backGleichklang als Ideal

Amanda

Voodoo, made in Sweden

Wie nenne ich einen Chor, dessen Repertoire vom Bach-Madrigal über die Rolling Stones bis zu kreolischer Musik reicht? Als der ungewöhnliche Gesangsverein an einem 23. September zum ersten Mal zusammenkam, nannte man sich nach der Person, die gerade Namenstag hatte, und machte damit einen Glücksgriff: „Amanda“ heißt die „Liebenswerte“. Der ca. 30-köpfige Chor aus Göteborg hat seit seiner Gründung im Jahre 1981 die unterschiedlichsten Projekte auf die Bühne gebracht: von einer Weihnachtsmesse bis zu Kinderprogrammen. Das führte auch zu Kooperationen mit einem Barock-Ensemble und dem renommierten „Göteborg Symphonie-Orchester“. Amanda spalten das Publikum in unversöhnlich erscheinende Lager. Wenn sich die Schweden der haitianischen Traditionen annehmen, lösen sie entweder Begeisterung aus oder fordern zu heftigem Widerspruch heraus.

Von Birger Gesthuisen

AmandaAmanda kommen ausnahmsweise nicht aus der Metropole Stockholm, sondern aus Göteborg an der schwedischen Westküste. Die Tatsache, dass sich ein derart großes Ensemble über 20 Jahre halten und entwickeln konnte, ohne an diesen schwedischen Nabel der Welt gekoppelt zu sein, ist allein schon ein Erfolgsbeweis. Patrick Rydman, der als Ensemblemitglied das Konzert der Schweden beim Traumzeit-Festival in Duisburg im vergangenen Jahr produzierte, meint: „Wir spielen selten in Stockholm, obwohl sich dort ganz Schweden konzentriert. Dafür kennt man uns in unserer Region um Göteborg herum sehr gut. Unsere Konzerte sind immer ausverkauft. Wir haben Fans im ganzen Land, führen überall Workshops mit Chören durch und verkaufen auch unsere beiden CDs in ganz Schweden.“ Und dies alles gelingt Amanda ohne jede staatliche Unterstützung (und natürlich auch ohne jede Schwedenmark für die Bandmitglieder).

„Wir machen keine Haiti-Sache“

Das ungewöhnlichste Projekt des Chors hat im Ausland die größte Resonanz erfahren: Die beim deutschen Label „CCnC“ erschienene Compilation „Cafe Creole“ aus ihren beiden schwedischen CDs erhielt den „Vierteljahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik“ und erreichte Platz 10 in den „European World Music Charts“. Es folgte die Einladung zum Duisburger „Traumzeit-Festival“ in einem Programm mit vielen großen Namen aus Jazz und Weltmusik wie Jan Garbarek und Goran Bregovic's Funeral and Wedding Band. Bei ihrem Auftritt verließ allerdings etwa ein Viertel des Publikums irritiert den Saal. Für manche war es eine unerträgliche Provokation, dass sich ein weißer Chor in dieser Form von kreolischen Traditionen inspirieren lässt. Denn hier gab es keinen Alibi-Haitianer, auch nicht den Versuch eines Fusion-Mixes: das Material ist schwarz, die Interpretation ist weiß. Da standen 25 Schweden auf der Bühne, die genau die Traditionen eines weißen westlichen Chores in exzellenter Weise vertraten: mit Präzision, einer klaren Intonation, mit der Akkuratesse eines Uhrwerks und exzellent aufeinander abgestimmt, wie wir es von einem guten europäischen Chor erwarten können, mit einem Riesenspaß und zugleich diszipliniert. Das ist kein übermäßiges Swingen, Vibrieren, kein „Let-go“, das ist alles gut organisiert. Selbst bei einem Anflug von Ekstase spürt man noch die „Organisationseinheit Chor“, den Gleichklang als Ideal. Die Leute von Amanda sehen ihre eigene Arbeit mit einem klaren Selbstverständnis. Sten Kälmann (Voc/Sax/Perc) bringt es auf einen vielleicht überraschenden Nenner: „Wir machen keine Haiti-Sache daraus. Wir wollen uns selbst ausdrücken!“.

Wenn Simon & Garfunkel den großen Condor fliegen lassen und sich Helmut Lotti „Out of Africa“ wähnt, dann können wir sicher sein: Wir sind noch immer im Westen. Auch Folk- und Weltmusikhits wie Paul Simons „Graceland“ oder Pete Seegers „Wimoweh“ waren und bleiben westliche Nachempfindungen. Sie brachten vielen Menschen afrikanische Musiken ein Stückchen näher, als Annäherung an fremde Musikwelten aus Richtung Westen, mit einer westlichen Ästhetik. Punkt. Und – seien wir mal ehrlich – vielen von uns haben sie die ersten Erfahrungen überhaupt mit nicht-europäischen Klängen gebracht. Abgesehen von gelegentlichen Begleitinstrumenten steht bei Amanda der Gesang im Mittelpunkt. Die menschliche Stimme ist das unmittelbarste Instrument und somit macht dieser Chorgesang in aller Radikalität die kulturellen Unterschiede deutlich.

Spaß an der Musik

Amanda provoziert unweigerlich, an diesem Chor reiben sich höchst unterschiedliche Ästhetiken. Dabei klingt Amanda ähnlich weichgespült wie viele afrikanische Pop-Schnulzen, welche die Afrikaner so lieben. Ein weit verbreitetes westliches Stereotyp von echter afrikanischer Tradition existiert im Herkunftsland entweder kaum noch – auf dem Plattenmarkt schon gar nicht – oder verbleibt als ländliche Marginalie. In Afrika ging die Saat westlichen Schmuse-Pops auf, während es viele westliche Konsumenten zu den Trommeln drängt. In diese Kontrastwelten passt sich ein schwedischer Voodoo-Chor hervorragend ein. Das „Reine & Wahre“ ist bei Amanda wirklich nicht zu finden. Die Mehrheit des Duisburger Publikums hatte ohnehin keine Probleme mit dieser Konzeption. Sie forderte vom Chor nach einem leider weit überzogenen 100-Minuten-Auftritt noch eine Zugabe heraus: mit einer großartigen Choreographie zu „Come Together“, das aus einem sich bewegenden Menschenknäuel heraus gesungen wurde.


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