backEin Bayer im Boubou

Tormenta Jobarteh

„Examinierter“ Vertreter der Musiker- und Chronistenkaste

Neulich sitze ich mal wieder im Exes, eine, nein, „meine“ Cocktailbar in Berlin-Kreuzberg, und nuckel abwesend an einem Drink. „Du siehst so grüblerisch aus, Luigi. Was ist los?“, fragt mich Vural, der Wirt. „Ich denke über den Einstieg in eine Geschichte nach, die ich schreiben will.“ „Was für eine Geschichte?“ „Da gibt es in München einen Musiker, der hat viele Jahre in Gambia gelebt. Er hat die Sprache gelernt und sich so intensiv mit der Musik und den Traditionen des Landes beschäftigt, dass er von einer Familie adoptiert wurde. Und sie haben ihn sogar, sagen wir mal, in den musikalischen Adelsstand befördert.“ „Klingt interessant“, sagt Vural, „erzähl doch mal.“ „Ja, gerne. Aber erst machst du mir noch einen Cocktail!“

Von Luigi Lauer

Mein Lieblingscocktail heißt „Cooler“, schmeckt einfach göttlich und fördert in kurzer Zeit den Redefluss ganz eklatant. Alles andere als cool. Vural war es, der mich vor einem Jahr damit anfixte, seitdem brauche ich ihn, einmal die Woche. Jetzt setzt er sich zu mir an den Tisch, ich nehme einen großzügig bemessenen Schluck, verdrehe entzückt die Augen ­ und fange zu erzählen an. „Also: Tormenta Jobarteh heißt der Typ, 36 Jahre ist er jetzt. Aufgewachsen ist er in Bayern, so richtig christlich und konservativ. Irgendwann hat er dann angefangen, Schlagzeug zu studieren, an so einer Art Privat-Institut, Dante Agostini heißt es. Agostini ist wohl so ein Schlagzeug-Crack. Ja, aber spannend wird die Geschichte erst 1987. Da hat er nämlich zufällig eine Band aus Gambia getroffen, und die haben ihn eingeladen, mit nach Gambia zu kommen. Da hat er gar nicht lange gefackelt, eine Woche später war er da! Die Leute haben sich dann aber kaum noch um ihn gekümmert, und da musste er erst mal gucken, wo er bleibt. Schließlich ist er in einem Busch-Camp gelandet, wo sie die Touristen hinkarren, und da gab es einen Musiker, der denen traditionelle Lieder auf der Kora vorspielte, das ist so eine Art Harfe mit 21 Saiten, klingt toll. Und abends, in so einer Hütte, haben sie dann gesessen und der Musiker hat dem Werner, der heißt ursprünglich Werner Sturm, was vorgespielt. Und den hat das völlig umgehauen! Dem sind sogar die Tränen gekommen. War ihm wohl ein bisschen peinlich, da ist er dann rausgelaufen. Aber das war wohl so ein Schlüsselerlebnis, denn für ihn war sofort klar: Das muss ich auch lernen, das ist ja der Hammer. Und dann ist er da hängengeblieben bei seinem Lehrer, gleich zwei Jahre. Und insgesamt war er sogar sieben Jahre da.“

Vural signalisiert eine Unterbrechung. Es ist etwas voller geworden, er muss seinen Kollegen mal eben helfen. Währenddessen werfe ich einen Blick in die Speisenkarte. Was Afrikanisches wäre jetzt passend; das gibt es aber erst zwanzig Hausnummern weiter, im Foufou. Ich nehme schließlich, was ich hier fast immer esse, Cigara-Börek, mit Schafskäse gefüllte Teigrollen, eine türkische Spezialität, lecker, lecker. Vural kehrt an meinen Tisch zurück: „Was hat denn der da gemacht, sieben Jahre lang?“ „Studiert!“, antworte ich, etwas ungezogen, weil mit halbvollem Mund. „Das war erst mal nicht so einfach. Englisch ist zwar eine von vier Amtssprachen in Gambia, aber Tormenta, so nennt er sich jetzt, konnte nur typisch deutsches Schulenglisch, und das ist ja nicht so dolle. Also hat er erst Pidgin-Englisch gelernt von einem Freund aus Sierra Leone, und dann Manding, das sprechen die meisten in Gambia, die sind da eh alle mehrsprachig. Na, und Kora spielen hat er gelernt, natürlich, was für einen gelernten Schlagzeuger ja auch nicht gerade einfach ist, plötzlich auf ein Saiteninstrument umzusteigen. Er musste sogar selber eine Kora bauen. Mit Koraspielen alleine ist es allerdings nicht getan, du musst auch die Texte lernen, die ganzen Geschichten und so, und da steckt die ganze Historie des Volkes der letzten achthundert Jahre drin ­ wer von wem abstammt und Cousin oder Tante von dem und dem ist, so ähnlich wie der Stammbaum von Abraham bis Jesus in der Bibel, aber viel mehr ausgeschmückt, auch mit Kriegen, Völkerwanderungen, Pilgerfahrten, Helden natürlich und sowas. Das hat sogar mal ein Afrikaner aufgeschrieben, Soundjata-Epos heißt das Teil, das muss man auswendig können, früher wurde ja nichts aufgeschrieben. Da brauchst du schon ein verdammt gutes Gedächtnis. Das kann da auch nicht jeder machen; die das tun heißen Griots, oder auch Jalis oder Guewel oder anders, je nach Sprache. Das ist die Kaste der Musiker und Chronisten; die haben aber noch viel mehr soziale Funktionen, sie sind Berater, Schlichter, überliefern Bräuche und so weiter. Normalerweise wird das an die Kinder weitergegeben, deshalb haben die Griots auch immer die gleichen Namen, Kouyateh oder Jobarteh oder Cissokho oder so. Und jetzt eben auch Sturm, haha, aber das ging natürlich nicht, deswegen hat er den Namen der Griot-Familie angenommen, Jobarteh.“


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