backFerner liefen...

Senfkörner. Silberzwiebeln. Gewürze. Salz. Saccharin. Branntweinessig. Natürliche und naturidentische Aromastoffe. Spreewald-Pickles, Cocktailware wie gewachsen, mit krummen Gurken süß-sauer eingelegt... Soviel zum Hauptprodukt des meinungsbildenden Gewerbes, Presse Funk & Fernsehen in den Wochen zwischen Anfang Juli und Ende August.

Dabei fing's heuer schon im Juni an. “Hund beißt Mann”, war die schlagtitelzeilenfüllende Meldung. Komisch, nichts bringt die Volkseele schneller zum Siedepunkt als die Wauwaufrage. Mit schöner Promptheit fanden ganze Innenministerkonferenzen zusammen, um His master's voice einen Maulkorb zu verpassen. Wenn die Glatzen wieder mal schön mutig zu siebent auf Behinderte oder Andersnationale lostreten, sieht man die Herren Innenminister, wenn überhaupt, nur in abwiegelnden Posen.

(Dabei stand wieder nirgends zu lesen, was man eigentlich wissen möcht' – wie's denn Heinz-Rudolf Kunzes kinderfressender dänischer Dogge mittlerweile geht. Nachts vor seinem Jägerzaun nach Autogrammen anstehen? – tut's nicht, Freunde! (Falls der singende Sadoschmerzier überhaupt noch einen Fan hat.)

Weitere Nullmeldungen: Tina Turner tanzt die letztenTournee, Reinold Messmer stapft den letzten Achttausender platt, Johnny Cash (69) will nie mehr auf der Bühne stehen: “Ich hatte das 43 Jahre lang.” Künftig also im Sitzen? Wer mag das eigentlich noch hören, nachdem Leonard Cohen schon zum teufelsten Male das alller-aller-allerletzte Zuhöreraufgebot zur Dernière gebeten hat.

Je bunter die Medienwelt, desto öder die Nachrichten. Schon diese Glosse hier könnte ohne tägliche Frischzellenspritzen nicht überleben. Sommersmog in Redakteursgehirnen – wahrscheinlich sind deshalb die Großen Ferien erfunden worden. Fluchtartig geht man außer Landes, wo man eh nichts versteht und selbst die FAZ drei Tage alt ist.

Aber dann noch Roskilde. Ich war vor Jahren selber mal dort. Ein richtig gemütliches kleines Festival ist das gewesen (übrigens auch für die Eltern ihrer Kinder). Schade nur, dass es, um überhaupt mal in einer Tagesschau erwähnt zu werden, acht Tote braucht. Altamont war seinerzeit bekannter als Woodstock. Und Roskilde ist jetzt schon wieder bekannter als Minsk, wo am 30. Mai siebenmal so viele zertrampelt wurden. Die Veranstalter taten ihr übriges, um so schnell wie möglich wieder in der Vergessenheit hinter der Tagesschau-Grenze zu versinken: Einfach weitermachen, business as usual, Begründung des Veranstalters (hat man Töne!): “Eine solche Ansammlung von Menschen... mitten in ihrem Erleben zu stoppen – das schafft eine enorme Frustration, deren Folgen schwer voraussehbar sind.” Anders formuliert: Sonst könnte es ja die nächste Massenpanik am Karten-Rückgabeschalter geben.

Also weißte! Ich jedenfall lass mich ganz gern in meinem Erleben stoppen. Morgen ergreife auch ich die Flucht. Drunten im Süden, unter Pinien an der alten Schäferei, im Gekasper der Zikaden, wo kein Strom ist und der Kühlschrank mit Propangas funktioniert, wo das Wasser vom Brunnen geschöpft werden muss, in der Hängematte schaukeln... Aber auch dort ist Musik drin. Jordi Savall und die Gruppe Hesperion XX werden in der Kathedrale von Uzès erwartet, keine zehn Fahrradminuten von der Schäferei. Bis demnächst!


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Ferner läuft in jedem Folker! die Kolumne von Nikolaus Gatter!