backSpäter Karriereschub durch Kuba-Boom

Compay Segundo und Eliades Ochoa

Die "Kinder" des Buena Vista Social Club

Sie sind einfach schon zu alt, um sich noch vom Erfolg verderben zu lassen. Über Nacht wurden sie berühmt, die Musiker des "Buena Vista Social Club" – dank Ry Cooder und Wim Wenders. Vor allem jedoch dank ihrer wunderbaren Musik. Die Platte erschien 1997; zwei Jahre später sorgte der Film von Wim Wenders dafür, dass das Album nochmals in die Charts kletterte. Mit zwei herausragenden Musikern des "Buena Vista Social Club" haben wir gesprochen – den Gitarristen Compay Segundo und Eliades Ochoa. Und beide sind sie auf erfrischende Art normal geblieben. "Ich bekomme heute viel mehr Angebote, irgendwo aufzutreten", sagt Eliades Ochoa über seinen späten Karriereschub. "Und ich freue mich natürlich, dass so viele Menschen in aller Welt unsere Musik hören wollen."

Von Fritz Werner Haver

Kommentierte Auswahldiscographie

Various Artists
"Buena Vista Social Club"
World Circuit WCD 050

Der Klassiker. Entfaltet die traditionelle kubanische Musik in ihrer ganzen Pracht und gehört in jede Plattensammlung.

Ibrahim Ferrer
"Buena Vista Social Club Presents: Ibrahim Ferrer"
World Circuit WCD 055

Das Soloalbum des lange vergessenen Sängers. Bezaubernd romantisch und ein würdiger Nachfolger des ersten Albums.

Omara Portuondo
"Buena Vista Social Club Presents: Omara Portuondo"
World Circuit WCD 059

Ein Ohrenschmaus für alle, die kubanische Romantik lieben, die mit einem dezenten Jazzfeeling der Swingära gewürzt ist.

Compay Segundo
"Calle Salud"
East West Nr. 75832

Das jüngste Album des legendären Gitarristen und Sängers. Eine Platte voller Lebensfreude.

Eliades Ochoa Y Cuarteto Patria
"Sublime Ilusión"
Virgin Nr. 4749422

Sparsam instrumentiert, romantisch und heiter. Eine Platte, die man sich einfach nicht leidhört.

Eliades Ochoa Y Cuarteto Patria
"Tributo Al Cuarteto Patria"
Virgin Nr. 84963507

Ein Streifzug durch die Geschichte dieser legendären Musikgruppe. Wunderschön.

Caridad Hierrezuelo
"Como Yo Quiera"
Endirecto Nr. 400048

Jüngstes Album der Diva des Son. Sehr sauber – fast zu perfekt – produziert.

Wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kinde kam der amerikanische Gitarrist Ry Cooder zur kubanischen Musik. Denn an sich wollte er 1996 in Kuba eine Platte mit afrikanischen Gitarristen und einigen kubanischen Begleitmusikern aufnehmen; und nur weil die Afrikaner Probleme mit ihren Visa hatten und nicht erschienen, engagierte der Produzent Nick Gold – Chef des Labels World Circuit – weitere kubanische Musiker, die auf der Insel längst in Vergessenheit geraten waren. Nick Gold war derjenige, der schon in den achtziger Jahren von einer Renaissance der traditionellen kubanischen Musik geträumt hatte und dann mit seinen Platten verdientermaßen den großen Coup landete. So produzierte er anschließend auch die Soloalben des Sängers Ibrahim Ferrer und der Sängerin Omara Portuondo, die in ihrer musikalischen Qualität an das wegweisende Debut des "Buena Vista Social Club" anknüpfen. Auch zwei andere Solisten des Projektes – Compay Segundo und Eliades Ochoa – nutzten den Erfolg, um die eigenen, exzellenten Soloplatten unters Volk zu bringen. Und das ist nicht leicht. Denn die Musikindustrie hatte mal wieder, wie so oft, den anfänglichen Trend verschlafen, um dann aber den Markt mit zweit- und drittklassigen Produktionen zu überschwemmen.

Compay Segundo

"Die Gitarre spricht die Seele an wie kein anderes Instrument." Der so spricht, muss es wissen. Denn immerhin spielt Compay Segundo, der legendäre Gitarrist und Sänger aus Kuba, seit mehr als achtzig Jahren Gitarre. Der wohl älteste Popstar der Welt heißt mit bürgerlichem Namen Máximo Francisco Repilado Muñoz. Geboren wurde er in Siboney im Osten Kubas am 18. November 1907. Im Jahre 1916 zog die Familie nach Santiago de Cuba. Eines Tages brachte sein älterer Bruder eine Trés-Gitarre – eine kubanische Gitarre mit drei Doppelsaiten – nach Hause. Er habe sich sofort in dieses Instrument verliebt, erzählt Compay Segundo. Und auch in die klassische Gitarre, die sein Bruder kurz darauf anschleppte. Er mochte den ansprechenden Klang der Trés-Gitarre, vermisste aber die Wärme der tieferen Töne. Und so kombinierte er die beiden Instrumente zum "Armónico", seiner höchsteigenen Erfindung. Er sei der einzige Gitarrist, der dieses Instrument spielt, verkündet er stolz: "L'Armónico! Una invención de Compay Segundo!"

Buchtip:

Maya Roy
"Buena Vista – Die Musik Kubas"

Palmyra Verlag
ISBN 3-930378-30-2
mit Audio-CD

Ein gut lesbarer, sehr informativer Streifzug durch die Geschichte der kubanischen Musik. Der ideale Begleiter für alle, die kubanische Musik nicht nur genießen, sondern auch ein wenig verstehen wollen.

Selbst hat er in seiner Jugend den Beruf des Friseurs gelernt. Aber schon früh zeigte sich sein musikalisches Talent. Er begann seine Karriere als Klarinettist in der Band des Maestro Enrique Bueno, aus der später viele bekannte Musiker hervorgingen. Noch heute hat Compay Segundo drei Klarinettisten in seiner Gruppe. Auch auf seinem wunderschönen Album "Calle Salud" spielen die Klarinetten eine tragende Rolle. "Ich liebe dieses Instrument, weil es sanft klingt, denn ich mag Musik, die leise ist und nicht laut", sagt Compay Segundo. "Ich spiele romantische Musik, weil ich die Frauen liebe. Und ich mag Lieder, die in ihren Texten davon erzählen." Lange konnte er sich nicht zwischen der Gitarre und der Klarinette entscheiden, bis er schließlich seine "Armónico" erfand. Noch als Jugendlicher wurde er Mitglied des Quartetts Cubanacán und trat im Rundfunk auf. Er zog nach Havanna, spielte in den verschiedensten Formationen und gab auch im Ausland Konzerte. Vor allem in Mexiko, das er aber heute immer noch nicht mag.

Eliades OchoaIm Jahre 1942 – Francisco Repilado war bereits ein Star in seiner Heimat – gründete er mit Lorenzo Hierrezuelo das Duo "Los Compadres" (die beiden Kumpel). Hierrezuelo, der auch aus Siboney stammt, sang die erste Stimme und wurde von einem Rundfunkjournalisten als "Compay Primo" (der erste Kumpel) bezeichnet. Francisco Repilado, der mit seinem wohlklingenden Bariton der wichtigste Begleitsänger in der kubanischen Musik ist, sang die Zweitstimme und wurde zum "Compay Segundo". Diesen Künstlernamen trägt er heute noch mit Stolz, denn er erinnert ihn an die schönste Zeit seines Lebens. Vor der Revolution im Jahre 1959 war die traditionelle kubanische Musik populär auf der Karibikinsel; danach jedoch fielen viele Musiker in Ungnade. "Ich habe zwanzig Jahre lang in der Zigarrenfabrik am Tisch gesessen und Zigarren gedreht", erzählt Compay Segundo. "Aber mein Freund Miguel Matamoros hat mich nicht vergessen damals. Oft hat er mich geholt, und wir haben zusammen gespielt. Und am nächsten Morgen musste ich wieder in die Fabrik. Im Jahre 1974 wurde ich schließlich pensioniert."

Compay Segundo geriet in Vergessenheit. Viele Musiker, die seine Stücke spielten, wussten gar nicht, dass dieser Mann, einer der wichtigsten Komponisten Kubas, immer noch lebt. Mit fünfzehn Jahren schon hatte er das Stück "Yo Vengo Aquí" geschrieben; aus seiner Feder stammt das betörende "Chan Chan", mit dem Ry Cooder das Album "Buena Vista Social Club" eröffnete. Das Comeback von Compay Segundo hatte sich aber schon vor diesem Projekt angekündigt. Der Musikjournalist Danilo Orozco sorgte 1989 dafür, dass Compay Segundo bei einer Veranstaltung der renommierten "Smithsonian Institution" in Washington auftrat. Und vor allem holte er ihn 1994 auf das erste Son- und Flamencofestival im spanischen Sevilla. Von da an waren Compay Segundo und seine Muchachos ständig in Spanien zu Gast – bis ihn die Teilnahme an Ry Cooders "Buena Vista Social Club" über Nacht zum internationalen Star machte. "Es war für mich sehr schön, mit Ry Cooder zusammen zu spielen", sagt Compay Segundo. "Und ich habe jetzt die Welt gesehen. Santo Domingo, Miami, Washington, Nueva York, Kanada, Frankreich und vor allem Spanien. Und Deutschland natürlich! Ich freue mich, dass die Menschen meine Musik hören wollen."


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