Die englisch-irische Musikszene ist im Folkbereich nicht mehr das, was sie einmal war. Vor 30 Jahren etwa gingen noch Impulse von ihr aus, an denen sich fast das gesamte europäische Folkrevival der damaligen Zeit orientierte. Als sich die Szene zu einer Bestandsaufnahme im Januar in Glasgow beim Festival der Celtic Connections traf, saßen da die gleichen Herren mit ihren nahezu gleichen Liedern beisammen. Lediglich Haarfarben, Bauchweiten, Bier- und Whiskykonsum hatten sich geändert. Die Youngsters blieben außen vor. Sie haben sich schon längst ins Global Village verzogen und arbeiten lieber mit afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Anleihen, denen hier und da eventuell noch traditionelle Tupfer des keltischen Erbes aufgesetzt werden. Alle? Nicht alle!
Von Thorsten Bednarz
Im Verborgenen hat doch etwas den abgestandenen und sich selbst genügenden Bierdunst vergangener Pubseeligkeit überlebt und ein ganz eigenes Verhältnis dazu aufgebaut. Taz Alexander, die Sängerin der irisch-englisch-französischen Band Sin É, beschreibt es so: Als ich noch ein Teenager war, da war das die einzige Musik, die ich niemals, aber absolut niemals gehört hätte. Ich habe sie wirklich abgrundtief gehasst. Und jetzt bin ich hier und liebe sie plötzlich! Ich habe verdammt viel durch diese Band gelernt, denn erst als ich zu ihr kam, begann ich damit, Folkmusik zu hören. Jetzt kann ich bestimmte Stile wirklich lieben, ob es nun der eines Fiddle-Spielers ist oder etwas anderes. Es ist eine tolle Musik. Was einst als Instrumentalduo im Stile von Moving Hearts angelegt war, hat sich in den vergangenen Jahren zu einem eigenständigen Projekt entwickelt, das nicht mehr so einfach in die Schublade des Folk passen will.
Zwar fehlen die inzwischen omnipräsenten Beats aus dem Computer bei Sin É noch immer, aber klingen sie nicht doch im Spiel des Bodhran mit an? Und führen die jazzigen Improvisationen über den Umweg Asien und Lateinamerika nicht doch wieder zurück auf die irischen Inseln? Mike Cosgrave, der Multiinstrumentalist von Sin É: Ich sehe die Band als eine, die Weltmusik spielt und mit keltischer Musik anfing. Seit den Anfangstagen hat sich da wirklich viel geändert. Früher spielten wir viel mehr traditionelle Stücke und das ganze Konzept der Konzerte war viel traditioneller. Das haben wir dann dahin gehend entwickelt, dass wir uns mehr Freiräume für Improvisationen und für moderne, populäre Dancemusik oder wie immer du es nennen willst nahmen. Es scheint sich in alle Richtungen gleichzeitig zu entwickeln und manchmal ist es schon schwer, dieses Eigenleben noch zu kontrollieren. ... In gewissem Sinne könntest du auch sagen, wir spielen die einzige Musik, die wir alle auch hören würden. Ansonsten kommen wir nämlich aus ganz verschiedenen Richtungen.
Immerhin war es mit dem Piper und Flötisten Steáfán Hannigan gerade der am stärksten der Tradition verhaftete Musiker von Sin É, der mit Popgrößen wie Depeche Mode oder Björk im Studio und auf der Bühne stand. Mike Cosgrave dagegen gesteht nach einer Weile etwas verschämt, früher auf Bands wie Queen und den Bombastorock der 70er Jahre gestanden zu haben, bevor es ihn zum Jazz zog. Jetzt allerdings sind es eher Bands aus dem intelligenten Lager der Dancemusik, Bands wie etwa Leftfield, deren Platten er gerne und oft hört sowohl zur Entspannung als auch zur Anregung für die eigene Musik. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sie selbst schon mit Remixen ihrer Songs experimentierten und in Glasgow gar mit Alex Kasiek von Transglobal Underground im gleichen Konzert auftraten. Nur blieb die angedachte Kooperation mit dem DJ leider eine nicht verwirklichte Idee des gemeinsamen Tourmanagers. Aber sie ist noch nicht vom Tisch, wie mir die Musiker nach dem Konzert versichern.
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Mehr über Sin É im Folker! 4/2000