backMit Musik Krieg und Frieden überleben

Mostar Sevdah Reunion

Lieder von Liebe und Schmerz aus Bosnien
Zuleila, die Rose, spaziert durch den Melonengarten
und sagt dem honigsüßen Tau:
„Süßer Tau, wo warst Du, als der Winter kam?“
„Unter einem zarten Mädchenhals,
um den sich Korallen und Perlen schlängelten,
dort war ich, als der Winter kam.“
(Komponist und Autor unbekannt)

„Sevdah muss man mit seiner Seele singen. Sevdah zu singen, bedeutet, sich selber völlig zu geben. Sevdah zu singen, bringt dich einfach um.“ Der 65-jährige Sänger Ilijaz Deliæ zündet sich erschöpft eine Zigarette an. Der Akkordeon- und Klarinetten-Virtuose Mustafa Šantiæ lacht und fügt hinzu: „Ein wirklicher Sevdah-Musiker muss Teil des Stückes werden oder das Stück Teil von ihm. Er muss das Stück leben. Doch dazu sind nur wenige fähig.“

Von Monika Borgmann

Wir sind im Pavarotti-Musik-Zentrum von Mostar. Die Aufnahmen für die erste CD der Mostar Sevdah Reunion sind abgeschlossen. Entstanden ist die Gruppe während des Krieges 1993, damals, als sich der bosnische Teil Mostars gegen die Kroaten verteidigte und um sein Überleben kämpfte. Ilijaz Deliæ und Mustafa Šantiæ nahmen mit Hilfe des Toningenieurs Dragi Šestiæ und des Journalisten Faruk Kajtaz in einem improvisierten Studio des bosnischen Senders Radio X eine erste Kassette auf. „Wir organisierten einige Konzerte, die im Radio übertragen wurden, um unseren Leuten zu sagen, ‚wir leben noch'. Aber auch um der Gegenseite die Nachricht zu senden: ‚Okay, ihr könnt den ganzen Tag auf uns schießen, uns bombardieren, aber wir haben trotzdem die Zeit, unsere Musik zu machen'„, erinnert sich Dragi Šestiæ. „Wenn ich heute an unsere Parties und Konzerte denke und wenn ich den Krieg vergessen könnte, die Bombardements, kein Essen, kein Wasser, kein Strom, wenn ich nur an die Parties denke, dann waren das die besten Momente meines Lebens.“ Auch Faruk Kajtaz entdeckte in diesen Momenten die Sevdah erst wirklich. Die Konzerte wurden für ihn zu einer Explosion der Gefühle. „Immer wieder sagten wir uns damals, halb im Ernst, halb im Spaß, wenn der Krieg zu Ende ist, dann werden wir aus dieser Musik eine CD von bester Qualität machen. Wenn ich heute daran zurückdenke, dann muss ich sagen, dass das damals einfach unser Wunschdenken war. Ein Traum, der uns am Leben erhielt.“

„Wer die Sevdah einmal kennengelernt hat, kann sie nie mehr vergessen.“

Aus dem Wunschdenken wurde Wirklichkeit. Im September 1998 organisierten Dragi Šestiæ und Faruk Kajtaz, die auch für die Produktion der CD verantwortlich sind, im Pavarotti-Musik-Zentrum spontan ein Konzert. Als der schwarze, südafrikanische Drummer Eugene Skeef, damals noch Musikdirektor des Zentrums, begeistert sagte: „Ihr solltet nach unten ins Studio gehen“, antwortete Faruk Kajtaz trocken: „Kein Problem“. Drei Tage später war es soweit, Ilijas Deliæ und Mustafa Šantiæ nahmen die ersten Stücke für ein Demoband auf. Es war die Geburt der CD.

Discographie

Mostar Sevdah Reunion –
Same (World Connection
)

Im Juli 1999 begannen die Studioaufnahmen. Der Vertrag mit World Connection war unterschrieben. Dragi Šestiæ und Faruk Kajtaz luden den Schlagzeuger Senad Trnovac, die Musiker der Gruppe Sar e Roma aus Sarajevo und die Gitarristen Mišo Petroviæ und Sandi Durakoviæ ein, an der CD mitzuwirken. Für zwei Stücke kam auch die mazedonische Sängerin Esma Redzepova dazu, die Königin der Gipsy Musik, die am Ende der Aufnahmen erklärte: „Wer die Sevdah einmal kennen gelernt hat, kann sie nie mehr vergessen.“

Sevdah kommt aus dem Inneren

Die Sevdah ist die traditionelle Musik Bosniens, die durch den türkischen Einfluss Ende des 14. Jahrhunderts entstand. Der Begriff Sevdah stammt aus dem Arabischen und bedeutet so viel wie Liebe, Begehren und Ekstase. Sevdah nannten Ärzte im Mittelalter aber auch die schwarze Galle, die das Gefühlsleben im Körper chemisch steuert. Die meisten Sevdah-Lieder handeln von der Liebe oder dem Schmerz um eine verlorene Liebe. Die Autoren sind fast alle unbekannt, ihre Texte wurden jahrhundertelang in den Familien gesungen und so überliefert. Zu ihrer Entstehungszeit wurde die Sevdah von einem Sänger vorgetragen und mit der Saz begleitet. Fast immer in einem kleinen Kreis, oft in den Privathäusern reicher muslimischer Familien. Doch im Laufe der Jahrhunderte kamen andere Instrumente dazu, die Gitarre, die Violine, das Akkordeon und die Klarinette. Die Sevdah entwickelte sich zu einer populären Musik für alle Schichten der Bevölkerung.

Die Mostar Sevdah Reunion ist auch ein Treffen zweier Generationen: eines Sängers mit fünzigjähriger Erfahrung und eines fast dreißig Jahre jüngeren Musikers, der seine Instrumente perfekt beherrscht. Ein Treffen zweier Virtuosen, die die Sevdah mit derselben Leidenschaft singen und spielen. „Im Fernsehen habe ich einmal ein Konzert und ein Interview mit dem Pianisten Rubinstein gesehen, der sagte: ‚Das Wichtigste ist es, seine Gefühle durch das Spiel auf dem Instrument zu spiegeln. Und dazu sind nur sehr wenige Musiker fähig'„, erzählt Mustafa Šantiæ. „Das ist mein Ziel, genauso will ich Sevdah spielen. Mit meinen Gefühlen und nicht nur mit meinen Fingern.“ Und Ilijaz Deliæ erklärt: „Jeder Sänger hat seinen Stil. Ich singe Sevdah mit etwas, was tief aus mir selber kommt. Ich kann es technisch nicht beschreiben. Sevdah kommt aus meinem Inneren.“


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