In die Weltmusik hält der Hochadel Einzug. Während der Titel "King of Rock'n Roll" noch immer eindeutig zuzuordnen ist, wird es in der weiblichen Gegenwelt allmählich unübersichtlich. Gleich mehrere Gypsy Queens auf einem Sampler, eine Queen of Klezmer, eine Grande Dame des Rembetico, dann noch eine Queen of the Gypsies, die Mahotella Queens ja sowieso, und jetzt die Queen of Romany - da kommt man sich als ordinäres Bürgerkind schon ziemlich armselig vor. Mit Vera Bila betritt allerdings eine Dame das erlauchte Parkett, die kaum geeignet scheint, in kleinen Mädchen den Berufswunsch "Prinzessin" zu entfachen. Mag sie auch noch so ergreifend singen - tauschen würden wohl nur wenige mit ihr.
Von Luigi Lauer
Das fängt schon beim CD-Cover an - der Fotograf muss ein Schelm sein. Weniger vorteilhaft hätte man die Sängerin kaum ablichten können. Da sitzt sie, einmeterfünfzig in alle Richtungen, getaucht in rosa Licht, dieselbe Farbe wie das Papier des überdimensionierten Blumenstraußes, mit dem sie sich auf dem einsturzgefährdeten Rohrstuhl auszubalancieren scheint wie ein Trapezkünstler. Die Extremitäten baumeln gewichtig, aber unmotiviert aus ihr heraus, deuten auf den Ursprung des Wortes: extrem. Der große, runde Kopf hängt auf Halbmast, das Kinn verhindert den Blick nach vorne bei zurückgelehntem Körper. Ihr Gesicht ist im Halbdunkel kaum zu erkennen, der Bauch absorbiert das Scheinwerferlicht fast vollständig. Nein, Vera Bila mag das Cover nicht, das kann man verstehen. Aber eigentlich ist es ihr auch schon wieder egal.
Das liegt daran, dass ihr ohnehin das Meiste egal ist. Die Liste ihrer Leidenschaften ist kurz und prägnant: Essen, Rauchen, Glücksspiele, Singen. In variierender Reihenfolge. Warum auch das Hotelzimmer in Paris verlassen, wenn da ein Fernseher steht, in dem man sich die Stadt bequem anschauen kann? In Berlin wäre sie zwar schon ganz gerne ein paar Tage geblieben, aber nachdem schon der Busfahrer zwei Stunden durch Spandau geirrt war, um das Hotel zu finden... . Die Dame ist, pardon, stinkfaul. "Ich habe sie gebeten, ein paar Wörter in einem Lied zu ändern, in dem ein Mann singt, er betrinke sich aus Frust darüber, dass seine Frau ihn betrügt. Sie wollte es aus ihrer aus der Perspektive einer Frau singen. Darauf warte ich seit drei Jahren." Der das sagt, ist ihr Wieder-Entdecker und Manager Jiri Smetana, wie Bila ein Tscheche, allerdings vornehmlich in Frankreich zuhause. Der Zufall wollte es, dass Smetana in das Prager BMG-Büro kam, Plakate von Vera Bila sah und sich nach ihr erkundigte. Man spielt ihm einen Titel vor, Smetana ist begeistert und besucht ein Clubkonzert der Dame - ein Ereignis, das sein Leben umkrempelt. Und das der Bila. Bei BMG hatte man sie schon zu den Akten gelegt, Smetana aber kann einen Zusammenschnitt ihrer ersten beiden Alben erwirken, die atemberaubende CD "Queen of Romany". Und das Ding schlägt ein. Seither füllt sich der Tourneekalender jeden Monat ein wenig mehr, derzeit sind es etwa zehn Auftritte im Monat. Vera Bila muss sich nicht mehr, wie vor drei Jahren noch, mit Putzen und anderen Gelegenheitsjobs über Wasser halten.
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Mehr über Vera Bila im Folker! 1/2000