Kehlkopfgesang wird durch eine Polka erschüttert; es joikt durch den Tango; ein Walzer rockt sich durch die Wand, und zu Techno-Beats erklingen uralte Hirtenhörner was ist los in Finnland? Braucht das Volk, das man zu den schweigsamsten der Welt zählt, die volle Breitseite, um sich zu artikulieren? Im zweiten Teil unseres Berichtes über die finnische Szene soll das Chaos ein wenig sortiert werden.
Von Jaana Mutanen*
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Fangen wir dafür ganz vorne an, bei den ältesten Instrumenten. Das sind Kantele, Jouhikkou und verschiedene Hirtenhörner zu nennen. Die Kantele ist das Nationalinstrument Finnlands. Sie ist ein hackbrettartiges Volksinstrument, das nach Art der Zither gezupft wird. Ursprünglich auf fünf Saiten beschränkt, kommt sie heute wuchtig mit bis zu 39 Saiten daher und kann mittels einer Mechanik, die von der keltischen Harfe übernommen wurde, chromatisch gespielt werden. Interessant auch die Rosshaarkannel (Jouhikkou), eine mit Geigenbogen gespielte Leier, deren Tonumfang auf die Grundstimmung der vorhandenen drei bis vier Saiten limitiert ist abgesehen von der geringfügig zu modulierenden Melodiesaite. Das Instrument hat in der antiken Lyra sein Vorbild. Etwas aus dem Rahmen fällt die singende Säge. Finnland und der Wald da ist eine Säge nie weit entfernt, und es waren Waldarbeiter die auf die Idee kamen, sie mit einem Geigenbogen zu traktieren. Als nicht ganz so alte Volksmusikinstrumente sind Geige, Klarinette und Akkordeon zu erwähnen, die alle einen hohen Stellenwert in der finnischen Musik einnehmen. So hat etwa die Geige der Kantele als Volksmusikinstrument den Rang abgelaufen, und die Klarinette begann man anzuwenden, um die Stimme der Geige zu verstärken. Heikki Syrjänen und Pekka Westerholm werden beim diesjährigen Tanz&Folkfest Rudolstadt im Rahmen des Instrumenten-Schwerpunkts Magic Clarinets die finnische Naturklarinette Mänkeri vorstellen. Das Akkordeon war, wie ein guter Anzug, zuerst ein- oder zweireihig. Die ersten kamen aus Russland, was zu den starken slawischen Einflüssen in der finnischen Volksmusik mit beigetragen hat. Als neuere volkstümliche Instrumente haben wir das Harmonium, den Kontrabass, die Mundharmonika, die Grosskantele, die Mandoline, das Banjo und eine Art Zither.
Bis zum 17. Jahrhundert, als die Samen auf brutale Weise christianisiert wurden, spielte die Musik eine wichtige Rolle im religiösen Leben der Samen. Der Schamane benutzte in seiner Arbeit sowohl Gesang als auch Instrumente. Schamanengesänge gab es zu Gelegenheiten aller Art, etwa nach einem Todesfall, oder, um diesen zu verhindern, bei Krankheit. Als Instrument wurde die Schamanentrommel benutzt, die, wie bei den Derwischen, nötig war, sich in Trance zu versetzen, um zum Beispiel die Ahnen im Totenreich um Rat zu bitten. 72 dieser alten Schamanentrommeln gibt es heute noch auf der Welt, die meisten in mitteleuropäischen Museen. Das Sami-Museum in Karasjok hat über die Lappland-Initiative in Bremen versucht, ein Original zurückzubekommen. Sie bekamen es leihweise. Die Bremer hängten sich derweil ein Plastikimitat an die Wand. Bedeutsam sind die Malereien auf dem Trommelfell. Das auf der einen Seite abgebildete samische Weltbild ist für die anwesende Gemeinde, die Innenseite, wo die als Hilfsgeister dienenden Amulette angebracht sind, nur für den Schamanen bestimmt. Es gab übrigens sowohl männliche wie weibliche Schamanen.
Die wichtigste Musik der Samen ist das Joik (Joiku), ein einzigartiges Ausdrucksmittel in Europa. Es hat verschiedene Benennungen, je nach Gegend. Manche der Joiks erzählen von Personen, die meisten aber von Tieren, die besonders wichtig für Samen sind, z.B. Rentiere, Wildtiere und anderes Schmackhaftes. Auch heilige, besondere Plätze in der Natur sind Themen des Joik. Man joikt nicht über etwas, man joikt etwas, erzeugt also durch das Joik die Vorstellung von der Anwesenheit von Menschen, Tieren, Landschaften. Die Joiks sind halb improvisatorisch, sie werden der Auftrittssituation angepasst. Es kommen rhythmische und melodische Veränderungen vor, Vibrati und schnelle oder langsame Tremoli.
In den 60er Jahren mussten viele Samen Hunderte Kilometer von Zuhause in Heimen lebten. Die samische Jugend hörte jeden Tag sogenannte westliche Musik, gewöhnte sich daran und begann, in das Joik verschiedene Musikarten einzumischen. Einer der ersten Musiker dieser Art, Veijo Länsman, begann Ende der 60er bekannte westliche Hits mit neuen samischen Texten zur Gitarre zu singen. Máze Nieddat (die Mädchen von Masi) haben Tango, Polka und Walzer aus Masi gesungen. Ammun Johanskareng entwickelte zusammen mit Halvdan Nedrejord die samische Pop- und Rockmusik. Auch Country begann, sehr samisch zu tönen. Der Joiker Ailu Gaup spielte zusammen mit der Gruppe Ivnniiguin samischen Heavypunk. Natürlich kamen hier die elektrischen Gitarren ins Spiel, vor allem aber bestimmten die Synthesizer den Sound der neuen samischen Musik. Zu Beginn der 80er Jahren begann das Save-Duo sogar samische Discomucke zu komponieren.
Samiland heute ist die Heimat von Künstlerinnen und Künstlern wie Annel Nieddat und Wimme Saari sowie Ulla Pirttijärvi, dem Schamanenduo und Viddas. Aber einer der wichtigsten Urväter und Botschafter der Kultur der Samen ist neben Mari Boine wohl Nils Aslak Valkeapää oder Ailu, wie er auch genannt wird. Ailu ist ein Finnsame, wohnt aber zur Zeit in Norwegen in Skibotn. Für ihn sind Schreiben, Malen, Photographieren, Zeichnen, Komponieren und Joiken immer ein und dasselbe gewesen: Immer lobt er die Schönheit der Natur. Obwohl Ailu immer wieder das traditionelle Joik verehrt und betreibt, hat er es zusammen mit Paroni Paakunainen, dem Erfinder der sogenannten Jazzkalevala und Gründer der finnischen Ethno-Jazzgruppe Karelia Joik, in Richtung Jazzmusik weiterentwickelt. Er nennt es Neues Joik. Das neue Joik wurde auf Schallplatten wie Sámi Eatnan Duoddariid und Sápmi Lottazan 1&2 veröffentlich. Ailu hat übrigens für sein Poesie-Epos Beaivi, Áhcazan im Jahre 1991 den kleinen Nobelpreis gewonnen, den Literaturpreis des Nordischen Ministerialrates. Das Werk erzählt die Geschichte der Samen und enthält über 500 Photos. Als musikalischen Nachfolger bildet Ailu Johan Anders Baer aus. Im neuen Album von Baers findet man Joik-Rock und Joik-Jazz. Das Joik wird auch mit anderen skandinavischen Volksmusiken gemischt. Aber Baers vergisst bei seinen Live-Auftritten dennoch nie das traditionelle Joik, wie sein Vorbild und musikalischer Vater Ailu es gewünscht hatte.
Ein Tipp zum Schluss für alle Finnland-Besucherinnen und -Besucher: Der beste Plattenladen für Folk und Weltmusik ist Digelius, an der Fünfecke in Helsinki. Digelius ist ohne Übertreibung eines der besten Volksmusikgeschäfte in Europa, mit einer sehr breiten Auswahl von Platten aus aller Welt.
*With a little help von Luigi Lauer
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Mehr über die Szene Finnland im Folker! 4/2001 |
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