Eigentlich ist Stepanida Borisova Schauspielerin. Sogar eine, die schon in der UdSSR preisgekrönt wurde. Als Sängerin kommt sie dagegen erst jetzt zu internationalen Ehren. Bisher war der traditionelle Gesang ihrer Heimat, der Republik Sakha, lediglich ein Hobby für sie. Diese bereits 5.000 Jahre alte Art des erzählenden Singens hat sie in ihrer Familie gelernt. Jetzt, da sie selbst die 50 überschritten hat, stellt sie den mystisch klingenden Gesang aus ihrem Land der Welt vor. Tatkräftige Unterstützung leistet dabei das Hulu Project des deutschen Schlagzeugers, Komponisten und Produzenten Hubl g. und seines in der Schweiz lebenden italienischen Kollegen Luigi Archetti, der ein angesehener Gitarrist in der soundexperimentellen Jazzrockszene ist. Im April platzierte sich das ungewöhnliche Team mit seiner CD TranceSiberia auf Rang 3 der Worldmusic Charts Europe. Die Gabe des traditionellen jakutischen Gesangs, der tief im Schamanismus verwurzelt ist, steckt ihr im Blut. Vielleicht habe sie das von ihrem Vater, meint Stepanida: Der sei Sänger gewesen. Mit einem gepressten Sprechgesang führt sie dann vor, wie es klang, wenn er ihr Epen erzählte mit den typischen Kehlkopf-Einlagen der traditionellen Kylysakh-Technik.
Hulu Project featuring Stepanida: TranceSiberia (CCn'C Records; 2001) Hulu Project (feat. Lisa Cash): Chat (Indigo; 2000) Hulu Project: Cubic Yellow (Captain Trip Records Japan) |
Kontakt: www.hulu.de |
Die verbale Kommunikation zwischen Stepanida und mir läuft über einen Dolmetscher. Er verständigt sich mit ihr in russisch, der Sprache, die in Sakha gesprochen werden musste, als die heute eigenständige Republik in der Russischen Föderation unter dem Namen Jakutien noch Teil der Sowjetunion war. Die eigene Volkssprache - auch sie heißt Sakha war damals verboten und die landeseigene Kultur wurde unterdrückt. In der Hoffnung, dass sie nie wieder zerschlagen wird, wenn die Welt nur weiß, dass es in Ost-Sibirien eine ganz eigene Kulturlandschaft gibt, ist es der Bevölkerung Sakhas heute um so wichtiger, dass KünstlerInnen wie Stepanida Borisova ihre Kultur weltweit bekannt machen. Wobei die Schauspielerin und Sängerin nicht nur Altüberliefertes vermittelt, sondern allen neuen Entwicklungen gegenüber aufgeschlossen ist. Meist tritt sie im eigenen Land solo auf, hin und wieder jedoch auch in Begleitung schamanistischer Rockbands. Stepanidas in der Landessprache verfassten Liedertexte stammen zum Teil von zeitgenössischen Autoren aus Sakha. Auch in ihrem Gesang sucht Stepanida Borisova auf der Grundlage ihrer Tradition nach zeitgemäßen Ausdrucksformen. In ihrer Heimat ist sie aufgrund ihrer progressiven Anwandlungen nicht unumstritten.
Auch ihr neuestes Projekt, die mit dem Hulu Project eingespielte CD TranceSiberia wurde heftigst in Sakha diskutiert. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes fand eine direkte Zusammenarbeit zwischen den einheimischen Künstlern und Musikern aus der sogenannten westlichen Welt statt, zu der die Bevölkerung bisher nur recht wenig Kontakt hatte. Prompt ließ nicht nur die räumliche Entfernung die Produktion CD zu einem langen und aufwendigen Prozess werden. Auch unterschiedliche Wert- und Klangvorstellungen konnten erst nach vielen Monaten und mehreren musikalischen Anläufen in Einklang gebracht werden.
Die Idee für die in der Weltmusikszene jetzt so erfolgreiche Produktion geht auf das Jahr 1996 zurück. Hubl g. hatte eine Live-Aufnahme von Stepanida Borisova von einem Festival in Sakha gehört. Davon war er so begeistert, dass er den Vorschlag eines Freundes der Sängerin aufgriff, eine gemeinsame Platte mit ihr aufzunehmen. Zunächst versuchten der Deutsche, der u.a. schon Platten der tschechischen Geigerin Iva Bittova, der Schweizer The Jellyfish Kiss und der österreichischen Gruppe Die Knödel produziert hat, und sein italienischer Kollege Luigi Archetti, das gemeinsame Projekt mit Stepanida Borisova so umzusetzen, dass keiner von ihnen das eigene Land verlassen musste. In Deutschland bereiteten die beiden Musiker verschiedene Stücke vor und schickten sie per DAT-Kassette nach Sakha. Als die Kassette nach drei langen Monaten über den Postweg schließlich dort eintraf, ging Stepanida damit in Jakutsk ins Studio, um ihren Gesang dazu aufzunehmen. Es dauerte nicht lange, da meldeten sich bei ihr schon die ersten Kritiker. Sie störten sich daran, dass Stepanida Musik eines anderen Kulturkreises benutze und damit regelrecht fremdgehe. Sehr hitzig gestaltete sich in Sakha auch die Debatte darüber, welchen qualitativen Stellenwert die Musik von g. und Archetti überhaupt habe.
Aber auch die beiden Köpfe vom Hulu Project hatten mit ästhetischen Problemen zu kämpfen, als sie nach drei weiteren Monaten ihre DAT-Kassette mit Stepanidas Gesang wieder zurückerhielten. Wird doch in Sakha vor allem auf die Texte sowie auf die Ausstrahlung und die persönliche Präsenz eines Sängers Wert gelegt. Westliche Harmonien spielen keine Rolle. Das erste gemeinsame Produkt sei daher, so Hubl g., nicht verwendbar gewesen. Stepanidas Gesang auf der separaten Tonspur, A Cappella, fanden die beiden Europäer jedoch geradezu genial. Also verwarfen sie ihre ursprünglichen Musikaufnahmen und schrieben noch einmal neue Stücke, diesmal speziell für Stepanidas Stimme. Doch auch der zweite Versuch stellte keinen der Beteiligten zufrieden. Der auf Improvisationen basierende Gesang Stepanidas Borisovas entsprach einfach nicht der westlichen Tonalität.
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Mehr über Hulu Project im Folker! 3/2001