Die CD Mermaid Avenue mit der Vertonung bislang unveröffentlichter Woody-Guthrie-Texte (s. Folker! 4/99) ist eins der kommerziell erfolgreichsten Alben in der Karriere von Billy Bragg. In Australien gab es für das Werk gar Gold. In Abwandlung des Songtitels Joe DiMaggio Done It Again, einer Hommage an das Baseball-Idol der 40er Jahre, könnte man zu Mermaid Avenue Vol 2 sagen, Billy Bragg done it again. Ganz bewusst haben Billy Bragg und Wilco die in den Sessions im Januar 1998 in Dublin eingespielten Songs nicht in einem Rutsch auf einer Doppel-CD veröffentlicht. Die teilweise enthusiastische Reaktion von Kritik und Publikum auf die zweite Ausgabe von Mermaid Avenue gibt dem britischen Ex-Punkmusiker und seinen musikalischen Mitstreitern um Jeff Tweedy und Jay Bennett Recht. Einziger Wermutstropfen ist, dass es bis dato keine gemeinsame Tour von Bragg und Wilco gegeben hat. Dennoch müssen die Fans auch in Deutschland nicht auf eine Live-Präsentation des Mermaid-Programms verzichten. Im Sommer präsentierte Billy Bragg in Hamburg bereits in einer packenden Ein-Mann-Show unter dem Titel Talking Woody Songs und Geschichten rund um Leben und Werk von Woody Guthrie, die in dieser Form ansonsten nur in Dublin, New York, Toronto und Washington zu sehen war. Im November ist Billy Bragg nun mit seiner englischen Band, den Blokes, zu einigen Konzerten erneut in unseren Landen unterwegs.
Von Michael Kleff
Billy Bragg & Wilco
Billy Bragg
& The Blokes |
Wilco ist eine sehr kompakte und in sich geschlossene Band, und ich habe vorher immer solo gearbeitet. Diplomatisch zieht sich Billy Bragg beim Gespräch in New York über das Thema gemeinsame Tour mit Wilco aus der Affäre. Beim gesonderten Interviewtermin mit Wilco, weil "Billy sonst immer alleine redet", reagieren Jeff Tweedy und Jay Bennett auf diese Frage ähnlich. Es ist offensichtlich, dass sich der Engländer und die US-Amerikaner für das Projekt Mermaid Avenue zusammenraufen mussten. Dem Ergebnis hört man das allerdings nicht an. Wenn man einmal davon absieht, dass diese CD stärker als das Erstlingswerk die Handschrift von Wilco trägt. Tweedy und Bennett gingen erneut ins Guthrie-Archiv, um für sie geeignete Texte für das Nachfolgealbum zu suchen. Mit Someday Some Morning Sometime und Secret Of The Sea stießen sie dabei auf wahre Perlen im bislang unveröffentlichten Werk von Woody Guthrie. Die Auswahl der Songs für Mermaid Avenue Vol 2 zeigt einmal mehr die enorme Bandbreite von Guthries Schaffen. Neben den zu erwartenden politischen Songs wie All You Fascists Are Bound To Lose, Against The Law wunderbar interpretiert von Bluesmann Corey Harris sowie Stetson Kennedy, einem Song über einen engagierten Journalisten und linken politischen Aktivisten, finden sich auf der CD auch so manche schräge Titel. Dazu zählt My Flying Saucer, das Woody Guthrie 1950 geschrieben hat, als die erste UFO-Welle die Vereinigten Staaten erreichte. In die Kategorie familiäre Liebeserklärung gehört I Was Born mit Ex-10.000-Maniacs-Sängerin Natalie Merchant.
Wie schon auf dem ersten Mermaid-Album wird auch mit dem Cover Bezug genommen auf die Straße in der Woody Guthrie zwischen 1943 und 1950 lebte. Auf die Frage, warum eine Katze das Cover ziert, fordert Billy Bragg den Betrachter zum genaueren Hinsehen auf: Man muss über die Schulter der Katze schauen, dann sieht man, wo Woodys Zuhause war. Und das tolle ist, dass Woody dieses Photo selber gemacht hat. Auf der Rückseite der CD ist ein Bild von Woody Guthrie, wo er denselben Gesichtsausdruck zeigt wie die von ihm photographierte Katze. Beide schauen irgendwie aus dem Cover, aus Mermaid Avenue heraus. Von all den Kritiken, die Mermaid Avenue Vol 2 bekommen hat, sticht eine hervor. In der Juli/August-Ausgabe der Zeitschrift No Depression, einem alternativen Countrymusik-Magazin, hat Autor Geoffrey Himes seine Besprechung in eine Kurzgeschichte gepackt, die wegen ihrer Originalität an dieser Stelle in zusammengefasster Form dargestellt werden soll*.
Unter der Überschrift Mermaids Across The Universe wird Woody Guthrie in ein anderes Universum versetzt. Darin leidet er nicht unter der Nervenkrankheit Huntingtons Disease, an der er bekanntlich 1967 starb. Stattdessen ist er voller Elan und Kreativität, um 1959 in New York das Album Mermaid Avenue aufzunehmen, auf dem er seine alten Hillbilly-Melodien und seine politischen Texte mit den Gedichten der Beat-Generation, die er in den Cafes von Greenwich Village aufschnappte sowie mit Rockabilly und Boogie Woogie verband, der im Radio gespielten populären Musik. Die Geschichte dieses Albums geht in diesem alternativen Universum auf den 1. Dezember 1958 zurück. Da stürmt Guthrie, wie es so seine Art war, in das winzige Büro von Folkways-Chef Moses Asch, um ihm seine Idee für das nächste Album vorzutragen. Während der Guthrie vorschlägt, doch einige Songs über die Hearings des McCarthy-Ausschusses zu schreiben oder, ganz nach dem Motto die Friedensbewegung braucht Songs zum Mitsingen, etwas über die Atomtests im Pazifik, hat der Liedermacher etwas ganz anderes im Kopf. Naw, sagt er demnach nur. Ich habe im Laufe der Jahre Texte über alle möglichen verrückten Sachen geschrieben über fliegende Untertassen, Joe DiMaggio, Ingrid Bergmann, Walt Whitman ... alles, was mir so in den Sinn kam, habe ich aufgeschrieben. Mir war nie klar, wie ich daraus Songs mache und welche Musik dazu passt. Vergangene Nacht habe ich herausgefunden, wie es gehen könnte.
Tourinformation:
21.11. Frankfurt/M, Batschkapp |
Und in dem von Geoffrey Himes kreierten alternativen Universum berichtet Woody Guthrie dann über seine Begegnung mit Buddy Holly im Village Vanguard. Beide verstanden sich demnach auf Anhieb. Für Woody Guthrie sei klar gewesen, seine nächste Platte mit Buddy Holly und den Crickets zu machen. Verständlich, dass in dieser Geschichte Buddy Holly nicht bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommt. Im März 1959 erscheint dann Mermaid Avenue mit Woody Guthrie und den Crickets auf Decca Records. Zunächst sieht alles nach einem Flop aus. Guthries Fans sprechen von einem politischen Ausverkauf ihres Idols und die Anhänger von Buddy Holly können nicht nachvollziehen, warum er sich mit jemanden zusammengetan hat, der sein Vater sein könnte. Erst als der einflussreiche Kritiker Ralph J. Gleason im San Francisco Chronicle die Platte als die Erfindung von Folk-Rock in höchsten Tönen lobt, wollen alle coolen Hipsters Guthrie, Holly und die Crickets hören. Im alternativen Universum von Geoffrey Himes kommt Mermaid Avenue Vol 2 im November 1959 auf den Markt. Die Single-Auskoppelung My Flying Saucer erobert die Top Ten der amerikanischen Charts und Time bringt Guthrie und Holly mit der Schlagzeile The Hot New Sound Of Folk-Rock aufs Titelbild.
* Die auszugsweise Wiedergabe der CD-Besprechung in No Depression (in Deutschland erhältlich über Glitterhouse-Versand) erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Geoffrey Himes.
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