backBlues ausm Pott

Crazy Chris Kramer

„Das hätte auch nach hinten losgehen können!“

Wat dat getz wieda is? Nennt sich „Crazy“, spielt Blues und lebt in Dortmund, pardon, Doatmund. Dass man da den Blues kriegen kann, ist ja noch einzusehen, selbst Schimanski war fast jeden Tatort besoffen. Doch seit der frechen Werbekampagne „Der Pott kocht!“ wähnt man das Ruhrgebiet nicht mehr als sterbende Region, sondern als das deutsche Silicon Valley. Nun lässt sich mit Silikon bekanntlich so einiges anstellen, und mancher denkt dabei an Bluse. Aber Blues?

Von Luigi Lauer

Zumindest dies hat Silicon Valley bewirkt: Blues buchstabiert man heutzutage anders, mit einem www. davor. Dem traditionellen Bühnenauftritt hat sich längst auch der im Internet hinzugesellt. Nicht nur unter blues.com oder blues.de wird man fündig, sondern auch unter www.chris-kramer.de. Damit ist Kramers virtuelle Existenz aber auch schon abgehakt, der Rest ist äußerst real, und richtig virulent wird es, wenn man ihm eine Bluesharp in den Mund steckt. Das wirkt wie ein Lichtschalter: Kramer an, und zack, ist man in Alabama.

Discographie

Als Bluebyrds:
Born With The Blues
Don't Ask Me Who's To Blame
Saw The Light

Solo:
Journey

(Alle: Blow til Midnight/Koch)

Alabama? Ja klingt er denn authentisch? Hat er ihn, den Blues? Nein, er hat ihn nicht, woher auch, er ist 30, wohnt nicht im Kohlenkeller mit Außenklo, ist wohlgenährt, hat kein Drogenproblem, liebt seinen Job und wird nicht diskriminiert. Authentisch ist er aber trotzdem, und in Europa sucht man womöglich vergeblich nach jemandem, der es schafft, seiner Mundharmonika eine vergleichbar dunkle Seele einzuhauchen. Auf einer Scheibe von Luther Allison, Kramers Blues-Held, würde er kaum auffallen – allenfalls positiv. Nur beim Gesang – den liefert er auch – da kommt er nicht ganz mit. Da ist etwas, was man nicht hört, aber gerne hören würde, und sei es nur die abgeklärte Dreistigkeit eines John Lee Hooker, in einem Song („Chill out“) 2x2 Takte einfach – nichts zu machen. Da ist wohl ein anderes Verhältnis zur Zeit; wo Hooker mit nur einem Wort die Boxen in die Knie zwingt, müssen andere eine ganze Geschichte loswerden. Selbst ein so großartiger Mann wie Van Morrison, des öfteren im Duett mit Hooker zu hören, erreicht dagegen nur die Teppichoberkante. Crazy Chris macht das schon ganz gut. Aber er macht es nach.

Fair ist der Vergleich mit Hooker allerdings nicht. Wenn der kleine Oskar in der Blechtrommel Gläser und Scheiben zersingt, dann ist das banal gegen Hookers Fähigkeit, einem den Reißverschluss aufzusingen. Außerdem ist er ein paar Wochen älter als Chris Kramer, 70 Jahre fassgereift – das gibt Patina. Kramer versucht darum erst gar nicht, irgendeinen Sermon von Alabama oder Unterdrückung von sich zu geben, „ich würde mich schämen“, sagt er. Bleibt er also bei heimischen Themen, auf den Frust mit Frauen hat schließlich niemand ein Monopol, und sein ehemaliger Job als Taxifahrer gibt auch einiges her. Und warum auch sollte sich der Blues auf die Südstaaten beschränken? Längst haben wir Alben über Blues aus den afrikanischen Wüsten, über Blues vom Balkan – liegt nicht Dortmund dazwischen?

Crazy Chris Kramers Story lebt aber nicht vom Blues allein, auch wenn sie da ihren Ausgangspunkt hat.


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