Der Krieg, der zwischen 1991 und 1995 den Traum vom multi-ethnischen Jugoslawien in einen Alptraum verwandelte, ist längst von der Bildfläche der Medien verschwunden. Die Toten sind beerdigt, so ihre Leichen überhaupt gefunden wurden, der Wiederaufbau ist vorangeschritten und zahlreiche Flüchtlinge sind in ihre oft immer noch zerstörte Heimat zurückgekehrt. Und im vergangenen Jahr waren die Augen der Welt bereits auf den nächsten Krisenherd gerichtet das Kosovo. Doch viele Menschen, besonders Frauen und Kinder, in den einstigen Kriegsregionen Kroatien, Slowenien und vor allem Bosnien-Herzegowina haben ihre traumatischen Erlebnisse bis heute nicht verarbeiten können. Zahlreiche Hilfsorganisationen und projekte nehmen sich ihrer an. Einige Frauen und Kinder schöpfen jährlich neue Kraft im SEKA, das vielen Folkfans bisher wohl in erster Linie über zwei Sampler-CDs von Twah! bekannt ist.
Von Claudia Frenzel
Gabriele Müller hat sich die Zeit für eine längeres Telefonat mit uns genommen. Eigentlich hat die Mitbegründerin des Projektes SEKA (serbokroatische Abkürzung für seminara kuca Seminarhaus) auf der sonnigen Adriainsel Brac, Kroatien, alle Hände voll zu tun. Die Finanzierung für das laufende Jahr ist alles andere als gesichert, die Aufenthalte der Frauen und Kinder, die sich im Sommer im Seminarhaus einige Tage unter therapeutischer Aufsicht erholen wollen, müssen vorbereitet und das neue SEKA-Magazin, das Interessenten in Deutschland über die Arbeit vor Ort informiert, muss fertig gestellt werden.
Im Grunde ist sie stolz darauf, dass es SEKA, was im Serbokroatischen gleichzeitig ein liebevoller Ausdruck für Schwester ist, trotz der stetigen finanziellen Ungewissheit immer noch gibt. Und die Eintragungen im Gästebuch, die Anrufe und Briefe der Frauen und Kinder, die eine paar Tage auf Brac sein konnten, zeigen ihr, wie wichtig ihr Projekt für andere ist. Viele halten sich lange an den Erinnerungen an die Zeit hier bei uns fest, erzählt Gabriele Müller. Vor allem bei den Kindern ist es, als wenn man ein Licht anzündet. Durch SEKA lernen sie wieder Vertrauen in andere Menschen zu fassen und sie gewinnen die Erkenntnis, dass es trotz aller Schrecken, die sie erleben mussten, noch etwas Wunderschönes gibt.
Gabriele Müller, von Hause aus Diplompädagogin, die sich seit 25 Jahren in Frauenprojekten engagiert, hatte bereits 1996 die Idee für SEKA. Seminare und Kontakte zu Frauengruppen in Zagreb, Slowenien und Belgrad zeigten ihr, dass die Fortbildung der Betreuerinnen, die sich in Hilfsprojekten und antinationalistischen Frauengruppen vor Ort engagieren, wichtig, aber auch eigene therapeutische Angebote für diese Frauen notwendig waren. Denn auch sie waren durch die Kriegserlebnisse stark traumatisiert. Sie hatte den Wunsch, eine ständige Einrichtung sowohl für Opfer von Kriegsgewalt oder Gewalt in der Familie (ein zunehmendes Problem nach dem Krieg), als auch für die Mitarbeiterinnen von Frauengruppen, sozialen Projekten und öffentlichen Einrichtungen wie Schulen zu schaffen. In dieser sollte neben Fortbildungen und Seminaren auch Erholung für Frauen und deren Kinder angeboten werden. Für diese Idee fand sie schnell Unterstützerinnen in Hamburg, wo Gabriele Müller selbst viele Jahre in Sozialprojekten, u.a. im 3. Hamburger Frauenhaus, tätig war. So wurde im April 1996 der SEKA Hamburg e.V. gegründet, der sich in der Bundesrepublik insbesondere um die Werbung von Spenden und Unterstützern bemüht. Im September 1996 wurde in Zagreb die Trägerorganisation des Projektes Kuca SEKA gegründet.
Auf der Insel Brac wurde schließlich ein Haus direkt am Meer gefunden, das für das Projekt geeignet schien und mittels Spenden und einem Förderkredit der Ökobank, Frankfurt/M., erworben werden konnte. Das Meer, so erzählt sie am Telefon, scheint den traumatisierten Frauen und vor allem den Kindern Kraft und Hoffnung zu geben. Nicht selten findet sich darüber ein Zugang zu den sehr verschlossenen Menschen.
Über 600 Frauen und Kinder verschiedener Nationalitäten konnten bisher therapeutische Erholungsaufenthalte im SEKA wahrnehmen. Dass dies nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, wissen auch die Frauen von SEKA. Sie haben aber vor allem die Hoffnung, dass die Besucherinnen ihre Erfahrungen und die Kraft, die sie durch ihren Aufenthalt gesammelt habe, an andere weitergeben und SEKA in gewisser Weise als Multiplikator auftritt.
Die politischen Veränderungen in Bosnien-Herzegowina nach den Wahlen im Januar, wo vielerorts die nationalistische Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ), die einst von General Franjo Tudjman gegründet worden war, abgewählt wurde, lässt die SEKA-Mitarbeiterinnen auf eine Fortsetzung der Demokratisierung in Kroatien und Bosnien-Herzegowina hoffen. Auch die stärke Beteiligung von Frauen in der Politik bewerten sie positiv. Frauen sind oft eher bereit wieder aufeinander zuzugehen, erzählt Gabriele Müller. In ihrer Arbeit erlebt sie, dass trotz verschiedener Nationalitäten und der Kriegserlebnisse, Menschen wieder zueinander finden. Allerdings ist die Situation in Serbien und dem Kosovo noch immer sehr schlimm. Der Kosovo-Krieg des letzten Jahres hat bei vielen wieder die eigenen Kriegsschrecken aufleben lassen, aber viele Frauen der Gruppen, die mit und in SEKA arbeiten, haben sich in dieser Zeit gegenseitig Mut gemacht.
Im Sommer werden wieder fünf Gruppen von Frauen und Kindern aus Kroatien und Bosnien-Herzegowina für 12 bis 14 Tage im SEKA-Haus weilen. Schon seit März laufen zudem Seminare und Fortbildungen. Zur Realisierung dieser und anderer Vorhaben sind Gabriele Müller und ihre fünf ständigen Mitarbeiterinnen vor Ort auf Spenden und Fördermittel angewiesen. Darüber hinaus müssen auch die zusätzlichen Honorarkräfte, die die Arbeit im Sommer unterstützen, sowie das Büro in Hamburg finanziert werden. Derzeit wünscht sie sich zur Entlastung der SEKA-Betreuerinnen, die zwischen 60 und 80 Stunden wöchentlich im Einsatz sind, sehnlichst eine weitere Vollzeit-Psychologin. Diese würde jedoch ca. 25.000 Mark jährlich kosten. Ein großes Problem ist, dass viele Spender keine Personalkosten übernehmen können. Vor allem ungebundene Spenden helfen uns sehr, sagt Gabriele Müller.
Wer SEKA nicht nur mit dem CD-Kauf helfen möchte, kann sich
informieren bei
SEKA Hamburg e.V., Friedensallee 7, 22765 Hamburg, Tel./Fax:
0 40/39 90 56 53
und unter
http://www.seka-hh.de
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