Als eine Art Zugabe bei der Jubiläumsveranstaltung "30 Jahre Festival des politischen Liedes" diskutierten auf Einladung von Folker! und der Jury der SWR-Liederbestenliste am 27. Februar im Club Voltaire in Berlin Manfred Maurenbrecher und Hans-Eckardt Wenzel über Sprache und Komposition sowie über die deutschsprachige Szene. Wenzel und Maurenbrecher haben vieles gemeinsam. Beide sind vielfach ausgezeichnete Liedermacher. Beide sind zugleich auf anderen künstlerischen Gebieten aktiv, sei es als Dichter oder als Prosautor. Beide sind in einem von Sprache, Lyrik, Poesie und auch Theatralik geprägten Umfeld aufgewachsen. Der eine jedoch in Deutschland-West. Der andere in Deutschland-Ost. Nachfolgend wird die Unterhaltung der beiden Künstler in einer überarbeiteten und gekürzten Fassung dokumentiert. In der ersten Gesprächsrunde ging es um Maurenbrechers und Wenzels aktuelle Produktionen "Weiße Glut" und "Schöner lügen".
Manfred Maurenbrecher: Auf "Schöner lügen" waren viele Lieder drauf, die mir gut gefallen haben. Das ist so ein kleines Detail, was ich vielleicht als Einstieg ganz gut finde, nämlich die beiden Schlusslieder von unseren Platten, die sind auf eine Art sehr ähnlich, finde ich. Weil es sind beides Lieder, wo man irgendwo so für sich alleine ist, habe ich so den Eindruck, und sich selber was erzählt, so eine Art Zusammenfassung. Aber gleichzeitig fand ich das in der Aussage, die ja immer gerne in so Dingern gesucht wird, so unterschiedlich, dass es vielleicht ganz gut ist, damit anzufangen. Ich finde dieser, dieser letzte Satz von dem Lied "Zwischen Jena und Greiz" bei dieser nächtlichen Autofahrt "Alles was noch geschieht/Wird schlimmer sein, als es war." das ist unglaublich traurig, das an den Schluss zu stellen. Ich habe die Platte vor drei Wochen mal gehört und gestern Nacht nochmal. Und bei vielen Sachen war ich gut drauf und habe geschmunzelt und bin so hin und her mit meinen Gedanken gewandert, und bei diesem Schluss habe ich mich richtig ein bisschen erschrocken. Also ist das nur in dem Lied so oder ist das eine Summe für diese Platte, weil das ist ja ein sehr bitterer Satz für ein Ende?
Hans-Eckardt Wenzel: Es gibt ja diesen Witz, wo der Pessimist und der Optimist sich treffen, und der Pessimist sagt: "Schlimmer kann's nicht mehr kommen", und der Optimist sagt: "Doch, doch, doch!". Also irgendwo ist es natürlich auch ein Spiel damit. Zum anderen, ich bin von Natur aus eigentlich sehr pessimistisch als Mensch. Ich sehe um mich herum einen Verfall von Sitten, von Kultur. Und das, was ich schreibe oder versuche, ist immer so ein mühsames Ankämpfen dagegen, um das irgendwie klarzulegen, wo eigentlich dieser Verfall sitzt, mit dem wir zu tun haben. Und ich denke auch nach so einer etwas beschwingten Platte kann man ruhig mal mit so einem sehr kargen Satz enden. Das Lied habe ich gemacht in der Zeit, als der Kosovo-Krieg stattfand, und sich alle so eigenartig darauf einließen auf diesen Blödsinn ...
Maurenbrecher: ... allerdings ...
Wenzel: ... dass es zu einer normalen Politik der Welt wurde, jetzt wieder Krieg zu führen. Und das ist ja keine sehr schöne Aussicht. Da brauche ich ja nun nicht irgendwie einen sehr optimistischen Schluss anzusetzen.
Maurenbrecher: Naja, da sehe ich einen riesigen Unterschied im Inhalt unserer beiden Schlusslieder. Parallelen bestehen in der Art, wie sie gemacht sind, dass es so eine Art Selbstgespräche sind. Mein Schlusslied ist eins der optimistischsten Lieder, die ich bisher in der Lage war zu schreiben. Weil ich bin eigentlich auch eher ein Skeptiker, so jemand, der sich so zurückhält mit großen Gefühlen. Aber das Ding ist im Süden entstanden. Und da bin ich anders. Also da ist es so ... große Seele drin, irgendwie.
Wenzel: Was ähnlich ist bei deiner und meiner Platte ist teilweise so ein Spiel mit stark ironischen Momenten in den Songtexten, was mich sehr berührt hat. Wo sich eine stark melancholische Musik auf einmal mit einer sehr witzigen Geschichte bricht. Entsteht bei dir da die Musik eigentlich zuerst?
Maurenbrecher: Also viele von den Stücken sind so entstanden, dass ich sie unter einem großen Druck geschrieben habe, weil ich so eine Veranstaltung mitmache, wo wir jeden Monat ein neues Programm vorstellen. Da bin ich eigentlich immer gezwungen, ein Lied zu schreiben, was dann neu ist, mindestens eins. Und es ist auch immer thematisch etwas vorgegeben. Und zum Beispiel die beiden Mütterlieder auf meiner CD sind entstanden, weil einfach eins dieser Programme hieß "Danke Mutter, so viel Zeit muss sein". Also musste ich da irgendwas zu schreiben. Da sind natürlich erst mal die Worte allein durch die Überschrift irgendwie vorgegeben. Also schreibe ich mir ein paar Strophen auf, setze mich dann ans Klavier und versuche, daraus etwas zu entwickeln.
Wenzel: Das ist ja schon eine ganz komische Konstellation, eine Mutter zu besingen. Das ist so wie Heintjes Oma oder so. Da dachte ich, wo geht das hin. Aber das hast du gut abgefangen eigentlich ...
Maurenbrecher: ... wird nicht zu kitschig ...
Wenzel: Nein, dadurch, dass du es mit viel Ironie brichst.
Michael Kleff: Hans-Eckardt, jetzt greif du doch einmal ein Lied von Manfred heraus, was du dir angehört hast.
Wenzel: Ich finde seinen "Radfahrer" auch sehr schön, der ist ...
Kleff: "Das alte Fahrrad" war ja auch lange in der Top Ten der SWR-Liederbestenliste.
Wenzel: ... zwar sehr symbolisch, würde ich sagen, in seinem Punkt, aber er hat eine unglaubliche Kraft in der Beschreibung des Vorgangs.
Maurenbrecher: Ich habe das nicht so symbolisch gemeint. Das war irgendwie wieder so ein Notding. Also, wir treffen uns immer zum Proben bei mir, weil ich ein Klavier habe. Und wenn ich sage, diesen Monat ist nichts, ist mir nichts eingefallen, dann treffen wir uns nicht, weil die Texte zum Vorlesen müssen wir nicht proben. Und dieses Mal hatte ich nichts. Ich wusste, die kommen in einer Stunde, die stehen extra früher auf. Das ist so blöd. Und dann, ja ... dann hatte ich auf einmal eine Melodie: dä, dä, dä di da so aus Verzweiflung eigentlich erst mal. Und dann kam das. Zwar habe ich gedacht, das ist eine saublöde Idee, über einen alten Mann auf einem Fahrrad, der ein Fahrrad schiebt, was zu schreiben, aber ich habe nur noch vierzig Minuten, wenn denn, dann mach es. Veränder die Melodie nicht, reime durch, was dir auch immer einfällt. Und das war's.
Wenzel: Brauchst du so einen Druck zum Arbeiten?
Maurenbrecher: Ja. Ja. Ich fürchte ja. Ich möchte es immer nicht, aber irgendwie ... Wie ist es denn bei dir? Wahrscheinlich ähnlich?
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