Chico César ist illustre Gesellschaft gewöhnt. Einmal traf er sich in São Paolo mit Nelson Mandela, Pelé, Bob Marley und Malcolm X. Das geht nicht? Doch, wohl geht das, in einem parallelen Universum nämlich. Der Karneval in Brasilien ist ein solches. Und da war die genannte Gruppe zu sehen als Pappmaché-Figuren auf einem der Wagen.
Von Luigi Lauer
Chico hält das für übertrieben, die Herren seien doch wohl einer anderen Liga zuzuordnen. Zumindest bei einem dürfte sich das schon anatomisch manifestieren, bei Nelson Mandela nämlich, dem Chico César, keine Einssechzig, kaum bis zur Brust reichen dürfte. Gefreut hat es ihn aber doch, unter so berühmten Pappnasen weilen zu dürfen, und es hat seiner Bekanntheit in Brasilien weiteren Auftrieb verliehen. Die ist heute soweit gediehen, dass er auch dann nicht unerkannt herumlaufen kann, wenn er in ganz normalen Klamotten steckt statt in seinen üblichen, farbenfrohen Kostümen, die irgendwo zwischen afrikanisch-indianischer Tracht und futuristischer Fantasie liegen. Seinen Mangel an physischer Präsenz weiß er jedenfalls auszugleichen.
1995: Aos Vivos (Velas) |
Schreiben wir ihm mal eine Kurzbiografie, um das gleich vom Tisch zu haben. Geboren am 26. Januar 1964 als Francisco César Gonçalves in Catolé do Rocha, Bundesstaat Paraíba, Brasiliens armer Nordosten. Mit acht Jahren arbeitet er in einem Plattenladen, wo er sich einen breit gefächerten Geschmack zulegt: Jackson do Pandeiro, Salif Keita, Bob Marley, Led Zeppelin. Erste Band mit zehn, sechs Jahre später Umzug in die Hauptstadt des Bundesstaates, João Pessoa. Weitere Bands, erste Zeitungsartikel. Umzug nach São Paolo 1984, Studium der Journalistik und Sprachwissenschaften, arbeitet als Journalist und Musikkritiker (sic!). 1986 erhält er ein Stipendium für den Besuch einer Musikschule, an der die MPB, die Música Popular Brasileira, unterrichtet wird. Gründet die Band Camara dos Camaradas, aus der später Cuzcuz Clã wird. 1991 Clubtour in Deutschland auf Einladung des brasilianisch-deutschen Kulturvereins. Entscheidung, Musik zum Hauptberuf zu machen. Erstes Album 1995; neben Mama Africa auch darauf: À primera vista, später covert Daniela Mercury den Song, er wird zum Titelthema einer Seifenoper, und Chico im ganzen Land bekannt. Es folgen weltweite Tourneen und weitere Alben (s. Discographie).
Soweit die Fakten, und eines noch hinten dran: In diesem Jahr erschienen gleich zwei Alben von ihm, eine Compilation, und ein brandfrisches, tauneues Album mit dem Titel Mama Mundi. War da nicht was, mit Mama? Doch, da war was, klar, Mama Africa, der Song, der seine Karriere begründete, sein dickster Hund bis dato, der auf der ganzen Welt vom Publikum mitgesungen wird egal, ob es nun Portugiesisch spricht oder nicht, es reicht, die Phonetik zu imitieren. Was aber war eigentlich das Besondere an diesem Song? Vielleicht dies: Da stellt sich ein Barde hin mit seiner Klampfe und knallt einen Refrain raus, auf den man in den erfolgreichsten Hitschmieden Amerikas mächtig stolz gewesen wäre. Kaum anders ist A primera vista, das ganze Lied ist ein einziger Refrain, so infektiös, das auch hier eine Gitarre völlig zur Begleitung ausreicht. Das ist die eigentliche Kunst des kleinen Mannes mit dem großen Imperator im Namen. Beide Lieder sind auf seinem ersten Album, und bezeichnenderweise ist auf der ganzen CD nur der singende Chico mit Gitarre zu hören die er allerdings in ganz eigener Weise spielt, und zwar gut. Es ist doch immer das alte Lied: Ein wirklich guter Song braucht nicht mehr. Zwar ist es ihm bis heute nicht gelungen, einen ähnlichen akustischen Schmackofatz zu schreiben, auch wenn Mama Mundi durchweg sehr gelungen ist. Doch seien wir fair, denn Lieder, die von einer ganzen Generation mitgesungen werden, schreibt man nun mal nicht jede Woche.
Was es mit Mama Mundi, Mutter der Welt, auf sich hat, erzählt er jetzt mal selbst: "Das Grundthema von Mama Mundi ist die Mobilität, seien es Bevölkerungsströmungen, das Internet, oder auch meine eigene, in den letzten Jahren war ich fast ständig unterwegs. Und Mama Mundi ist, als Album-Titel, auch eine Referenz an diese feminine Figur, die in meiner Musik sehr stark vertreten ist. Nehmen wir den Titelsong, da singe ich von der Mama Mundi, die gleichzeitig die Mutter von Juri Gagarin ist, der erste Mensch im All, also außerhalb der Erde, und von Mestre Vitalino, der kleine Figuren aus Ton formt, also aus Erde. Der eine wagt den ganz großen Sprung hinaus, der andere sitzt in einem kleinen Dorf und hantiert mit dem, was zu seinen Füßen liegt. Aber beide erreichen sehr viele Leute." Das ist die eine Ader des Chico César, poetische Bilder zu entwerfen, in denen die eigentliche Kernaussage verschlüsselt ist. Die andere ist sein Humor. In A forca que nunca seca zum Beispiel besingt er den "Arbeitstanz", den die Frauen auf ihren Kilometer langen Märschen vollführen müssen, wenn sie in großen Kanistern Wasser auf dem Kopf heranschleppen. Auf jeden Fall sei Mama Mundi, sagt der heute 36-Jährige, sein persönlichstes Album, es spiegele seine Schizophrenie im positiven Sinne am besten wider, nämlich viele Einflüsse auf sich einwirken zu lassen, und doch ganz man selbst zu bleiben.
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Mehr über Chico César im Folker! 5/2000