Von Lutz Kirchenwitz
Im Februar 2000 ist es 30 Jahre her, dass in Berlin/DDR das erste Festival des politischen Liedes stattfand. Wie eine Nachricht aus grauer Vorzeit mutet das an. Kunst und Politik gehörten damals noch zusammen, man hatte Visionen und Illusionen, und Liedermacher gab es sozusagen wie Sand am Meer. Zwischen 1970 und 1990 trafen sich alljährlich bis zu 50 KünstlerInnen/Gruppen in Berlin. Bots, Bragg, Gaughan, Makeba, Rodríguez, Quilapayún, Seeger, Theodorakis und Viglietti waren darunter. Von Degenhardt und Floh de Cologne über Kunze und Liederjan bis zu Wader, Wecker und Zupfgeigenhansel reicht die Namensliste der westdeutschen KünstlerInnen. Zu den DDR-TeilnehmerInnen gehörten u.a. Andert, Demmler, Gundermann, Karls Enkel, Oktoberklub, Schöne, Wacholder und Wenzel. Das Festival war eine der größten Musikveranstaltungen der DDR und eine internationale Institution (Mikis Theodorakis, 1983) in der Folk- und Liedermacherszene. Nur aus dem historischen Kontext heraus lässt sich erklären, welche Bedeutung das Festival damals hatte, was der Zeit gemäß war, was authentisch und was manipulativ und verordnet. Hoffnung und Enttäuschung, Engagement und Instrumentalisierung, Förderung und Repression lagen dicht beieinander. Die taz brachte es auf die Formel: Da gab es das Vorzeigefest fürs Fernsehen, funktionärsgerecht auf Linie achtend. Und es gab das wahre Festival, das der Barden und ihrer scharfzüngigen Lieder, das der unerschöpflichen Lebensfreude und der unvergesslichen Begegnungen.
Das Festival war eng verknüpft mit der Zeitgeschichte der 70er- und 80er-Jahre, mit Vietnam und Chile, mit Kaltem Krieg und Mauer, mit Friedensbewegung und Kampf gegen Apartheid, mit Stagnation, Modernisierungsversuchen und schließlichem Zusammenbruch des Staatssozialismus. Die künstlerische Qualität dessen, was auf dem Festival stattfand, war unterschiedlich. Es gab sowohl Darbietungen, bei denen Musik nur schlichtes Transportmittel politischer Botschaften war, als auch politische Kunst auf höchstem professionellem Niveau. Bei den ersten Festivals dominierte noch Agitprop in einem sehr engen Sinne. Ende der 70er-Jahre begann sich die Toleranzbreite des Festivals allmählich zu vergrößern. Verstärkt wurde nach dem Kunstwert des politischen Liedes gefragt und eine Überbetonung des Politischen auf Kosten des Künstlerischen zurückgewiesen. Das Spektrum des Festivals weitete sich aus, reichte nun vom Liedermacher über Folklore, Chanson, Rock, Jazz und E-Musik bis zum Musiktheater, wenngleich die herkömmlichen Stilrichtungen des politischen Liedes weiterhin dominierten. In der Reihe Musik und Politik war Raum für Avantgardistisches, und bei einigen Festivals wurden auch größere Werk aufgeführt wie der Canto General von Mikis Theodorakis (1980) oder die Liberation Opera Kalahari' von Abdullah Ibrahim (1982).
Das Festival entwickelte sich aus Jubiläumskonzerten, die der Oktoberklub (OK) ab 1969 jeweils im Februar in der Ostberliner Kongresshalle durchführte. Der Klub wollte ein sozialistisches Folksong-Festival veranstalten. Unterstützt von der FDJ, wurde es ehrenamtlich organisiert. Anfänglich waren es ein und dieselben Leute, die im OK-Programm auf der Bühne standen, die ausländischen Gäste ansagten, organisierten, Stühle rückten, Stullen schmierten usw. Dadurch entstand ein sehr herzliches, familiäres Klima. Mit der Zeit entwickelte sich ein spezieller Organisations-Stab, und es wurden rund 300 junge Leute, die in verschiedenen Arbeitsgruppen das Festival vorbereiteten und durchführten. Auch, als später der FDJ-Apparat eine größere Rolle spielte, blieb der ehrenamtliche, gewissermaßen basisdemokratische Charakter der Festivalorganisation zu großen Teilen erhalten. Für Kreativität und Ausstrahlungskraft des Festivals war das die entscheidende Grundlage.
Das Festival war für viele eine linke kreative Insel, ein Freiraum, wo Dinge ausprobiert werden konnten, die in der DDR bis dato nicht üblich waren (Politkirmes, Festivalzeitung, Nachtklub im Haus der jungen Talente usw.). Regelmäßig kam es natürlich zu Konflikten, wurden Lieder verboten, Plakate nicht genehmigt, Festivalzeitungen zensiert usw. Aber dennoch konnte das Festival eine Ästhetik entwickeln, die sich vom Stil FDJ-üblicher Jubelveranstaltungen erheblich unterschied.
Das Festival war keine Erfindung von oben, sondern kam von unten und erhielt zunächst nur lokale Unterstützung, aber es passte hervorragend in die Zeit der begrenzten Hoffnung und Liberalisierung der DDR nach dem VIII. Parteitag der SED und erfuhr daher ab 1972 große öffentliche Unterstützung. Die FDJ machte das Festival zum Bestandteil ihrer internationalen Arbeit. 1975 wurde der FDJ-Zentralrat Hauptveranstalter (Mitveranstalter: FDJ-Bezirksleitung und Oktoberklub) und bildete 1981 sogar ein hauptamtliches Büro Festival des politischen Liedes, das später auch den Liedersommer und die Liedertournee der FDJ organisierte.
Für die DDR (Publikum, Künstler, Organisatoren) war das Festival ein Fenster zur Welt. Eine langjährige Mitarbeiterin sagte, für sie sei das Festival eine Art Lebenssinn gewesen: Das ganze Jahr über freuten wir uns darauf. Da war plötzlich die Welt da, wir mittendrin. Die Begeisterung über Befreiungsbewegungen, den Zusammenbruch von Kolonialregimes etc. war keineswegs von oben verordnet, sondern echt und unmittelbar, aber sie hatte gewiss auch Züge von Flucht aus der eigenen Umwelt. Das Publikumsinteresse am Festival war jedenfalls bis Ende der 80er-Jahre groß, was natürlich auch darauf beruhte, dass es im Musikleben der DDR lange Zeit nichts Vergleichbares gab.
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Mehr über das Festival des politischen Liedes im Folker! 1/2000