sind Techno und Rap aus den Ländern der freien Marktwirtschaft aufregender. Orishas, vier junge Kubaner, die 1999 in Paris ihr erstes Album aufnahmen, sind die populärsten Vertreter des Genres. OrishasOrishas' HipHop ist jedoch keinesfalls eine spanisch gesungene Kopie der amerikanischen Vorbilder. Schon ihr Name ist Programm: Die Orishas waren afrikanische Könige und Helden der Yoruba, die nach ihrem Tod den Status von Gottheiten erlangten. Ihre Kräfte bestimmen die Natur und das Leben vieler schwarzer KubanerInnen. In den Santería-, Regla-Lucumí- und Regla-de-Osha-Kulten der Yoruba hatten die Musik und der Tanz seit jeher eine sehr wichtige Funktion. Dieser Tatsache war sich die junge Band bewusst. Auch sie machen Tanzmusik. Kubanische Rumbas und Guaguancos vermischen sich bei ihnen problemlos mit gesprochenen Versen über das Leben junger Leute in Havanna und mit Santería-Weisheiten. Wo sich US-HipHopper tierisch ernst nehmen, kommt bei Orishas alles mit Humor und Leichtigkeit daher. Paradebeispiel ist das Stück „537 C.U.B.A.“, der wohl schrägsten Version von Compay Segundos „Chan Chan“. Orishas Album „a lo cubano“ schallt aus allen CD-Läden. Wenn Bleichgesichter nahen, wird die CD tunlichst aus dem Spieler gezogen und durch dem echten Compay ersetzt – die Touristen sollen das zu hören bekommen, was sie auch kaufen. CDs kosten in Kuba 15 Dollar. Das ist mehr, als KubanerInnen im Monat verdienen. Kein Wunder, dass die Verkaufsläden vor allem traditionellen Son für den Touristengeschmack anbieten. Orishas CD findet man nicht in den Regalen. „Die wird noch nicht in Kuba vertrieben“, gibt mir eine Verkäuferin zu verstehen. „Interessierst du dich dafür?“ Sagt's und zieht aus ihrer Handtasche eine gebrannte CD-Kopie. „Das ist meine Kopie. Kannst du haben für fünf Dollar.“ Gäbe es keine Kassetten oder gebrannten CDs, die irgendwie den Weg über Miami, Mexiko oder Europa ins Land des Zuckerrohrs finden, könnte die kubanische Jugend tatsächlich nur Son tanzen.


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Musikszene Kuba
im Folker! 5/2001