Von Christian Rath
Folk wird wieder zur Jugendbewegung. Dies ist zumindest in Belgien, genauer in Flandern, zu beobachten. Beim wichtigsten flämischen Festival in Dranouter stellen junge Leute um die 20 den Großteil der Besucher. Bei Gründung des Festivals, das in diesem Jahr seinen 25. Geburtstag feierte, waren viele von ihnen noch nicht einmal geboren. Dranouter ist inzwischen ein place to be geworden, wie die Veranstalter stolz anmerkten.
Heute ist Dranouter nicht nur das größte Folkfestival Belgiens, sondern auch eines der wichtigsten Europas. Mit mehr als 70.000 Besuchern wurde in diesem Jahr ein neuer Rekord aufgestellt. Wie bei wohl allen Festivals ist diese Angabe zwar durch die Zahl der Festivaltage zu teilen, aber die 26.000 Besucher am zentralen Samstag, dem 7. August, machen doch die Dimension recht deutlich.
Das Erlebnis der großen Masse ergibt sich in Dranouter schon dadurch, dass es nur eine kleine Anzahl von Spielorten gibt, die sich fast alle auf einer großen Wiese außerhalb des Dorfes befinden. Im Mittelpunkt des Festivals steht das gigantische Festivalzelt. Mit einer Länge von 140 Metern und einer Breite von 40 Meter fasst es allein 17.000 Menschen. Damit man im hinteren Teil des Zeltes überhaupt noch etwas sieht, sind dort zwei große Videoleinwände aufgestellt. Eine weitere noch größere Videowand findet sich links neben dem Zelt, wo sich bei schönem Wetter meist einige tausend Menschen aufhalten. Vier Kameras des belgischen Fernsehens sorgen zusammen mit einer perfekten Bildregie für ein eindrucksvolles Leinwanderlebnis. Nur die Konzertatmosphäre fehlt etwas auf der Wiese. Warum sollte man auch klatschen, wenn die Künstler das ohnehin weder sehen noch hören können?
Im Konzertzelt treten alle Hauptacts auf. In diesem Jahr waren dies zum Beispiel Tri Yann, Leahy, die Levellers, Nick Cave, Baaba Maal, Manau, James Taylor und das Afro Celt Sound System. Die Aufzählung zeigt: Dranouter setzt auf große Namen und nimmt diese auch gerne von außerhalb der engeren Folkszene.
Der zweitwichtigste Spielort ist das Clubzelt mit einem Fassungsvermögen von rund 3.000 Menschen. Hier spielen sozusagen die echten Folkgruppen. In diesem Jahr war das Clubzelt allerdings durch ein anderes Ereignis in Beschlag genommen: das EBU-Folkfestival der European Broadcasting Union. Von 22 öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten waren Gruppen nach Dranouter entsandt worden; die bekanntesten waren sicherlich Tarras aus Großbritannien sowie Wimme, mit seinem samischen Joik-Techno. Aus Deutschland kamen zwei eher nordisch geprägte Beiträge: das Trio Schlüsselbund um den Nyckelharpa-Spieler Gunter Frick und das Lindblom-Daun-Ensemble mit seiner aus Schweden stammenden Sängerin Anna Lindblom. Der Beifall für beide deutsche Beiträge war höflich, aber nicht überwältigend.
Kontakt
Folkfestival Dranouter
Tel. +32 57/44 64 24 |
Neben Konzert- und Clubzelt gibt es noch ein Tanzzelt, in dem je nach Gruppe neue Tänze gezeigt werden oder einfach nur zum Bal Folk aufgespielt wird. Hier spielen auch klassische belgische Folkgruppen wie Twalseree. Das Tanzzelt ist allerdings, nicht nur im Vergleich zum Konzertzelt, so klein, dass dies fast als Provokation zu werten ist. Angenehmes Tanzen ist hier jedenfalls nicht möglich.
Der vierte Spielort befindet sich im Dorf Dranouter, zu Fuß eine Viertelstunde vom Festivalgelände entfernt. In einer leergeräumten Maschinenscheune spielen vor allem die unbekannteren belgischen Gruppen. Diese Halle fasst einige hundert Personen, war aber in diesem Jahr selten richtig voll.
Dranouter hat nur rund 600 Einwohner und liegt in der Nähe von Ypern, wo im Ersten Weltkrieg der Gaskrieg begann. Das Dorf steht mittlerweile voll hinter dem Festival. Viele kleine Läden machen zur Festivalzeit, jeweils am ersten August-Wochenende, das Geschäft des Jahres. Auch im Elektrogeschäft wird dann Bier verkauft. Als das Festival vor 25 Jahren gestartet wurde, gab es allerdings noch gehörige Distanz zu den vielen Langhaarigen, die plötzlich die dörfliche Ruhe störten. Dabei dauerte das erste Festival im Jahr 1974 nur einen Tag und hatte ganze 300 Besucher.
Veranstalter war damals der Folkclub de Zon (die Sonne), eine Art Gaststätte am Dorfplatz von Dranouter. Sein Besitzer Alfred den Ouden organisierte das Festival auch die nächsten sechs Jahre in eigener Verantwortung. Immerhin 6.000 Besucher fand das Dranouter Folkfestival zu dieser Zeit. Anfang der 80er Jahre wurde den Ouden das Risiko jedoch zu groß, weshalb er die Verantwortung an einen Verein übergab, der auch heute noch das Festival ausrichtet.
In den 80er Jahren war ein langer Atem nötig. Folkmusik galt in Belgien als altmodisches Relikt der 70er Jahre. Die Folkfestivals verschwanden bald vollständig bis auf Dranouter. Neuer Schwung ergab sich Ende der 80er Jahre aus zwei Gründen. Zum einen wurde im Zuge des neuen Interesses für Weltmusik nun auch die Folkmusik wieder ernster genommen. Zum anderen begann man in Dranouter von nun an bewusst auf Expansion zu setzen. Vor allem große Namen aus der internationalen Singer/Songwriter-Szene wie Michelle Shocked, Suzanne Vega, Billy Bragg oder Sinead OConnor dienten als Headliner, und das Festival begann kräftig zu wachsen.
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