Beim Jubiläum 30 Jahre Festival des politischen Liedes im Februar 2000 zeigte sich wieder einmal, dass Totgesagte länger leben und es trotz Wende, Globalisierung und Spaßkultur nach wie vor Musikerinnen und Musiker gibt, die eine zeitkritische, aufklärerische, sich einmischende Kunst nicht für altmodisch halten. Das Bedürfnis nach Kommunikation war groß, viele Fragen blieben offen (s. Folker! 1/2000 und 3/2000). Deshalb wagen die Veranstalter vom 22. bis 25. Februar eine Fortsetzung unter der Überschrift Festival Musik und Politik 2001. Die Veranstaltung wurde um einen Tag verlängert, der Titel verändert und das musikalische Spektrum erweitert. Neben den Konzerten wird es auch wieder zahlreiche Vorträge, Foren und Gespräche geben.
Michael Kleff sprach für den Folker! mit Lutz Kirchenwitz, dem Vorsitzenden des Vereins Lied und soziale Bewegungen, und wollte von ihm wissen, worauf die Zuversicht beruht, nach der Jubiläumsveranstaltung im vergangenen Jahr eine neue Festivaltradition begründen zu wollen.
Festival Musik und Politik 2001
22.-25. Februar 2001 Konzerte mit Franz Josef Degenhardt, Kai Degenhardt, Wiglaf Droste, Danny Dziuk, Kai Struwe, León Gieco, Victor Heredia, Hin und Weg, Juli Kim, Knarf Rellöm, Barbara Thalheim, Jean Pacalet, Torch Diskussionen und Vorträge u.a zu den Themen Musik und Politik heute Spaßkultur statt Engagement?, Jetzt heißt es: Revolution! Rechte Balladen und Politsongs Wettbewerb JugendSzene politische Musik Liederkino Filme mit Ernst Busch, Woody Guthrie, Victor Jara u.a. Ausstellungen Ernst Busch Schauspieler und Sänger, Politisches Lied in Lateinamerika Festivalklub im Club Voltaire Informationen über: www.songklub.de oder Tel.: 0 30/44 04 58 30 oder Fax: 0 30/4 42 70 93.
Die Leitung des im Rahmen des Festivals geplanten Folker!-Gesprächs zum Thema Spaßkultur statt Engagement?, an dem Kai Degenhardt, Barbara Thalheim, Ralf Möller (Knarf) und Torch teilnehmen werden, haben Martin Büsser (Autor und Journalist, Mitherausgeber der Buchreihe Testcard Beiträge zur Popgeschichte) und Petra Schwarz (Rundfunk- und Fernsehjournalistin, Mitglied der Jury der SWR-Liederbestenliste). |
Lutz Kirchenwitz: Eine solche Zuversicht gibt es nicht. Ob das Festival noch mehr als ein Mal stattfinden wird, weiß niemand. Unsere Jubiläumsveranstaltung war ein Erfolg, bei Künstlern und Publikum spürten wir das Bedürfnis nach Kommunikation, und zugleich gab es so viele offene Fragen, dass uns eine Fortsetzung nötig schien. Da wir im Moment auch kräftemäßig dazu in der Lage sind, veranstalten wir das Festival Musik und Politik 2001, und danach sehen wir weiter.
Wie soll das Profil eines jährlichen Festivals zum Thema Musik und Politik aussehen?
Ich kann, wie gesagt, nur über das Profil des Festivals Musik und Politik 2001 sprechen, und da geht es uns vor allem darum, Leute aus verschiedenen musikalischen Lagern zusammenzuführen, die sich politisch engagieren. Das Spektrum reicht vom klassischen Liedermacher über Agitfolk, Chanson und avancierte E-Musik bis zum Diskursrock und zum HipHop. Ein besonderes Motto, ein zentrales Thema haben wir nicht, aber in der Diskussion soll es u.a. um die Frage gehen, wie die Künstler den anscheinend unaufhaltsamen Aufstieg der Event- und Spaßkultur sehen.
Wer soll sich von dem Programm der Veranstaltung im Februar angesprochen fühlen?
Wir wollen eine Kommunikation innerhalb der Szene erreichen, also Musiker, Texter, Veranstalter und Journalisten ansprechen, aber natürlich nicht nur einen Workshop im kleinen Kreise veranstalten. Mit der WABE und der Volksbühne haben wir ja Säle, in die einige hundert Zuschauer reinpassen, und da möchten wir schon, dass möglichst jeder Platz besetzt ist, dass also Kommunikation in aller Öffentlichkeit stattfindet.
Wie will man ein überregionales Publikum erreichen angesichts so großer Konkurrenz wie dem Tanz&Folkfest Rudolstadt und dem Bardentreffen in Nürnberg, auch wenn bzw. weil dort der Konsum von Musik im Mittelpunkt steht?
Rudolstadt und Nürnberg wollen wir überhaupt keine Konkurrenz machen. Das sind Volksfeste mit einem enormen Publikum und im Übrigen auch einem stattlichen finanziellen Etat. Wir sind ein armes Festival und wollen uns lediglich eines Genres annehmen, um das im Moment fast alle einen Bogen machen, und das ist das geschmähte und für tot erklärte engagierte Lied. Ihm wollen wir uns intensiv widmen. Eine Massenveranstaltung haben wir nicht vor.
Werfen wir einen Blick auf das Programm. Wo verlaufen die inhaltlichen Grenzen bzw. worin bestehen die inhaltlichen Unterschiede in der Rezeption des Themas Musik und Politik zwischen Ost und West heute?
Bei unserem Festival treffen sich Leute aus Ost und West, die politisch und ästhetisch viele Gemeinsamkeiten haben. Aus der Sicht des Veranstalters muss ich sagen: Das Feedback ist im Osten größer. Das liegt u.a. daran, dass das ehemalige Festival des politischen Liedes hier noch vielen in Erinnerung ist. In der laufenden Arbeit achten wir nicht ständig auf Ost und West, aber unlängst ist uns bewusst geworden, dass die meisten Künstler, die wir jetzt im Programm haben, aus dem Westen kommen.
Mit dem Blick auf die von dieser Zeitschrift in der Reihe Folker!-Gespräch organisierte Diskussionsrunde Spaßkultur statt Engagement? würde ich gerne wissen, ob die Veranstalter eine Vorstellung davon haben, wohin die Entwicklung geht.
Wir haben mehr Fragen als Antworten. Wo es nach dem Ende der Utopien Alternativen und Korrektive zur gegenwärtigen neoliberalen Globalisierung gibt, ist ja eine schwierige Frage. Wie das gesellschaftliche Klima ist, ob es Kritik und Protest, soziale und politische Bewegungen von unten gibt, das ist aber die entscheidende Voraussetzung dafür, dass sich solches Engagement auch in der Kunst äußert. Der Vormarsch des Entertainment, der Event- und Spaßkultur nach der Devise immer schriller, immer blöder, immer geiler wird wohl weitergehen und es zeitkritischer, aufklärerischer Kunst sehr schwer machen. Andererseits gibt es immer Künstler, die ihr Mäntelchen nicht nach dem Wind hängen und nicht etwa Comedy machen, weil es Mode ist, sondern künstlerisch ihre Haltung zur Welt artikulieren, auch wenn ihnen der Wind ins Gesicht bläst. Ihnen wollen wir ein Podium geben. Wie die Entwicklung weitergeht, wird sich zeigen.
Was werden die inhaltlichen und musikalischen Höhepunkte des langen Wochenendes sein?
Gespannt bin ich auf das Zusammentreffen von Agitfolk (Hin und Weg), Liedermacher (Kai Degenhardt), Diskursrock (Knarf Rellöm) und HipHop (Torch) am 23. Februar in der WABE. Einen interessanten Abend wird es sicherlich auch geben, wenn Altmeister Franz Josef Degenhardt seine zeitkritische Bilanz zieht und im Vorprogramm Wiglaf Droste, Danny Dziuk und Kai Struwe darüber nachsinnen, was ein Protestsong hat, der nicht peinlich ist. Ein Highlight steht gleich am Beginn des Festivals, das Konzert der beiden argentinischen Sänger León Gieco und Víctor Heredia. Gieco war das letzte Mal 1996 in Deutschland, und Herredia war noch nie hier. Mit Liedern wie Sólo le pido a Dios werden sie uns daran erinnern, dass lateinamerikanische Musik nicht nur aus Salsa und Tango besteht.
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Mehr über Musik und Politik im Folker! 1/2001