backFolker! – Interview: CD – geprüft!

Plus Auszüge aus „Live for the moment“

Musik anderer Kulturen

Willy Schwarz pur

Der Artikel zur CD

„My songs come from the deepest, most honest place I can bring them from, both in music and words.“ Schöner kann man es nicht sagen, auch nicht übersetzen. Und jedem glauben kann man es schon gar nicht. Willy Schwarz schon. Mit seinem ersten Album hat sich der Mann tief verbeugt vor Musik anderer Kulturen und sie respektvoll mit seinen eigenen Ideen verwoben. Herausgekommen ist, so bunt das Ergebnis klingt, Willy Schwarz pur.

Von Luigi Lauer

Bremen, 1996: Alan Bern, Chef der amerikanischen Klezmer – Band Brave Old World, ist als Komponist in ein Projekt im Theater am Goetheplatz involviert. Chicago, zur gleichen Zeit: Bei Willy Schwarz, hauptberuflich Komponist für Theatermusik, klingelt das Telefon. Brave Old World haben ein Tournee – Angebot, doch ihr Akkordeonist ist wegen eines Engagements am Bremer Theater unabkömmlich. Willy Schwarz hat zufällig keinen Auftrag, ist aber ein bekannter Akkordeonist und ein alter Freund von Alan Bern. Also geht er mit der Band auf Tour. Dies ist nur eine von vielen kleinen Ironien im Leben des Willy Schwarz, einem Mann mit ungewöhnlicher Geschichte. Schon seinen Eltern war ein normales Leben verwehrt. In buchstäblich letzter Sekunde flohen sie, Juden, vor den Nazis in die USA. Mit dem Kriegseintritt der Amerikaner beginnt der Horror für sie von vorne. Der Vater, aus Mailand stammend, hat einen italienischen Pass, die Mutter, aus Berlin, einen deutschen. Für die Amerikaner ein klarer Fall von doppelter „Unbürgerschaft“. Wieder werden sie wie Feinde behandelt. Und als dann McCarthy die Hatz auf Kommunisten einleitet, hat der linksliberale Vater erneut die Staatsmacht im Nacken. Als Reaktion darauf sind sechs der Kinder so amerikanisch, wie Amerikaner nur sein können: Baseball, Jagen, Autos, Rock'n'Roll. Nur Nummer Sieben nicht. Die hört auf den Namen Willy und verschlingt alles, was nach europäischer Kultur riecht. Und klingt. Zur Freude seiner Eltern.

Dann aber: Indien. Willy ist zwanzig, doch seine Rebellenphase verbringt er nicht knutschend vor Rockfilmen im Autokino, sondern er reist nach Poona, gar nicht zur Freude seiner Eltern. Willy: „Es war ein natürlicher Konflikt, aber auch eine Kollision der Kulturen!“ Allerdings ist es weniger ein Hippie – Ausflug als vielmehr der Wunsch, sich intensiv mit indischer Musik auseinanderzusetzen. Zur Freude der Inder. Er hat bedeutende Lehrer und kennt sich bald recht gut aus in der Welt der Ragas. Indien fasziniert ihn, und es sollen weitere Besuche folgen.

Das Interesse für jüdische Kultur erwacht erst später. Anfang der 70er machen sich in New York ein paar junge Leute über das Tonarchiv des Yivo her, des Jüdischen Wissenschaftlichen Institutes, in dem die größte Sammlung jüdischer Schriften sowie tausende alter Schellack – Platten lagern. Kein Mensch interessiert sich sonst zu der Zeit für alte Klezmer – Musik. Die Grundlagen für das große Revival Mitte der 80er aber werden in jenen Jahren gelegt. Einer der jungen Leute ist Miles Krassen, ein Freund von Willy. Ein anderer ist Henry Sapoznik, inzwischen sowas wie der Papst des Klezmer. Von Krassen schließlich wird Willy regelrecht infiziert, er hört Musik von Naftule Brandwein, ein in den 20ern berühmt – berüchtigter Klarinettist, der seinem Nachnamen alle Ehre machte und sich um die Karriere soff. Oder Dave Tarras, bis in die 60er der wichtigste Klezmer – Musiker. Anfänglich klingt ihm das alles viel zu traurig, er verliebt sich in die Musik der Brass Bands, vor allem in die Bulgariens. Doch mit dem wachsenden Verständnis von Klezmer – Musik ändert sich auch die Hörhaltung, das Traurige schwindet. Willy sammelt Material und startet seine Show „Jüdische Lieder rund um die Welt“, die authentische Songs auf ethnischen Instrumenten in der jeweiligen Sprache präsentiert. Es ist eine Materialschlacht: Willy spielt auf vierzig Instrumenten, singt in neun Sprachen. Und auch sonst erwacht der Jude in ihm, den er vorher gar nicht wahrgenommen hatte, weil seine Eltern ihr Judentum zwar nicht versteckten, aber auch nicht lebten. Plötzlich interessieren ihn der jüdische Kalender oder Zeremonien wie die Bar Mitzwah, die Aufnahme jüdischer Heranwachsender in die Gesellschaft.


Willy Schwarz

Das Interview

Als kleine Hilfe für diejenigen, die des Englischen nicht ausreichend mächtig sind, hier eine Kurzfassung aus der Folker!-Serviceabteilung.

1. Ich stamme aus einem kleinen Nest in Michigan, als Sohn jüdischer Eltern aus Berlin und Mailand. Es gab viele Ärzte in unserer Familie, mein Opa war Psychiater im Gefängnis Moabit. Der andere Großvater war Arzt in Schlesien. Nach 1933 mußten sie ihr Judentum verstecken, verloren aber dennoch bald ihre Jobs.

2. Immigranten in Amerika mußten oft ihre Namen ändern, besonders, wenn sie schwer auszusprechen waren. Die Einwanderungsbehörde „vergab“ Namen nach Gutdünken. Die Konsonantenfolge in „Schwarz“ war ihnen zuviel, sie schrieben „Swarts“. Meinem Vater erging es in Mailand ähnlich, seine Lehrer nannten in „Scavarci“.

3. Nach Deutschland kam ich zum ersten mal mit Tom Waits während seiner Welttournee, auch nach Berlin, wo ich die ehemalige Wohngegend meiner Mutter aufsuchte. Die hat Nazi-Deutschland erst Richtung Iran verlassen, wo ihr Bruder arbeitete. Ironischerweise wimmelte es in ihrer Strasse in Berlin von Iranern. Mein Vater blieb Europa sehr verbunden, bezog Magazine, unterhielt Korrespondenzen, wodurch ich ein semi-europäisches Bewußtsein entwickelte. Meine Mutter wollte die Vergangenheit lieber vergessen. Und jetzt, wieder so eine Ironie, immigriere ich nach Deutschland, wegen einer Frau, Sabine. Ich kehre zurück in das Land, aus dem meine Mutter emigrieren mußte. Sabine habe ich in Chicago kennengelernt, bei einem Konzert mit Brave Old World. Wir reisten viel hin und her, heirateten dann und jetzt lebe ich in Bremen.

4. Meine Eltern waren ziemlich assimiliert, deswegen hörte ich kaum jüdische Musik zuhause. Zwei Freunde fingen 1972 an, in einem jüdischen Institut in New York alte 78er-Klezmerplatten aufzunehmen, für die sich damals niemand sonst interessierte. Die jüdische Kultur war insgesamt auf einem Tiefpunkt. Miles Krassen und Henry Sapoznik waren das, und Miles gab mir 10 Kassetten mit all dem alten Zeug. Zu der Zeit hing ich viel mit Leuten aus einer Art „New-age“-Juden-Bewegung herum und bekam allmählich ein Gefühl für jüdische Kultur, besonders aber Musik. Die berührte mich sehr, klang anfangs aber sehr traurig für mich, was sich erst viel später änderte. Meine alternative Musikliebe galt daher Brassbands, besonders den bulgarischen, deren Lieder ich auf dem Akkordeon spielte.

5. Bevor ich zum Akkordeon kam, spielte ich schon etliche ethnische Instrumente. Ausschlaggebend für das Akkordeon war die bulgarische Musik. Dann habe ich auch die jüdische Kultur mehr wahrgenommen, was meine Eltern sehr freute.

6. Meine Eltern lebten nach der Emigration in ständiger Furcht um sich und ihre in Deutschland verbliebenen Angehörigen. Nach Kriegseintritt der USA wurden sie in den Staaten genauso behandelt wie vorher in Deutschland. Man nahm ihnen Radio und Kamera weg, zensierte die Post, fälschte Telegramme. Mein Vater verlor auch hier seinen Job. Die 50er Jahre waren für einen „Lefty“ wie mein Vater auch nicht besser. Erst in den 60ern entspannte sich die Lage, wir Kinder konnten das spüren, unsere Eltern wurden „jüdischer“.

7. Schon als Kind habe ich mich für das interessiert, was heute Weltmusik heißt. Aber auch die jüdische Diaspora hat mich fasziniert. Darum startete ich das Projekt „Jüdische Lieder rund um die Welt“, ganz einfach, weil es sonst niemand tat. Ich spielte auf Original-Instrumenten und sang in 7-8 verschiedenen Sprachen. Die Leute waren sehr angetan davon, sie kannten sowas nicht, einige sagten: Wir wußten nicht, dass es eine jüdische Gemeinschaft in Indien gibt. Ich liebte diese Show.

8. Für diese Show habe ich repräsentative Lieder aus der jeweiligen Kultur ausgesucht. Es gibt keine „jüdische“ Musik, sie erscheint immer im Kontext des jeweiligen Landes. Die einzige Konstante sind die Texte.

9. Das Problem mit Weltmusik und ihrer Popularität ist, dass niemand die Texte versteht. Übersetzungen helfen zwar, bieten aber nie die tiefere Bedeutung der Worte. Auf der WOMEX erklärte mir jemand den Unterschied zwischen Weltmusik und Welt-Beat: Weltmusik ist das ursprüngliche Material, Weltbeat die Modifikation davon. Ich sehe mich also eher in der Weltbeat-Ecke. Ich bin gleichzeitig Purist und Synkretist.

10. Ich habe viele Jahre soviel über verschiedene Musik gelesen und sie gehört wie nur möglich. Meine Mutter sang Lieder vom Zupfgeigenhansel, mein Vater sang alpine italienische Musik. Er hat seinen Wehrdienst in den italienischen Bergen absolviert und die Lieder da gelernt (singt ein Stück vor!).11. Meine große Liebe in der Rebellen-Phase war indische Musik. Mit 20 Jahren bin ich darum nach Indien, um die Musik genauer zu studieren. Meine Eltern waren sehr besorgt, mein Vater hätte es viel lieber gesehen, dass ich ein „ernsthafter“ Musiker werde. Meine Geschwister waren, als Reaktion darauf, Immigranten-Kinder zu sein, so amerikanisch wie es nur ging: Jagen, Fischen, Baseball, Autos. Meine Schwester rebellierte, indem sie Hillbilly-Musik hörte. Ich stattdessen las Bücher wie „Romanische Baukunst am Niederrhein“, und meine Eltern sagten: Aha! Er ist der, auf den wir gewartet haben, der interessiert sich für unsere Kultur. Tja, und dann ging ich nach Indien...

12. Tom Waits? Zufall. Er suchte einen Akkordeonisten, kannte jemanden, der einen anderen kannte, und der einen, der mich kannte – wie es halt so läuft, wer wen kennt. Er rief mich an, ich schickte ihm eine Kassette und bekam den Job. Das war 1987. Wir machten eine große Tournee und den Film Big Time. Das war mein extremer Eintritt in die Welt des Rock ´n Roll-Touring. Wir hatten viel Spaß. Für mich als Begleitmusiker war es aber nicht so anstrengend wie für Tom. Anfangs war seine Stimme noch sehr hoch! Er macht aber selber Scherze über seine Stimme. Einmal ging er zu Frank Sinatra´s Stimmendoktor, der ihm sagte: Sie müssen das drangeben! Worauf Tom in fragte: Ich muß WAS drangeben?

13. 1996/97 hatten wir eine erfolgreiche Theaterproduktion, für die ich komponiert hatte und in der ich spielte. Als die zu Ende ging rief mich mein wohlhabender Freund Dan Pritzker an, und am Ende des Gespräches hatte ich die Produktion meines ersten eigenen Albums in der Tasche. Ich war immer nur die Feder in anderer Leute Hüte, und nun endlich: mein eigenes Statement!

14. Ich wollte von meinem Leben wenigstens ein Stück Plastik hinterlassen. Die Aufnahmen fanden in Indien und den USA statt. Nach Indien ging ich mit nichts als meinem Akkordeon, ein paar Adressen, 7 Rollen Bandmaterial und einem kleinen Geldbündel. Ich kannte keinen der Musiker, konnte sie aber rasch überzeugen, dass ich nicht irgendein Idiot bin, sondern von ihrer Musik was verstehe. Nach 2 Monaten Vorbereitung gingen wir in ein 8-Spur-Studio der katholischen Mission, Pater Edwin Vas an den Reglern. Das war aber nur die eine Hälfte der Arbeit, denn meine Traum-Version beinhaltete auch westliche Elemente. Die meisten Songs basieren aber auf indischer Klassik/Folklore, weshalb ich auch in Indien aufnehmen wollte. Den Rest spielten wir dann im High-Tech-Privatstudio meines Freundes in Chicago ein.

15. Ich komponiere meine Musik in einem „ethnischen Setting“; ich habe nicht das Gefühl, irgendetwas auszuleihen. Die Musik kommt aus mir heraus, durchläuft vielerlei Prozesse in mir. Die Ragas haben unterschiedliche Stimmungen, die ich gerne nutze, zum Beispiel im Lied „Family Reunion“ (singt!).

16. Dieser Slide! Klingt wie ein Seufzer! Das ist wie bei Vivaldis Vier Jahreszeiten, da klingen die Vögel auch so, wie Vögel eben klingen (macht Gezwitscher nach!).

17. Die indischen Musiker sind sehr glücklich mit dem Resultat. Sie konnten ja überhaupt nicht wissen, was am Ende dabei rauskommt! Einer, der Violinist, wird mit auf Tour gehen im Februar. Er hat Indien noch nie verlassen, weshalb ich ihm erstmal eine warme Jacke kaufe. Was immer er auch an hat – es wird nicht warm genug sein für Europa im Februar! Voraussichtlich geht die Tour nach Deutschland, Frankreich, Österreich, Schweden und Schweiz. Ich wäre zwar gerne mit einer größeren Band unterwegs, um das Album live zu präsentieren – aber für eine erste Tour muß ich mich mit einer kleineren Gruppe zufrieden geben, wir werden zu fünft sein. Ich freue mich schon darauf!

18. Bleibt unübersetzt, weil es nur im Original wirklich rüberkommt – siehe erster Satz des Artikels.


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