backFerner liefen...

...oder vielmehr, galoppierten uns mit Aufdämmern des neuen Milleniums die Chancen davon, das Internationale Jahr der Senioren auf diesen Seiten würdig zu begehen. Stiller um Stills war's geworden, seit die Hörgerätebatterie auch wieder nachgelassen hatte. Oder waren bei der letzten Pressekonferenz die dazwischen gebrüllten, von Stern und Spiegel mitstenographierten "Wie?" und "Was?", die stichwortartigen Wiederholungen der Fragen durch die lieben Kollegen Crosby, Nash und Young bloß gutgespielter Schabernack?

"Auf wunderbare Weise haftet der Gruppe die Patina gelebten Lebens an", begrüßte der Kölner Stadt-Anzeiger das Revival der Gruppe Zinnober, die einst in den 70ern mit Komm wir geh'n auf die Demo an der Speerspitze der Avantgarde des Fortschritts der Friedensbewegung marschierte. Ach, wer da mitkratzen könnte...!

Und ausgerechnet zum Ende des Seniorenjahres '99 gratuliert mein Freund Kleff dem SWR-Liedpreisträger, wie wohl so mancher Zivi seine widerspenstigen Alzheimer-Patienten von der Straße in die Klinik zurückscheucht: "...wenn Sie schon seit 35 Jahren die gleichen Fragen beantworten, dann sollten Sie sich schon auch an Ihre Antworten erinnern." Selbst Wolfgang "Schobert" Schulz (nicht Scholz), von dem irgendwer an gleicher Stelle rätselte, was der eigentlich heute so macht, konnte dem Reinhard Mey nicht mehr auf die Sprünge helfen: Er beguckt sich längst die Radieschen von unten, Michael oder Mike!

Ist Altern ein Problem für Künstler, wie Gottfried Benn gemeint hat? Oder nicht vielmehr eins der Kulturträger, der Kommentatoren, der Kritikaster? Mich fragt ja keiner, aber ich hätte dem Folker! nicht mit Götz, sondern wie Fellini geantwortet: "hör mal, Schatz, ich mag's nicht, wenn man mich daran erinnert, was ich irgendwann zu irgendwem gesagt haben soll".

Hand auf's Herz (oder Bruchband, Kollegen): Ist's nicht vielleicht der unverwüstliche Erfolg, der den Mey zum Unsympathling macht? Kein bißchen neidisch? Hmmm? Dem kann leicht abgeholfen werden: Ich kannte einen noch knusprigen Bardenkarrieristen - Name tut hier nichts zur Sache - der mir ohne sich zu schämen erklärte, er variiere bewußt die frühen Orpheus-, Christine- und Hauptbahnhof-Hamm-Balladen des Alt-Meysters, weil dessen (remasterte) historische Aufnahmen aufzulegen zeitgemäße westalgische Rundfunkredakteure sich eh nicht trauen. Lieber bevorzugten sie seine, des Youngsters CDs, wo mit neuem Text, gleichen Akkorden, unmerklich abgewandelter Melodie fast dasselbe erklingt wie einst beim Mey. Worauf nicht bei dem, sondern bei dessen anonymem Klippschüler die GEMA-Kasse klingelt.

Vom journalistischen Standpunkt ist der Rückzug auf's Jugendteil, der Groll über das Nichtendenwollen der Alten nur zu verständlich. Schon die jährliche Stones-Tournee stellt die Berichterstatter auf eine harte Probe. Deren Geschichten müßten sich medial erneuern, um dem abgestandenen Quark neues Interesse einzupeitschen. Tun sie aber nicht. Früher Rebell, heute gemütlich ist noch das gängigste Modell; früher Mega-Star, heute Totengräber, Sozialhilfeempfänger, Fischkonservenfabrikant, rechtskonservativer Gouverneur oder Inhaber eines Frisiersalons ein anderes. Und alle schmecken nach eingeschlafenen Füßen.

Schreiben wir sie 'runter, so lang man sie uns noch abkauft! Wer weiß denn in zehn, fünfzehn Jahren noch, wer Barry Ryan, Salvatore Bono und Ian Anderson waren? Mey-Verächter, aufgepaßt: Die jetzige Schülergeneration kennt keine Lavalampen mehr. Sie ist mit den liebgewordenen Leuchtgänsen aufgewachsen, die wir einst für eine neue Yuppie-Spielart der Gartzenzwerge hielten. Als vorgestrig-veronkelt enttarnt sich, wer heutzutage noch Leuchtgänse schmäht!

"Lebensabende, diese Lebensabende!" ruft Benn in seiner Altersrede: "Die meisten mit Armut, Husten, krummen Rücken, Süchtige, Trinker, auch einige Kriminelle, fast alle ehelos, fast alle kinderlos, diese ganze bionegative Olympiade..." Und wenn nicht ganz kinderlos, teach your children well, die Enkel fechten's besser aus. Graham Nashs wegen, der hat's bekanntlich im Kreuz, kommt die Revival-Tournee heuer spät ins Land, ja, ja. Und Neil Young (!), der am 12. 11. 2000 fünnefun'fünfzich wird, verdient sowieso alleine mehr als alle vier zusammen. Vielleicht, weil er beizeiten dem Schmetterton ewiger Adoleszenz entsagte, um mit brüchiger Stimme zu wimmern: "Ol' Man, look at my eyes, I'm a lot like you were..."

Nikolaus Gatter


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