back10 Jahre TFF Rudolstadt

Rund um das älteste Instrument der Welt

Gespräch mit der Stimmenakrobatin Hilde Kappes

Klischee vom „schönem Gesang” schlimmer als das vom schönen Körper

Die menschliche Stimme ist das wohl älteste Instrument überhaupt. Mit ihr kann man nicht nur schön singen, sondern sich auch über die Berggipfel hinweg verständigen, in spirituelle Sphären schwingen oder einfach Spaß haben. Die Stimme wird das Schwerpunkt-Instrument sein beim diesjährigen Tanz- und Folkfestival in Rudolstadt – und als Moderatorin hat man eine Sängerin gewonnen, die als individualistisches Stimmwunder schon seit einigen Jahren gefeiert wird, wenn auch leider nur in recht kleinen Zirkeln – Hilde Kappes. Ihre Stimme kann zierlich asiatisch klingen, kehlig wie bei mongolischem Steppengesang, feurig südländisch; ihre Texte sind mal in „Schortuanisch”, mal in „Gelaganisch”, beides selbsterfundene Sprachen; dazu begleitet sie sich mit Perkussion auf leeren Plastik-Wasserflaschen oder singt in Abflussrohre wie australische Aborigines in ihre Didgeridoos. Hilde Kappes klingt, als hätte sie bei den Eskimos im Iglu gesessen, wenn sie ihre Rachengesänge praktizieren, als wäre sie in russischen Chören zu Hause – dabei ist die Tochter eines Organisten und Chordirektors bisher eher selten in fernen Ländern unterwegs gewesen, „ein finanzielles Problem”, so Hilde Kappes bedauernd.

Karen Pfundt besuchte für den Folker! die Stimmbegeisterte in Berlin.

Folker!: Die Stimme ist wohl das älteste Instrument überhaupt. Ist es auch eins der schwierigsten?

Hilde Kappes: Ich würde nicht sagen, dass es eins der schwierigsten ist. Aber ich sag mal, es ist so kompliziert, wie man selber ist. Und das kann mitunter schwierig sein. Ich glaube schon, dass die Stimme was sehr Intimes hat und Authentisches ist und dass es deswegen manchmal sehr kompliziert ist mit diesem Instrument, weil man einfach kein Medium dazwischen hat – man kann sich nicht mit den Fingern auf dem Klavier ausdrücken, sondern es ist einfach so unmittelbar aus mir heraus, und wenn du Pech hast und schlecht drauf bist, dann kostet es auch sehr viel Energie, das beiseite zu lassen. Denn die Stimme lässt sich ja gerne beeinflussen von deiner Stimmung.

F: Wie ist deine Stimmleidenschaft entstanden?

HK: Also, ich hab zum ersten Mal als Jugendliche gesungen, in der Schule, und dann bei meinem Vater in der Kirche, der war Organist und Küster und da gab es dann öfter Hochzeiten und so – das war schon eine Art Bühnenerfahrung, von der Empore herunter zu singen. Dann kam mein Studium, da habe ich dann Jazzgesang gemacht, so das Übliche, Standards im Quartett und Trio, die Instrumente waren immer zu laut, ich war immer zu leise, es war ein erbitterter Kampf. Dann bin ich rüber zum Freejazz, habe Freejazz gemacht, und erst in Berlin dann mein eigenes Programm entwickelt, vor zehn, elf Jahren.

F: Wie ist das entstanden?

HK: Das ist ganz lustig entstanden: Ich hatte keine Wohnung und musste vorübergehend in einer WG leben, und da gab es kein Klavier. Dafür gab es einen Probenraum unten im Keller, da standen etliche Trommeln. Und da ich ein Mensch bin, der täglichen Ausdruck braucht, bin ich da runter in den Keller, fand das total Klasse, dass man da Krach machen konnte, hab alle Trommeln ausprobiert, und hab dazu gesungen. Und hab dann teilweise auch Aufnahmen gemacht, so für mich, mit Kassettenrecorder. Da fing ich an, in dieser fremden Sprache zu singen. Ich war ja keine Textdichterin, ich wollte einfach Musik machen, und da hab ich zu diesen Trommeln so eine Sprache entwickelt, die man einfach dazu singen kann. Und irgendwann kam dann wieder eine Wohnung mit Klavier, dann saß ich am Klavier, hab Lieder gemacht, auf Deutsch auch, und dachte mir immer – Och Gott, nee, ich weiß nicht. Es war mir immer so langweilig. Wenn ich es gesagt hatte, dann dachte ich danach, jetzt ist gesagt, jetzt ist vorbei. Und dann dachte ich, warum singe ich eigentlich nicht wie bei den Trommeln – und dann habe ich das gemacht.

F: Warum diese andere Sprache?

HK: Diese Fremd-Sprache, Pseudo-Sprache, Phantasie-Sprache bietet mehr Raum für Phantasie, für Assoziationen. Das Gute daran ist einfach, dass man sich unweigerlich auf die Musik konzentrieren muss. Wenn ich einen Text hab, auf den ich höre, dann rückt die Musik ein bisschen in den Hintergrund, und das passt mir nicht. Das heißt, ich will eigentlich den Rhythmus wirken lassen, die Musik, die Melodien, die ich wähle, und unterstütze das mit der Sprache. Also wenn ich dann was Temperamentvolles spiele, dann verändert sich auch die Sprache dazu, dann klingt die ein bisschen mehr russisch. Und wenn es was Weiches, Melancholisches ist, dann klingt sie vielleicht ein bisschen französisch – ich spiele damit.

F: Verwendest du auch spezielle Stimmtechniken aus verschiedenen Ländern?

HK: So wahnsinnig viel mit Stimmtechniken mache ich nicht, das ist mir zu viel Arbeit ... Ich gehe immer von der Musik aus. Das, was musikalisch entsteht bei mir, ruft nach einem bestimmten Stimm-Ausdruck. Und da lasse ich mich auch inspirieren. Ich habe natürlich oft überlegt – soll ich nicht doch mal so einen Oberton-Gesangskurs machen, damit ich das auch mal kann. Habe ich aber nicht. Was aber geschehen ist, ich bin diesen Chöömei-Sängern begegnet, aus Tuva, von der Gruppe Hun-Huur-Tu, und wir haben ein wunderbares Festival zusammen verbracht in Innsbruck, Österreich, und haben drei Tage auch im selben Hotel gewohnt und hatten da abends auch viel Spaß, und haben auch eine Improvisation zusammen gemacht, ich auf dem Abflussrohr und sie haben dazu gesungen. Und dann haben sie versucht, es mir beizubringen, beim dritten Glas Bier unten in der Hotelhalle, das war natürlich klar, dass ich das nicht lernen kann so schnell, aber das hat mich ungemein inspiriert. Ich war danach eine Woche lang völlig kreativ und hab mir dann schon ausgedacht, dass ich mit denen zusammen eine Platte machen will. Aber es ist leider nie dazu gekommen, weil die viel zu sehr eingespannt sind.

F: Hattest du noch mehr solcher Begegnungen?

HK: Ja, wobei die nicht unbedingt alle aus fremden Ländern kommen. Wen ich zum Beispiel sehr liebe, ist der Christian Zehnder, der auch nach Rudolstadt kommt, von Stimmhorn. Der hat einen ähnlichen Ansatz, mit der Stimme umzugehen, weil der auch völlig unorthodox ist, der dann jodelt mit Obertongesang, was man auch noch nie gehört hat. Das ist natürlich inspirierend auch für mich. Dann die ganzen Russen, mit denen ich im Varieté gearbeitet hab. Die Sprache ist einfach völlig wahnsinnig, und auch die Art, wie die alle so sind – es ist einfach so: Die Menschen sind zwar alle verschieden, aber ich finde schon, jedes Land oder jedes Volk hat so seinen Charakter, das kann man nicht verheimlichen. Ich war in Indien ein paar Mal, das hat mich natürlich sehr beeinflusst, die Sprache finde ich total schwer nachzumachen oder zu parodieren, das ist fast nicht möglich. Aber die Musik und die Klänge, die sie dort haben, das fließt dann einfach ein – wenn es mich berührt, dann fließt es auch ein in meine Musik.


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