Warum ausgerechnet Piräus? Als Manos Hadjidakis dieses Lied komponierte, hätte er nie gedacht, wie vielen Generationen Heranwachsender er damit akustisches Unwohlsein bereiten dürfte und was für einem musikalisches Missverständnis er damit Tür und Tor öffnen würde. Stehen die Mädchen in Piräus wirklich jedes Wochenende mit schmachtendem Herzen am Kai?
Von Thorsten Bednarz
Mindestens ein ehemaliges Mädchen aus Piräus findet sich nicht dem triefenden Heimatklischee des berühmtesten griechischen Schlagers verpflichtet. Das musikalische Heimatgefühl von Eleftheria Arvanitaki ist anderweitig und viel tiefer begründet. Sie hält es weder mit dem ewig tanzenden Zorbas noch mit Onkel Patros und seinem Feta, obwohl der musikalische Ursprung von Zorbas ihr in gewisser Weise schon nahe steht. Immerhin hatte Eleftheria Arvanitakis niemals vor, so etwas Ähnliches wie ein Popstar auf folklorenen Füßen zu werden, was man wohl auch Theodorakis zu Gute halten darf. Folkstümelei ist beiden fremd. Dabei haben sowohl Theodorakis als auch Eleftheria Arvanitaki entscheidende Anstöße zur Wiederbelebung der griechischen Musikszene während und nach der griechischen Militärdiktatur geleistet und beide sehen sich heute als eher unpolitisch denn als Identifikationsfiguren und haben doch mit genau diesem Problem zu kämpfen.
Die musikalische Karriere Eleftheria Arvanitakis begann kurz nach der Zeit der Militärdiktatur. In Zeiten, in denen sich die griechischen Intellektuellen auf die Suche nach einem neuen Selbstverständnis begaben, da war es die Gruppe Opisthodromiki Compania, die mit als erste auf den fast verdrängten Schatz des Rembetiko traf. Ganz im Gegensatz zum westlichen Folkrevival der frühen 70er Jahre, das alte Songs gegen den Krieg und für die Selbstbestimmung des Individuums im Kampf gegen den Vietnam- und den Kalten Krieg bewusst einsetzte, in gewisser Weise also als links apostrophierte, waren die alten Lieder des Rembetiko sowohl von den Militärherrschern als auch vom linken und bürgerlichen Widerstand als Kulturgut nicht anerkannt worden. Die Lieder, die die aus Kleinasien vertriebenen Griechen in ihren Cafés und Opiumhöllen in den Hafenvierteln (wie Piräus) sangen, handelten von vergessenen Lieben, vom Suff und immer wieder von der Liebe zur verlorenen Heimat bzw. von der Heimatlosigkeit am Rande der großen griechischen Städte. Das taugte nicht, um gegen die Militärdiktatur zu kämpfen oder das Bild von ihr nach außen hin zu einem besseren zu kaschieren.
Erst Ende der 70er Jahre entdeckten viele Studenten wie damals Eleftheria Arvanitaki die darin verborgene Poesie und Kraft. Hier stießen sie auf eine Quelle, aus der man sich selbst neu definieren konnte. Opisthodromiki Compania war eine der ersten Gruppen, die auf dieses Liedgut zurückgriffen, und es war auch die erste, die damit wieder in der ganzen Welt auftrat. Nur reichte die blanke Rückbesinnug ihrer Sängerin Eleftheria Arvanitaki bald nicht mehr aus die Gruppe zerbrach, und sie selbst startete eine Solokarriere, die sie bis heute zur beliebtesten Sängerin Griechenlands machte. Binnen Stunden sind selbst die größten Arenen ihrer Heimat ausverkauft, jede neue Platte von ihr gleicht einem nationalen Kulturereignis, welches doch für die hohe Weihe der Nationalkultur nicht vorgesehen ist. Ich weiß nicht, wie ich meine Lieder heute bezeichnen soll, gesteht sie im Interview. Ich bin nicht wie Joan Baez oder Bob Dylan, die mit ihren großen Idealen und einer Klampfe vor dem Bauch vor ihr Publikum traten. Ich will niemanden bekehren. Ich passe auch nicht in das Bild der Singer/Songwriter, weil ich selbst kaum Texte oder Melodien schreibe. Das können andere viel besser als ich. Aber ich weiß, was meine Musik nicht ist: Sie ist keine heimattümelnde Folklore, sie ist keine große Kunst im Sinne der klassischen Künste, und sie ist definitiv keine Popmusik! Am ehesten könnte sie sich vielleicht noch mit dem Bild einer Volkssängerin versöhnen oder, wenn man auf den ursprünglichen Begriff von Popmusik als populärer Musik zurückgeht, sich in diesem Zusammenhang als Popsängerin bezeichnen, wenn auch eher widerwillig.
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Mehr über Eleftheria Arvanitaki im Folker! 3/2000