backFolk-Urgestein und Brachialromantiker:

Jürgen B. Wolff

Von Folkländer über das Duo Sonnenschirm zur Leipziger Folk Session Band

Discographie
Sampler: „Frischauf ins weite Feld“ (LP; 5 Titel von Folkländer),
  Amiga 1980
Folkländer: „Wenn man fragt, wer hat's getan“ (LP) Amiga 1981
  (1996 als CD bei Loewenzahn mit 8 Bonustracks von
  Folkländer und Folkländers Bierfiedler)
Sampler: „Zeitzeichen“ (LP; 3 Titel von Duo Sonnenschirm),
  Amiga 1989
Sampler: „Glasbruch 1848“ (LP; Titelsong von
  Beckert/Wolff/Kross), Trikont 1984
Duo Sonnenschirm: „Beschattung“ (LP) Amiga 1989
Duo Sonnenschirm: „Flucht nach vorn“ (LP/CD), Loewenzahn 1990
Sampler: „Tanz&FolkFest Rudolstadt 1991“ (CD;
  1 Titel von Duo Sonnenschirm), Loewenzahn 1991
Sampler: „SWF-Liederbestenliste 1991“ (CD;
  1 Titel von Duo Sonnnenschirm), 1992
Duo Sonnenschirm: „Live aus dem O-Zonenloch“(CD),
  Loewenzahn 1992
Duo Sonnenschirm: „Der Durchbruch“ (CD), Loewenzahn 1996
Duo Sonnenschirm: „OLDies & das“ (CD), Loewenzahn 1997
Leipziger Folk Session Band: „18 aus 48 ?
  Das Beste von der Barrikade“(CD), Loewenzahn 1998
Sampler: „1848 … weil jetzt die Freiheit blüht“ (CD;
  2 Titel von Duo Sonnenschirm), SWF 1998
Leipziger Folk Session Band: „Ein freyes Leben führen wir?
  Räuber- und Wilderergesänge“ (CD), Loewenzahn 1999
Folkländer/Bierfiedler: „Das Beste & Reste 1976-2001“
  (Doppel-CD), Loewenzahn 2000.
Sampler: „2001 – A Folk Odyssey“ (CD, 1 Titel von
  Leipziger Folksession Band), Heideck Records 2000.
Bücher
„Kleine Reihe deutsche Volkslieder“, Hefte 1-11 +
  1 Sonderheft, Leipzig/Halberstadt/Cottbus 1978-1990
Beckert/Wolff: „Die Liebe in den Zeiten der Kohlära“,
  Thom-Verlag, Leipzig 1993
Beckert/Wolff: „Das Hanebuch von 1984“, Roman;
  Connewitzer Verlagsbuchhandlung & Igel-Verlag, Leipzig 1995
Beckert/Wolff: „Zuversicht ist des Schiffers Uferlicht“,
  Ballhornsche Verlagsanstalt [Loewenzahn-Verlag], Leipzig 1997
Ute Gotter/Ulrich Wolff/Jürgen B. Wolff:
  „Das Malzhaus in Plauen – Geschichte eines Kulturzentrums“,
  Loewenzahn-Verlag, Leipzig 2000
Jürgen B. Wolff: „(Gebrauchs)graphik+Folkskunst“,
  Ausstellungskatalog, Thüringer Landesmuseum Heidecksburg,
  Rudolstadt 2000

Er gehört ohne Zweifel zu den wichtigsten Vertretern des Folk-Revivals in der DDR und ist einer der Initiatoren und Mitgestalter des Rudolstädter Tanz- und Folkfestes: Jürgen B. Wolff. Aber er gilt nicht nur als ein begnadeter Folkmusiker, sondern als künstlerisches Multitalent, das auf mehreren Gebieten für Aufsehen gesorgt hat: u.a. als Graphiker, Schriftsteller und Kleinkünstler. 1953 wird er im vogtländischen Plauen geboren. Dort lernt er Drucker, ist Mitglied der Singegruppe „Salaspils“ und Mit-Initiator des legendären „Club Malzhaus“. 1974 geht er nach Leipzig und beginnt ein Studium an der Hochschule für Graphik und Buchkunst. Dort gründet er zwei Jahre später mit anderen Studenten die Gruppe „Folkländer“, die zu den ersten in der DDR gehört, die statt Singe-Lieder Folk spielt. Sind es am Anfang noch oft irische Songs, lässt man sich alsbald von Hannes Wader, Zupfgeigenhansel usw. inspirieren und tritt mit deutschsprachiger Folklore auf. Das beschränkt sich aber nicht auf bloßes Nachspielen, sehr früh schon stöbern die Musiker der Gruppe, zu der damals Ulli Doberenz, Gabi Lattke, Manne Wagenbreth, Erik Kross, Peter Uhlmann, Wolfgang Leyn u.a. gehörten, in Büchereien und Archiven und finden dort manch erstaunliches Werk. In Broschürenform entsteht die „Kleine Reihe deutsche Volkslieder“ mit Texten, Noten und Wolffschen Zeichnungen. Besonderer Wert wird dabei neben den beliebten Gesellen- und Trinkliedern auf Gesellschaftskritisches gelegt: oppositionelle Soldatenlieder, Auswandererlieder, 1848er Texte. Kann man doch damit Parallelen zu Miss-Ständen in der DDR andeuten, die vom Publikum sehr wohl verstanden werden, obwohl diese Lieder offiziell als fortschrittliches Kulturerbe gelten.

In der großen Zeit des DDR-Folkbooms (1978-83) sind die Folkländer wichtigste Vertreter dieser Szene, die inzwischen stark angewachsen ist. Es erscheinen erste LPs wie „Wenn man fragt wer hat´s getan“, das „Leipziger Folksblatt“ wird herausgegeben, Gastspiele im Ausland (auch im westlichen) folgen. Ab 1980 entwickeln die Folkländer mit der Tanzgruppe „Kreuz & Square“ den Volkstanz zum Mitmachen, der in den folgenden Jahren eine beachtete kleine Massenbewegung in der DDR wird. Die Gruppe nennt sich deshalb ab 1982 „Folkländers Bierfiedler“. Von 1980 bis 1984 sind die Musiker Mitveranstalter der DDR-Folkwerkstatt in Leipzig. Dort kommt es 1982 auch zur ersten Zusammenarbeit zwischen Wolff und Dieter Beckert: Die Aufführung des Singspiels („Folk-Oper“) „Die Boten des Todes“ wird aber durch Kultur-Betonköpfe verhindert. In der Folge trennen sich langsam die Wege von Folkländers Bierfiedler und Jürgen Wolff. Während die Bierfiedler ausschließlich zum Folkstanz spielen und dabei auch als Organisatoren bemerkenswerter Veranstaltungen in der Leipziger Kongresshalle in Erscheinung treten, widmet sich Jürgen B. Wolff nach dem spektakulären letzten Auftritt der Folkländer beim Festival des politischen Liedes 1982 mehr den graphischen Arbeiten, dem Schreiben sowie kleineren Besetzungen wie Wolff/Wagenbreth oder Dr. B. Balsams Folk Kapelle. Danach beginnt die überaus kreative und erfolgreiche Zusammenarbeit mit Beckert, in deren Folge 1986 das „brachialromantische“ (von beiden geprägter Begriff) Duo Sonnenschirm entsteht. Bereits ein Jahr später begeistert das Duo als zweifacher Preisträger der Chansontage in Frankfurt/Oder mit seinen grotesken Songs. Sie setzen Maßstäbe in der Kleinkunst, schreiben Programme für das Dresdener Rocktheater „Regenwiese“, das Theater Nordhausen und das Kabarett „Oderhähne“. Noch vor der Wende erscheint die erste LP des Duos, nach dem „großen Andersrum“ (wie sie es nennen) und der Gründung des Labels Loewenzahn – und damit besseren Bedingungen – kommen nun öfter neue CDs auf die Ladentische, aber auch Bücher des Gespanns Beckert/Wolff.

Parallel zum Sonnenschirmduo findet Jürgen 1991 auch wieder den Weg zur Folkszene: als Chef-Gestalter des Tanz- und Folkfestes Rudolstadt, gemeinsam mit einigen ehemaligen Folkländern. Nach überaus erfolgreichen Jahren beenden Beckert und Wolff 1997 (vorübergehend?) ihre künstlerische Liaison und wenden sich eigenen Projekten zu. Jürgen B. Wolff kehrt dabei partiell zurück zum Folk: die „Leipziger Folk Session Band“ entsteht, u.a. mit Musikern der Bierfiedler, von Wimmerschinken, U.L.M.A.N. und Pojechali. Im Januar 2001 feierten die Musiker der Folkländer/Bierfiedler in der Leipziger Moritzbastei ihr 25-jähriges Jubiläum. Reinhard „Pfeffi“ Ständer hat für den Folker! mit Jürgen B. Wolff über die verschiedenen Stationen seiner künstlerischen Karriere unterhalten.

Beginnen wir mit der Geschichte vom Duo Sonnenschirm. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Dieter Beckert?

In der DDR war es nicht schwer, sich kennenzulernen, die Folk- und Kleinkunstszene der 70er war überschaubar. Bei einem Folkländerkonzert in Dresden kamen wir ins Gespräch. Die gemeinsame Arbeit begann mit den „Boten des Todes“, einer Art Parabel über den gesteuerten Niedergang der Folkszene. Ich hatte bis dahin kaum eigene Texte geschrieben, sodass ich die Zusammenarbeit mit Dieter sehr genoss. Unmerklich bekam das Ganze dann eine gewisse Kontinuität. Im Orwelljahr 1984, noch vor dem Duo Sonnenschirm, schrieben wir die Erstfassung des „Hanebuchs“, sozusagen die brachialromantische Urfaust, in der etliche unserer späteren allegorischen Figuren bereits vorkommen. Der erste Live-Auftritt als Duo war dann am 15. März 1986 in Halle (Saale) zu einer Ausstellungseröffnung mit Zeichnungen von mir. Nach einer Punkband im „Hanebuch“ nannten wir uns „De Mefistos“. War uns aber zu vordergründig, und so einigten wir uns auf Duo Sonnenschirm, als Antithese zu Beckerts Kinderprogramm, das Regenschirmtheater hieß.

Wie funktionierte eure Zusammenarbeit?

Die Texte schrieben wir generell gemeinsam, in sogenannten „Sessions“, die meist mehrere Tage dauerten, mitunter sogar Wochen. Dabei laberten wir laut in den Raum und schrieben, was uns gefiel, in mehreren Korrekturphasen auf, erst als Schmierversion, dann in die Maschine ins Reine. Davon entstanden dann meist Zweit-, Dritt- und Viertfassungen. Die Arbeitsweise ist übrigens nicht ungewöhnlich. Grade auf dem „Humor-Sektor“ schreiben oft Leute gemeinsam, von Monty Python bis zum Harald-Schmidt-Hangar. Uns ging es allerdings nicht so sehr um vordergründige Gags, sondern ums tiefschürfende quasiphilosophische Knispeln, genannt „Hirnsalzraspeln“.


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