Das, was den Deutschen der Weißwurst-Äquator ist, der das Land in Nord und Süd teilt, das ist den Franzosen die Linie, die ihr Land in Langue doc und Langue doil spaltet. Südlich dieser Linie wurde früher die Langue doc Okzitanisch gesprochen. In den letzten Jahren haben mehr und mehr junge Bands zwischen Pyrenäen und Alpen die okzitanische Sprache und Kultur wieder entdeckt und von traditionellen a capella gesungenen Liedern bis zu okzitanischem Raggamuffin eine bunte Szene gebildet.
Von Karen Pfundt
Parlons patois Lasst uns Dialekt sprechen!, heißt es in einem Song des aktuellen Albums vom Massilia Sound System aus Marseille. Und zwar nicht irgendeinen lokalen Dialekt, versteht sich, sondern Okzitanisch im Grunde gar kein Dialekt, sondern eine eigenständige Sprache, mit der man sich früher in ganz Südfrankreich verständigen konnte, von den abgelegenen Pyrenäendörfern über Toulouse, Montpellier, Marseille und Nizza, bis hinein in die Täler des Piemont in Norditalien. Okzitanisch dem Katalanischen viel ähnlicher als dem Französischen war den in Paris residierenden Monarchen immer ein Dorn im Auge. 1539 erklärte François Ier das Französische zur einzigen Sprache des Königreichs. Noch heute ist im gesamten Süden Frankreichs das Bewusstsein lebendig, dass im 13. Jahrhundert die kulturell blühende Occitanie unter religiösem Vorwand in blutigen Kreuzzügen durch den barbarischen Norden erobert und unterworfen wurde.
Das ist nun schon eine ganze Weile her da stellt sich natürlich die Frage, wer um Himmels willen spricht heute noch Okzitanisch bezieungsweise Provenzalisch? Stellt man den Musikern vom Massilia Sound System, der derzeit bekanntesten okzitanisch singenden Formation, diese Frage, dann kommt die ehrliche Antwort: Eigentlich niemand mehr. Manch einer kann sich vielleicht noch an den ulkigen Dialekt der Großmama erinnern, aber spätestens den Eltern der heute jungen Generation wäre es peinlich gewesen, eine als rückständig geltende Sprache zu sprechen. Dass wir auf Provenzalisch singen, das haben wir eines Tages einfach so beschlossen, erklärt einer der Musiker. Eine Entscheidung, hinter der eine gute Portion Provokation und Sendungsbewusstsein steckte: Wir brauchen doch alle eine Sprache, die nicht die gleiche ist, die der Staat spricht. Sieh dir doch die Jugendlichen aus den Pariser Vorstädten an, wie die ihre Sprache verdrehen, um einen eigenen Jargon zu haben. Da haben wir in Marseille doch Glück, eine zweite Kultur zu besitzen. Auch wenn heute niemand mehr richtig okzitanisch spricht es gehört doch zu unserer Kultur. Und das Interessante ist: Wenn du einen jungen Araber aus Marseille reden hörst oder einen jungen Schwarzen, dann haben beide genau denselben Akzent, die gleiche Grammatik; und sie benutzen die gleichen Ausdrücke, denn es gibt viele Wendungen, die aus dem Provenzalischen stammen. Da haben wir irgendwann gedacht, verdammt, wir sagen alle dégain, vechia, aioli, wir sagen ca boulègue bien woher stammt das eigentlich? Und so haben wir angefangen, die Fäden zu entwirren, zurückzuverfolgen; haben angefangen, uns für die okzitanische Literatur zu interessieren, und haben eine wunderbar reiche Kultur entdeckt. Das hat uns inspiriert, hat uns Ideen gegeben, und es hat uns geholfen, eine zweite, andere Sicht der Welt zu haben. Diese Sicht kommt an bei den Fans sie lieben die Texte des Massilia Sound System, die sich oft auch engagiert mit dem explosiven Völkergemisch Marseilles und den rechtsextremen Politikern in der Region auseinander setzen. Einige Musiker animieren inzwischen Werkstätten, in denen Jugendliche lernen, sich mit dem Mikrofon in der Hand auszudrücken statt sich auf der Straße zu langweilen. Auch ein Aufnahmestudio hat das Massilia Sound System organisiert eine Rarität in einer Stadt, die fürs zentralistisch organisierte französische Musikbusiness immer an der Peripherie lag. Aber Made in Marseille ist inzwischen zu einem Markenzeichen geworden und das Massilia Sound System mit seiner Mischung aus Reggae, Raggamuffin und Klangcollagen aus dem Mittelmeerraum ist eine der wichtigsten Bands.
Die Pioniere der modernen okzitanischen Musikszene stammen aus Toulouse, nennen sich Faboulous Troubadours, bestehen aus Claude Sicre alias Doctor Cachou und Jean-Marc Enjalbert alias Ange B.. Die beiden sehen sich ganz in der Tradition der okzitanischen Troubadoure, die im 13. Jahrhundert durch die Lande zogen und den Leuten Neuigkeiten einfach vorsangen im kunstvoll spontanen Duett. Auch bei den Faboulous Troubadours findet man hauptsächlich Frage- und Antwortgesang mit Tambourinbegleitung plus einige zusätzliche Klangeffekte. Sie können jederzeit und an jedem Ort loslegen, am liebsten bei den Repas de quartier, den Nachbarschaftsfesten, die sie seit Jahrzehnten veranstalten. Claude Sicre ist seit den alten achtundsechziger Tagen, als in den regionalen Kulturbewegungen Aufbruchstimmung herrschte, einer der wichtigsten Köpfe der okzitanischen Bewegung, er leitet die Musiksektion des Instituts für Okzitanische Studien und wirbt unermüdlich für die verdrängte Sprache und Kultur seiner Heimatregion. Mitte der achtziger Jahre stellten er und seine Mitstreiter sogar wieder einen echten Karneval auf die Beine, immer getreu dem Motto: Spaß, Feiern und Aufmüpfigkeit gehören zusammen.
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