back10 Jahre TFF Rudolstadt

„Ganz im Zeichen der deutsch-deutschen Vereinigung lief das ProFolk-Herbsttreffen in Bad Hersfeld (9.-11.11.1990) ab. Verständlicherweise stand in den Diskussionen die Verbandsarbeit im Vordergrund: hier (BRD) ProFolk – dort (DDR) Verband der Folkloristen, aber auch Folkies, die sich durch letzteren nicht repräsentiert sehen. Im Anschluss an das Treffen setzten sich ‚Experten' aus den beiden deutschen Staaten zusammen, um über Aspekte der damit auch einhergehenden Vereinigung der beiden Folkszenen zu diskutieren. Ein Wort zum Interview: Im Gegensatz zu Wolf Biermann ist bei uns ‚hier' auch wirklich ‚hier', d.h. der Grund und Boden der elf alten Bundesländer.“

Das war die Einleitung zu einer zweiteiligen Dokumentation, mit der im Folk-MICHEL 1991 unter der Überschrift „Die deutsch-deutsche Folkszene nach der Vereinigung“ über die Bad Hersfelder Diskussion berichtet wurde. Teilnehmer waren mit Uli Doberenz, Peter Uhlmann und Bernhard Hanneken gleich drei „Väter“ des Tanz- und Folkfests Rudolstadt, die noch heute seine Geschicke leiten. Neben ihnen saßen auf dem Podium: der Musiker Steffen Junghans aus Berlin, der Jugendclub-Veranstalter Reinhard „Pfeffi“ Ständer, Sabine Schumann vom Verband der Folkmusiker, der Konzertagent Berthold Seliger sowie der heutige Folker!-CvD Michael Kleff und Jens-Peter Müller. Der damalige PROFOLK-Vorsitzende blickt im folgenden Beitrag auf die Entwicklung seit dem „Expertengespräch“ in Bad Hersfeld vor zehn Jahren zurück.

„Die Szene ist vielfältiger und qualitativ insgesamt weitaus hochwertiger als noch in den achtziger Jahren“

Erinnerungen an das deutsch-deutsche Folktreffen in Bad Hersfeld 1990

Von Jens-Peter Müller

Wenn ich die Zeit vor zehn, elf Jahren mit heute vergleiche, merke ich als erstes, dass ich mich damals weitaus besser in der ostdeutschen, ex-DDR-Szene auskannte. Zum einen habe ich mich mehr für die Folk- und Liedermacherszene zu DDR-Zeiten interessiert, weil einfach alles, was sich abseits der offiziellen Pfade in der DDR bewegte, einfach sehr spannend war und ich gerne „rübergefahren“ bin. Diese Spannung ist nach der Wende gewichen. Stattdessen trat das ein, was wir im „Expertengespräch“ im Herbst 1990 schon voraussahen, nämlich eine Zersplitterung. Schlimmer noch, in einigen Bereichen, bei den Veranstaltern und in den Angeboten für Kinder z.B. auch ein Zerfall. TFF, 1996Dennoch muss ich auch heute noch eine Lanze für die Liedermacher aus dem Osten brechen. Immer noch haben mir Schöne, Wenzel, hatte mir Gundermann ungleich mehr zu sagen als die Kollegen im Westen. Diese Kontinuität ganz ohne den oppositionellen Kitzel zeigt einfach die künstlerischen, will sagen sprachlichen und musikalischen Qualitäten. Qualitäten, die allerdings im Westen immer noch kaum Beachtung finden. Es ist bis heute Leuten wie Wenzel, dem Duo Sonnenschirm oder den Bierfiedlern nicht gelungen, ein neues Publikum im Westen zu finden. Trotz aller Ehrungen und Lobpreisungen von den Experten. Nach einem ausverkauften Konzert von Hans-Eckardt Wenzel in Schwerin 1998 habe ich mich gefragt, warum es für diesen meisterhaften Lyriker und wortgewandten Live-Künstler im Westen nicht läuft. Sind es Kommunikationsprobleme, die ungleichen Lebensläufe der Westler und Ostler? Bestimmt auch. Vielleicht aber wollen sich einige Künstler im Westen auch gar nicht durch-, sich den manchmal frustrierenden Erfahrungen nicht aussetzen, weil sie es ob der wieder oder weiterhin sehr guten Resonanz im Osten auch (zum Glück) nicht müssen. Um es anders zu sagen: Es lohnt sich also immer noch ab und an zu Konzerten mal „rüberzufahren“.

Ganz anders Bands, die in der Ex-DDR noch keinen Namen hatten wie Das Blaue Einhorn aus Dresden. Ganz selbstverständlich haben sie den Markt als gesamtdeutsch aufgefasst und sich hartnäckig und – mit Qualität natürlich – im Westen ein Publikum erspielt. Die Stammbühne der Dresdner ist mittlerweile das renommierte Canapee in Hannover, wo die Band schon ab und zu an vier(!) aufeinanderfolgenden Abenden zu erleben ist.

TFF,1996Im Zusammenhang mit der Musik des Blauen Einhorn muss man für den Zeitraum der letzten zehn Jahre die Klezmerwelle erwähnen, die meines Erachtens zeigt, wie fast alle osteuropäischen Musikstile sich immer mehr zu einem großen Publikumserfolg entwickeln. Gerade gab es in Bremen zum Abschluss eines Klezmer-Festivals als alternativer „Tanz in den Mai“ eine osteuropäische Tanznacht mit etwa 400 begeistern „Abtänzern“. Dass mit Di grine Kusine und den Transylvanians zwei der drei Bands aus der Berliner Szene kamen, ist kein Zufall. Da treibt das Erbe der DDR-Geschichte als Ost-Identität wunderbare Blüten.


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