Musik muss reisen, sagte einmal der senegalesische Sänger Baaba Maal, und sein marokkanischer Kollege El Houssaine Kili meinte gar: Gott hat die Sonne unterschiedlich verteilt, damit die Menschen reisen. Dhafer Youssef ist einer, der dies so intensiv lebt wie wenige. Allzu lange hält es den Mann nicht an einem Ort, und die Abstände zwischen den Aufenthalten werden kürzer. Als könne eine neue Melodie, ein neuer Rhythmus nur an anderem Ort gefunden werden, treibt es ihn weiter, immer wieder. geographische Stillstand als das Ende der Kreativität? Youssef bejaht diese Frage intensiv, für ihn ist das Umherziehen der Pulsschlag seines Schaffens.
Von Luigi Lauer
1998 Malak (Enja) |
1967 im tunesischen Térboulba geboren, sind die Lieder der Koranschule Youssefs musikalische Früherziehung. Sie bleiben der einzige Berührungspunkt mit der Musik, für viele Jahre. Denn Kultur kommt im Hause Youssef nicht vor, die Eltern, einfache Menschen, interessieren sich nicht dafür und sind ausreichend damit beschäftigt, ihre neun Kinder durchzubringen. Youssef will die Oud spielen, die omnipräsente arabische Laute, doch dafür ist kein Geld da. Mit fünfzehn hat er sich dann genug auf Hochzeiten zusammengesungen, um sich eine zu kaufen, gegen den Widerstand der Eltern. Und vier Jahre später, nach Schulabschluss, beginnen seine Lehr- und Wanderjahre. Youssef kommt nach Graz. Nicht, weil es Graz sein sollte. Woanders sollte es sein, und Österreich ist praktisch, da braucht er kein Visum. Eine Laufbahn vom Tellerwäscher zum Fensterputzer schließt sich an, er geht nach Wien, wo er es bis zum Kellner und Pizzaverkäufer bringt. Doch dann schafft er es auf die Bühne im Kindertheater. Aber egal, er lernt die multikulturelle Wiener Szene kennen, spielt bald hier, bald dort, knüpft wichtige Verbindungen, kann von der Musik leben. Und lernt sehr viel. Es ist in dieser Zeit, dass sich sein musikalisches Weltbild formt, das zwischen Jazz und Weltmusik liegt.
Mit Joe Zawinul, dem Vorzeige-Weltmusikjazzer Österreichs, trifft er nie zusammen: Ich brauche das nicht, mit großen Namen zu spielen. Jeder Musiker hat seine eigene kleine Geschichte zu erzählen. Nicht alle können das in ihrer Musik ausdrücken. Aber wenn du es kannst, brauchst du dich mit niemandem zu schmücken. Youssef kann es. Dennoch: Die Liste seiner früheren Mitstreiter kann sich lesen lassen, Renaud Garcia-Fons, Carlo Rizzo, Nguyên Lê, Sainkho Namchylak aber Youssef hält nichts von solchen Aufzählungen. Er ist Dhafer Youssef, das reicht, und darin schwingt keineswegs Überheblichkeit mit. Nur Selbstbewusstsein. Fast zehn Jahre bleibt er in Österreich, dann geht es Schlag auf Schlag: Dakar, New York, Korea, Marokko und Berlin folgen, momentan lebt er wieder in New York, Südafrika ist als nächstes geplant. Zuhause ist da, wo Handy und Laptop sind. Was anfänglich eine eher ziellose Suche nach Identität, nach musikalischer Raumordnung war, ist nun Programm. Neue Menschen zu treffen, ist heute der Schrittmacher seiner Wanderbewegungen.
Mit seinen Musikern hat Dhafer Youssef nur eines gemein: Sie sind Spitzenkönner ihres Faches und offen für Begegnungen. Der Rest des Bildes wird von Unterschieden gemalt, seine Mitstreiter kommen aus anderen Kulturkreisen, haben andere Wege der musikalischen Ausbildung beschritten, sind in anderen Genres zu Hause. Auf seinem zweiten Album Electric Sufi (demnächst bei Enja) versammelt er Kollegen von vier Kontinenten. Wer dabei jetzt an ein bloßes Zusammenwerfen von Musiksystemen denkt, die neben der Naturtonreihe wenig gemeinsam haben, liegt falsch. Youssefs Kompositionen sind ebenso durchdacht wie die Auswahl seiner Musiker, sensible Hin-Hörer, keine Selbst-Darsteller.
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