Im Tangotakt schlichen bereits in der Weimarer Republik die Pärchen durch deutsche Tanzbars. In Berlin, damals echte Weltkulturstadt, boomte der Tango in Cabarets und Tanzcafés, vor allem in den billigen. Es war die Nähe, es war das erotische Spiel der Partner umeinander herum, das den Tango so erfolgreich machte. Und es war auch die amouröse Möglichkeit, der elenden Wirklichkeit der Wirtschaftskrise zu entkommen. Der Tango, aus den argentinischen Vororten gekommen und auf dem ursprünglich deutschen Instrument Bandoneon gespielt, hatte neben Paris auch deutsche Städte ergriffen, allgegenwärtige Subkultur.
Doch auf diesem, vor allem unmoralischen Niveau konnten die ordentlichen Europäer den Tanz (eigentlich ja eher eine ganze Tanzgattung) nicht stehen lassen! Die vereinte europäische Tanzlehrerschaft nahm sich des Tango an und "erhob" ihn in die Reihe der "Standard-Tänze". Wie beim Schautanz üblich, wurden Regeln und Bewertungskriterien aufgestellt. Eigentlich eine Ehre, doch gleichzeitig der Anfang vom vorläufigen Ende des ursprünglichen argentinischen Tangos in Deutschland. In den 30er Jahren hatte der Tango zwar im Tanztournier seinen Durchbruch. Doch wurde er damit zum Kunstgeschöpf, das sich nach strikten Tanzregeln richtet. Nach europäischen, wohlgemerkt.
Von Jürgen Brehme
Literatur-Tipps:
Tango, Hrsg. Dieter Reichardt,
Tango Nostalgie und Abschied, |
Die Entstehung des Tangos kann im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts angesetzt werden. Im Raum des Rio de la Plata (Buenos Aires Montevideo) findet man zu dieser Zeit die vielfältigen kulturellen und musikalischen Wurzeln: Candombe, Milonga, Habanera und Tango andaluz. Daraus entwickelt sich der argentinische Tango als eine eigenständige Musikform, Tanz und Lied. Zur Herkunft des Terminus Tango gibt es verschiedene Erklärungen, es ist jedoch zu stark verkürzt, ihn mit dem Trommeln schwarzer Sklaven gleichzusetzen. Die europäische Massen-Immigration mit der Bildung eines sehr starken Zuwanderermilieus, in dem der Tango sich als Ausdruck einer neuen sozialen Situation etabliert, prägt das psychologische Profil dieser Musik: Nostalgie als Lebensgefühl, Einsamkeit und Ausgrenzung, gescheiterte Liebe und Protest gegen das Schicksal.
Die argentinischen Wurzeln und damit die vielen, meist frei zu improvisierenden Formen, waren Mitte des 20. Jahrhunderts in Europa wieder vergessen. Vor ca. 20 Jahren tauchte er plötzlich wieder auf, der Tango Argentino. Durch Lateinamerika brannte eine Welle brutaler Militärputsche (Uruguay und Chile 1973, Argentinien 1976) und trieb viele Menschen ins Exil. Diese brachten Musik und Tanzstil ihrer Heimat mit. Als die Dauer des Exils zu lange und das Heimweh zu groß wurden, war das Tangotanzen eine Möglichkeit der Erinnerung. Aus Paris ist die erste von Exilanten betriebene Tango-Bühne aus dem Jahre 1981 bekannt, in Berlin gab es 1982 während des Horizonte-Festivals einen Tangopalast. In letzterem prallten die zwei Welten des eher folkloristischen und des konzertanten Tango aufeinander. Im Tangopalast spielten das Sexteto Mayor und Mosalini, in der Philharmonie Astor Piazzolla. Dieses Festival löste eine Tangowelle aus, die bis heute nicht verebbt ist.
"Berlin zählt
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In Paris und wieder Berlin tauchten Tanzschuppen der edleren Art auf, in denen der Tango Argentino, manchmal neben Salsa und anderen exotischen Tänzen, angesagt ist. Dazu wurden teilweise die alten Schellacks aufgelegt und das mondäne Flair der 20er Jahre heraufbeschworen. Denn Tango ist nun mal nicht nur eine Art zu tanzen, nein, Tango wird gelebt, kultisch zelebriert. Die Ausstattung der Tangosalons, die Kleidung der Tänzer (viel schwarz, viel Eleganz), sogar die Getränke alles hat Stil, Tango-Stil. Tango ist der Tanz, bei dem man aus dem Alltag heraustritt und in eine völlig andere Welt eintaucht. Und das gründlich und nächtelang. Ein Tangoclub hat seine Gemeinde, sein Flair, sein eigenes Umfeld, pflegt seinen Interessenkreis durch persönliche Einladungen und Angebote und steht oft in erbittertem Glaubenskrieg zu den anderen Clubs.
In dieser Zeit wurde aus dem bekannten Berliner Weltmusik-Laden Canzone manchmal ein reiner Tango-Treffpunkt. Tagelang nur Tango-Kunden, nur Tangomusik. Dachte man am Anfang noch, dass es sich "nur" um eine der üblichen Modewellen mit wenigen Jahren Dauer handelt, sieht man sich heute eines Besseren belehrt. Noch immer bringt der Tango einen guten Teil des Umsatzes. Auf Canzones eigenem Label "Oriente Musik" sind gerade, sozusagen zum Redaktionsschluss, noch zwei Tango-Veröffentlichungen erschienen. Dabei handelt es sich mit der Doppel-CD von Color Tango um 110 Minuten exzellente Tanzmusik mit dem Seltenheitswert von 100% Neuaufnahmen. Und mit der ersten CD "Echoes From Afar" wird der Tango noch exotischer, denn darauf wurden Aufnahmen aus Rumänien, Türkei, Russland, ja sogar Ägypten zusammengestellt!
Aktuelle Tango-CD-Tips von Corina Oosterveen
Varios, Selección de la Historia del Tango (BL 800) Alberto Gómez, Milonga Que Peina Canas (BL 27) Cacérès, Tango Négro (MDE 67006) Mein ganz persönlicher Tipp: Tristeza y Pasión, Tangomanía Legendäre Aufnahmen der Tangogeschichte (EMI/Electrola)
Kuriosität am Rande: Ausgerechnet unter www.Tango.de sieht es schlecht aus, dort landet man bei den Berliner Verkehrsbetrieben! |
Tango im InternetTangoszenen
www.tango-de@yahoogroups.com Tango-NotenTango-Reisen
www.tangotours.de Tangoläden und -versand
www.dym.com Tango-ZeitschriftenEs gibt nur noch eine deutschsprachige: Tango Danza, vierteljährlich (10 DM): PF 10 14 10, 33514 Bielefeld, Kontakt@tangodanza.de Für Insider und Lehrer gibt es noch das Boletin del Tango, Berlin, Tel/Fax: 0 30/7 97 17 59, tarlo@berlin.snafu.de Wer es original liebt: El Tangauta, Buenos Aires, eltangauta@impsat1.com.ar und Buenos Aires Tango, Tel/Fax: ++54-11/48 63 52 98 |
TRIO FUNDACIÓN ASTOR PIAZZOLLA
Nácar
(World Connection WC 43022/MDM) Nacár, die jüngste Veröffentlichung mit Originalkompositionen Piazzollas hat das Trio Fundación Astor Piazzolla zusammen mit dem Orquesta De Camara Mayo eingespielt. Unterstützt von Laura Piazzolla, der Leiterin der Fundación Astor Piazzolla, hat das gleichnamige Trio einige Werke aus der gigantischen Hinterlassenschaft an unzähligen Konzerten, Fugen und Symphonien des Tangomeisters aussuchen können. Die zehn ausgewählten und auf dieser CD vertretenen Stücke mussten völlig neu bearbeitet werden, da sie fast alle für größere Besetzungen komponiert worden waren. Der elfte Titel Tango por Máxima ist eine Eigenkomposition des Bandoneonisten Marcelo Nisinman, der auch für die Bearbeitungen verantwortlich zeichnet. Über den Entstehungsprozess der CD bis zur Uraufführung im vergangenen Jahr in Buenos Aires gibt es sogar einen Dokumentarfilm. Klangqualität und musikalisches Können übertreffen in der Tat alle Erwartungen. Nisinman beweist die Universalität des Bandoneons, das in Deutschland vor allem als Arbeiterinstrument bekannt war und ohne Piazzolla niemals Eingang in große Orchester gefunden hätte. Doch diese CD strahlt die Festlichkeit eines großen Konzerts aus. Mit Nisinman, der entzückenden Cellistin Timora Rosler und Sebastian Forster am Piano ist hier ein Trio angetreten, dessen Liebe zu und Kenntnis von Piazzollas Musik in jedem Ton hörbar wird, exzellent untermalt vom Orquesta De Camara Mayo. Folk im klassischen Gewand, ein Ohrenschmaus zwischen allen Stühlen. Jürgen Brehme |
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Mehr über Tango im Folker! 3/2001