backFrischer Wind aus Marokko

Sawt el Atlas

Boygroup zwischen den Welten

Die französischen Teenager sind dem Charme der jungen Herren bereits reihenweise erlegen. Ihre Videos laufen die TV-Kanäle hoch und runter und ihre zweite CD geht für Weltmusik-Verhältnisse ausgesprochen gut über die Ladentheken Frankreichs. Die einschlägigen Jugendmagazine sind voll mit den Bildern von Kamel und Mounir, den charmanten Sängern von Sawt el Atlas, die, auf den Spuren von Cheb Mami, Khaled und Rachid Taha wandelnd, die neue Generation des Raï anführen. Mit ihrem aktuellen Album „Donia“ haben sie letztes Jahr in Frankreich den großen Durchbruch geschafft. Während sie dort bereits als neue Boygroup gefeiert werden, wurden sie hierzulande bisher eher zögerlich wahrgenommen.

Von Claudia Frenzel

Tourdaten

31.08.01 D – Mühlheim, Odyssee
01.09.01 D – Recklinghausen, Odyssee
02.09.01 D – Bochum, Odyssee

Discographie

1998 „Généralier“ (CNR) nur in Frankreich erhältlich

2000 „Donia“ (Sony France/ Tropical Music)

SAWT EL ATLAS

„Donia“

(Tropical Music)
12 Tracks; 48:02

Sawt el Atlas gelten mit ihrer Mischung des Raï mit Funk, Reggae, Latinsounds und orientalischem Orchester inzwischen als die neue Generation des französisch-arabischen Raï. Damit kommen sie sowohl bei der arabischen als auch der französischen Jugend – als neue Boygroup – an. Ihre Musik ist nicht so neu, aber schön und ihre Entwicklung seit ihrem Debüt bemerkenswert. „Donia“ ist popig, groovig und ruft zum hüftschwingenden Abtanzen. Ein Großteil der Songs, die durchaus Ohrwurmqualitäten haben, wird von gemächlichen Streichersätzen, die eigens in Kairo eingespielt wurden, getragen. Das verleiht dem Sound manchmal fast schon etwas schnulzig Schwülstiges. Bereits der Opener „Ne me jugez pas“, in Frankreich in den TV- und Radiorotationen, birgt Raï-Pop-Qualitäten zum Mitsingen (so man des Arabischen und Französischen mächtig ist). Bei „Andalusia“ und „Datna“ sind hingegen satte Reggae-Klänge und spanischer Gesang zu hören, was sich in der Mischung mit Arabisch etwas gewöhnungsbedürftig anhört. Alte arabische Instrumente wie Oud oder Kanoun kommen auf dem zweiten Album der Franzosen ebenso zum Einsatz wie Synthesizer, Bläsersätze und Samples. Damit gelingt Sawt el Atlas eine tanzbare Orient-Pop-Fusion zwischen den Genres. Mit ihren Texten bewegen sie sich dabei mitunter auf poppig simplem Text-Terrain wie bei „Le soleil de ma vie“ (wer hört das nicht gern) oder „Mama“. Und wie für junge Herren Anfang zwanzig nicht unüblich, spielt l'amour eine große Rolle in ihren Songs. Aber vielleicht treffen sie ja damit auch genau den Nerv ihrer Fans, die zumeist weiblich sind. Ein kleiner Leckerbissen der CD ist der Titel „Ness“. Für ihn konnten die beiden Cousins Kamel und Mounir Namensvetterin Natacha Atlas für den Gesang gewinnen. Und dieser Titel avanciert irgendwie zum kleinen Highlight der Scheibe. Ein extrem nettes leicht verdauliches Sommerhäppchen für laue „Orient“-Nächte am Pool – so vorhanden.

Claudia Frenzel

„Das ist Musik die man das erste Mal hört und die einem sofort gefällt“, sagt eine junge Frau, die neben mir dem strömenden Regen trotzend, von den ersten Takten des Konzertes an verzückt tanzt. Nein, von Sawt el Atlas ['saut el 'atlas] habe sie noch nie gehört, gesteht sie und tanzt begeistert weiter. Damit dürfte sie beim diesjährigen Tanz&Folkfest Rudolstadt nicht die Einzige gewesen sein, denn hierzulande fristen die aus Marokko stammenden Franzosen momentan noch ein Schattendasein. Obwohl Raï in den letzten zehn Jahren an Bedeutung und Fans zugenommen hat, sind Sawt el Atlas derzeit nur in Frankreich so etwas wie Superstars. „Weil es dort inzwischen so viele Raï-Gruppen gibt, nehmen die Leute diese Musik viel mehr wahr“, versucht Kamel das Phänomen zu erklären. Die Wegbereiter hierfür sieht er ganz klar bei Rachid Taha, Cheb Mami oder Khaled, die den Raï populär gemacht haben. Aber auch die Art dieser Musik ist für die Marokkaner ein auschlaggebender Faktor. „Raï ist eine sehr warme Musik, die Lust zum Tanzen macht. Es ist eine Musik, die diese Welt braucht, die wichtig geworden ist“, meinen die beiden Sänger.

Auf der Weltmusikmesse WOMEX ernteten die Marokkaner im vergangenen Jahr für ihren Auftritt große Anerkennung der Musikkritiker. Die kamen gar ebenso wie französische Teenager-Magazine ins Grübeln, wer von den beiden 24-Jährigen nun eigentlich „süßer“ sei, Mounir Mirghani oder Kamel El Habchi. Eine Frage, die deutsche Teenies bisher noch kalt lässt, denn hierzulande führen immer noch Robbie Williams und Sabrina Setlur die Bravo-Charts an. Wollen Sawt el Atlas die deutschen Teenies nun auch so begeistern wie die französischen? „Warum nicht“, sagen sie lachend, „es ist schön, wenn sie unsere CDs kaufen.“

Prominenter Förderer: Jack Lang

Als Sawt el Atlas vor über zehn Jahren gegründet wurden, waren die beiden Sänger Mounir Mirghani und Kamel El-Habchi gerade mal zwölf Jahre alt. Während andere Jungs Fußball spielten, übten Kamel und Mounir sich in Gesang und Tanz. Vielleicht liegt es daran, dass sie diesbezüglich Nachholbedarf haben und vor ihren Auftritten, so auch in Rudolstadt, backstage ausgelassen kicken.

Sawt el AtlasDie Band besteht aus drei Brüdern der El-Habchi-Familie, die aus dem Süden Marokkos stammt, und drei Brüdern der Mirghani-Familie, die aus Casablanca nach Frankreich einwanderte. Die beiden Cousins Kamel und Mounir hatten auf Familienfesten in ihrer Heimatstadt Blois ihre Vorliebe für die Musik entdeckt. „Wir kommen nicht aus einer besonders musikalischen Familie“, betonen sie, „aber wir haben bei Feiern einfach auf den Tischen getrommelt und gesungen und festgestellt, dass uns das Spaß macht und unseren Familien auch.“ Fortan spielten sie mit ihren Brüdern auf Hochzeiten und Geburtstagen, bis sie irgendwann beschlossen, dieses Hobby zur Profession zu machen.

Als sie 1992 beim „Festival Francofolies“ auftraten, wurde Bernard Batzen, der damalige Manager von Mano Negra, der einstigen Band von Manu Chao, auf die jungen Talente aufmerksam. Er nahm sich ihrer an und kümmert sich bis heute um die Francomarokkaner. Bei den französischen Festivals „Printemps de Bourges“ und „Transmusicales“ wurden sie als neue Entdeckung gefeiert. Es folgten Mitte der 90er Jahre Auftritte bei Festivals in Arezzo, Tilburg, Moers und in Roskilde. Auch der ehemalige Kulturminister Frankreichs, Jack Lang, der heute Bürgermeister von Blois ist, gehört zu den langjährigen Förderern der Gruppe. 1996 begannen sie an den Aufnahmen für eine erste CD zu arbeiten, die 1998 unter dem Namen „Généraliser“ bei Sony France erschien und leider nur in Frankreich erhältlich ist.

Unempfänglich für den Starrummel

Obwohl fast alle Bandmitglieder in Frankreich geboren und aufgewachen sind, haben ihre marokkanischen Wurzeln für sie eine ungebrochen starke Bedeutung. Sie sind auch musikalischer Bezugspunkt. Schon der Name verdeutlicht dies. Sawt el Atlas, was so viel wie „Stimmen des Atlas“ bedeutet, soll ihre marokkanische Herkunft ganz bewusst unterstreichen. „Marokko liegt auf dem Atlas und damit fühlen wir uns eng verbunden. Der Name sollte zeigen, woher wir kommen, nämlich aus Marokko“, erklären sie. Das betonen sie auch bei ihren Konzerten. Sie stellen sich ganz bewusst als Marokkaner, nicht als Franzosen vor und spielen während ihrer Bühnenshow mit den Elementen ihrer Kultur. Orientalischer, manchmal etwas unbeholfen wirkender Tanz und der Einsatz traditioneller Instrumente sind keine Zufälligkeiten und verfehlen nicht ihre Wirkung beim Publikum. Mit diesem dezenten Einsatz mitteleuropäischer Klischeevorstellungen und einer immensen Bühnenpräsenz verstehen sie es, auch ein Raï-unbedarftes Publikum auf ihre Seite zu ziehen. Davon konnte man sich in Rudolstadt überzeugen, wo immerhin mehrere Hundert dem Dauerregen trotzten und sich fasziniert den unbekannten Orientbeats hingaben.

Auch privat sind die kulturellen Wurzeln tief. Mounir und Kamel haben beispielsweise eine enge, wenn auch nicht fundamentale Bindung an den Islam. Sie beten regelmäßig, trinken und rauchen nicht. Vielleicht macht sie auch das in gewisser Weise unempfänglich für den Starrummel, den man in Frankreich um sie betreibt. Ja, Religion und Familie gäben ihnen den nötigen Halt für's Showgeschäft, meinen sie.

Vorbilder für die Einwanderer-Jugend

Heute werden Mounir und Kamel mit ihren Brüdern in Frankreich auf der einen Seite als die nächste Generation des Raï gehandelt, obwohl sie immer wieder betonen, dass sie gar keinen Raï im eigentlichen Sinne machen. Sie mischen den marokkanischen Raï- und Chaabi-Klängen noch Elemente von Pop, Elektrosounds, Salsa, Reggae Funk und Breakbeats hinzu und unterscheiden sich damit auch von ihren musikalischen Vätern. Die Musik, mit der sie selbst aufwuchsen, wie Bob Marley, Kool & The Gang, aber auch Rachid Taha und Cheb Mamie, hat natürlich Spuren hinterlassen. So finden sich beispielsweise auch sehr reggaelastige und funkige Klänge auf ihren Alben.


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im Folker! 5/2001