backEin ferner Kontinent am „anderen Ende der Welt"

Australien

Corroboree, Folk und Multikultiklänge von Down Under

Am Anfang war das Didje. Das traditionelle Blasrohr „Didjeridu" der Ureinwohner Australiens hat seit einigen Jahren auch in der Allgemeinbildung unseres Kulturkreises einen Platz gefunden. Da in diesem Jahr der für uns fern gelegene Kontinent durch die Olympischen Spiele in Sydney ganz besonders im Blickpunkt des öffentlichen Interesses steht, wird man dem Klischee von Kängurus, Bumerangs und eben Didjeridus als Synonym für Australien in den nächsten Monaten sicherlich sehr häufig begegnen.

Impressionen von Antje Hollunder

Zweifelsohne sind die sogenannten Aborigines die ersten Musiker des fünften Kontinents gewesen. Die Existenz der australischen Urbevölkerung weist eine Geschichte von rund 40.000 Jahren auf. Bei der Ausübung ihrer Zeremonien, der „Corroboree", hat das Didjeridu jedoch bei den verschiedenen Stämmen der Urbevölkerung nicht immer eine herausragende Rolle gespielt. Die älteren und verbreiteteren Musikformen sind der Gesang, der sich mehr durch Rhythmen als durch Melodien auszeichnet, und die perkussive Begleitung durch Bumerangs, Klang- bzw. Klapperstäbe, das Rascheln von Eukalyptuszweigen und/oder Händeklatschen. Das Didjeridu ist ursprünglich nur von verhältnismäßig wenigen der zahlreichen einheimischen Volksgruppen Australiens gespielt worden. Sie stammen aus der Region Arnhemland im nordaustralischen Staat „Northern Territory". Und gemäß den verschiedenen Muttersprachen, die die Aborigines der verschiedenen Völker sprechen, haben sie auch schon seit Urzeiten ihre eigenen Namen für das Didjeridu: „Yidaki" heißt es heute landläufig unter den Einheimischen. Dieser Begriff kommt ursprünglich von den Angehörigen des Yolngu-Volkes im Osten von Arnhemland. Allein in dessen Zentrum sind zusätzlich acht weitere Namen für das Instrument im Umlauf. Jargera JargumDie heute am weitesten verbreitete Bezeichnung „Didjeridu" ist vermutlich erst von Nichteinheimischen in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts geprägt worden. Seitdem hat sich das Instrument jedoch aufgemacht, unter diesem Namen die Welt zu erobern.

Eine neue Welt, die eigentlich sehr alt ist

Spätestens seit dem internationalen Erfolg der schwarzaustralischen Rockgruppe „Yothu Yindi" Anfang der neunziger Jahre erfreut sich das mystisch wummernde Blasrohr auch in anderen Ländern zunehmender Beliebtheit. Während das Didjeridu indes bei der in Arnhemland beheimateten Musikband Yothu Yindi noch ein kultureller Bestandteil ihrer heimatlichen Umgebung darstellt, wird es inzwischen längst nicht mehr ausschließlich von Künstlern gespielt, in deren Familie es Tradition hat. Im Gegensatz zu vielen europäischen Popgruppen, die, wie beispielsweise vor einigen Jahren die englische Formation „Jamiroquai", das Didjeridu allein zur klanglichen Unterstützung einsetzen, erfüllt das Aerophon, das auch als hölzerne Trompete beschrieben wird, bei vielen der schwarzaustralischen Musiker immer noch die Funktion, auf ihre ethnische Zugehörigkeit hinzuweisen. Selbst viele der schwarzaustralischen Bands, die sich im Stil der immer noch als rebellisch geltenden Rockmusik ausdrücken oder sich im Reggae heimisch fühlen, bewahren sich dieses ureigene kulturelle Element ihrer kontinentalen Vorfahren. Bei einigen von ihnen findet das Didjeridu inzwischen auch dann seinen Einsatz, wenn dessen Spiel im eigenen Clan eigentlich nicht zum Corroboree gehörte.

Um der breiten Öffentlichkeit zu demonstrieren, welche Musik bei Aborigine-Völkern der verschiedenen Regionen traditionellerweise gespielt worden ist, wird das Didjeridu seit einigen Jahren auch von schwarzaustralischen Gruppen eingesetzt, die Lieder und Tänze der Ureinwohner Australiens im altüberlieferten Stil aufführen. Hierbei wird das Blasinstrument nur im authentischen Kontext gespielt, d.h. nur bei Stücken von Völkern, bei denen es auch ursprünglich zu hören gewesen ist. Eine dieser deutlich traditionell orientierten Formationen, von denen es übrigens beachtlich viele gibt, ist die Familienband „Jagera Jargum". Sie besteht im Wesentlichen aus acht Brüdern bzw. Cousins, bei bestimmten Festivals nehmen aber auch weitere Musiker und Tänzer an ihrem Corroboree teil. Jagera Jargum ist in Brisbane im ostaustralischen Staat Queensland zu Hause. Die jungen Männer um den 27-jährigen Bandleader Narjic Forgarty haben sich die musikalischen Zeremonien verschiedener uraustralischer Clans angeeignet, um die altehrwürdige und reichhaltige Kultur der Urbevölkerung zu verbreiten. Nicht nur für einen Großteil der weißen Bevölkerung eröffnet sich bei ihren Aufführungen eine neue Welt, ... die eigentlich sehr alt ist.

„Cooroboree handelt vom Leben"

Selbst viele der von Aborigines abstammenden Australier werden durch den Corroboree von Jagera Jargum mitunter erstmalig mit einem Stück ihrer eigenen ursprünglichen Kultur konfrontiert. Nicht wenige von ihnen sind ihr bereits völlig entfremdet, wenn sie nicht gerade Großeltern hatten, die ihnen ein Stück vom Kulturerbe vermittelt haben. Jagera Jargum führt bei ihren Auftritten nicht nur die uralten Geschichten vom Fischen und Jagen auf, sondern auch neue Kompositionen. Die neuen Werke werden jedoch ebenfalls im traditionellen Stil präsentiert: Die Körper der Künstler sind lediglich mit einem Lendenschurz bekleidet und mit weißen Mustern bemalt. Die Tänzer imitieren häufig Tiere oder stellen Fischer oder Jäger dar, von Zeit zu Zeit wird rhythmisch geächzt, während die Klapperstäbe der Musiker bestimmte Rhythmus-Patterns schlagen und ein Sänger etwas abseits dazu den Text vorträgt. Nur wer sich mit den Inhalten ein bisschen auskennt, merkt, dass einige Stücke, wie das über die Kröte, neueren Datums sein müssen. Kröten wurden nämlich erst vor ungefähr 30 Jahren in Australien ausgesetzt und sind heute in Queensland zur Plage geworden und damit ein aktuelles Thema. „Corroboree handelt vom Leben", erzählt Narjic Fogarty und ergänzt, was es für ihn und viele seiner Landsleute bedeutet. „Es ist deine Identität, es ist du selbst. Ich persönlich bin sehr glücklich, dass ich diese Kultur habe, weil es eine Menge junge Leute meines Alters gibt, die sie gar nicht kennen. Sie sind verloren in der Gesellschaft, in der wir leben. Das bisschen Kultur macht mich etwas stärker und trägt dazu bei, dass ich mit stolz erhobenem Kopf durch mein eigenes Land gehen kann."

Stolen Children – Bewahrung vor „primitiver" Kultur

Tatsächlich haben viele der aboriginalstämmigen Bewohner im Jugendalter nicht nur die üblichen Identitätsschwierigkeiten Pubertierender, sondern auch das Problem, ihren Platz im herrschenden Gesellschaftsleben zu finden, das die Europäer geprägt haben. Noch bis vor 30 Jahren sind die schwarzen Ureinwohner Australiens massiv unterdrückt worden, und nach wie vor ist die Gleichberechtigung zwischen schwarzen und weißen Australiern keine Selbstverständlichkeit. Im Singer/Songwriter-Stil, in Blues- und in Australien sehr populäre Countryklänge verpackt, enthalten viele Lieder schwarzaustralischer Musiker ein Plädoyer dafür, den Aborigines Respekt zu zollen – ihnen und ihrer Kultur, die sich in Naturverbundenheit, Spiritualität sowie einem ausgeprägten Familiensinn ausdrückt. Auch das den Ureinwohnern Australiens in der Vergangenheit durch Rassismus zugefügte Leid wird heute sehr häufig thematisiert. So erzählen beispielsweise Songs des mehrfach preisgekrönten Frauentrios „The Tiddas" von der Vertreibung und teilweise völligen Ausrottung der Aborigines in einigen Gegenden Australiens. Auch wenn die drei in Melbourne, NokturnlViktoria, lebenden Musikerinnen gerade zur Jahreswende ihre Auflösung bekannt gegeben haben, dürften auch künftig brisante Themen in der Musik verarbeitet werden. Das verspricht zumindest das große Talent der jungen schwarzaustralischen Gitarristin Kerianne Cox aus Beagle Bay, einer Aborigine-Siedlung bei Broome in Westaustralien. Die 24-jährige Liedermacherin erlebt seit 1996 einen kometenhaften Aufstieg in der australischen Musikszene. Ihr 1999 auf einem Independant-Label erschienenes Debütalbum „Just wanna move" ist von rockigem Countryblues geprägt. Auf dem Cover ihrer CD ist Kerianne Cox mit einer Gesichtsbemalung abgebildet, die an die neuseeländische Maori-Tradition erinnert. Mit kräftiger Stimme singt sie darauf u.a. von den „Stolen Children", von den Kindern, welche die australische Regierung zu Tausenden über viele Jahrzehnte ihren Aborigine-Eltern noch bis 1969 wegnahm, um sie vor deren „primitiver" Kultur zu bewahren. Manche dieser Kinder fanden ihre Eltern erst nach 40, 50 Jahren wieder, andere haben sie trotz aller Bemühungen niemals kennen lernen können und leiden heute noch darunter. Themen wie diese, die im Zuge der aktuellen „Reconciliation"-Bewegung, den Bemühungen um Aussöhnung und Wiedergutmachung zwischen schwarzen und weißen Australiern, die Menschen auf dem fünften Kontinent derzeit beschäftigen, will die schwarze Sängerin ihrem Publikum aller Hautfarben vermitteln.

Gegen Rassismus und gegen Gewalt in jeder Form spricht sich in ihren Stücken auch eine neue Jazz-Pop-Formation aus, das „Trio Djula Gulu" – mit sanftem Gesang, elektrischer Gitarre und Tropmpete. Als Opfer der australischen Diskriminierung, die sie in ihrer Jugend keinen klassischen Gesang studieren ließ, agiert die Sängerin Delma Barton aus Mount Isa, am nördlichen Ende von Queensland, auf ganz experimentelle Art. Zusammen mit ihrem Sohn, dem Didjeridu- und Gitarrenspieler William Barton, tritt sie unter dem Namen „Dreamtime Spirit" auf. Bei der Kritik ist das Duo durchaus umstritten, weil Delmas klagender Gesang zwar von einer enormen und gut ausbalancierten Stimmkraft geprägt ist, die angenehm berühren kann, bei den meisten Zuhörern jedoch heftige Emotionen auslöst. Ihr autodidaktisch erlernter Gesang folgt keiner Harmonielehre, sondern basiert auf reiner Spiritualität. Aber auch die Musik eines Arnold Schönberg folgte ihren eigenen neuen musikalischen Regeln und behagte nicht jedem!


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